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Reportage

Statt der Lieder des namensgebenden Minnesängers ist an der Hadlaubstrasse gegenwärtig vorab Baulärm zu hören. Bild: H. Wehrli

Vom Liebeskummer gepeinigt

Von: Urs Hardegger

05. April 2016

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Hadlaubstrasse.

«Die Hadlaubstrasse wäre doch etwas für einen ‹Tagblatt›-Artikel», mailte mir eine Bekannte. Darauf gestossen sei sie auf der Suche nach einer Hausnummer. Mühsam seis, seit alle ihre Festnetznummern abgeschafft hätten. Wie sie jetzt herausfinden solle, an welche Adresse sie dem Kunden mit der undeutlichen Stimme die Bestellung liefern soll? Gefunden habe sie die Hausnummer nicht. Dafür den Zürcher Minnesänger Johannes Hadlaub. 53 Minnelieder seien von ihm erhalten geblieben. Sogar Gottfried Keller habe ihm eine Novelle gewidmet. «Was meinst du dazu?»

Warum nicht, schliesslich ist Gottfried Kellers Novelle noch ­immer schön zu lesen. Keller beschreibt Hadlaub als einen gebil­deten Mann aus der höheren Gesellschaft. Dieser verliebte sich im Hause des Verlegers Manesse Hals über Kopf in die hübsche Fides, die Tochter des Bischofs von Konstanz und der Äbtissin des Fraumünsters. Da seine Liebe nicht erwidert wurde, liess er ihr Liebesgedichte zukommen. Diese Gedichte – sie dienten Keller als Vorlage – führen uns einen ständig von Liebeskummer geplagten Mann vor Augen. «Mîn herze sêre si mir durbrochen hât, wan sî da dur, diu hêre, si giwalteklîche gât» (Mein Herz hat sie mir schmerzlich durchbohrt, indem sie da, die Edle, so gewaltsam hindurchgeht), klagte er, wenn sie sein Ansinnen zurückwies. Umso grösser die Freude, wenn sie ihn einmal eines Blickes würdigte: «Da schaute sie mich liebevoll an und sprach mit mir. [. . .] Ich konnte die Schöne genau betrachten – wo gab es je einen so glücklichen Mann?» Doch bald darauf stellte er wieder enttäuscht fest: «Oh weh, die Minne, wie lässt sie mich im Stich, wo ich doch all mein Sinnen auf sie ­gerichtet habe.» Hadlaubs Be­harrlichkeit zahlte sich aus. Zu guter Letzt erhörte ihn seine Ange­betete und willigte in die Heirat ein.  Damit versiegten allerdings auch Hadlaubs literarische Ambitionen.

Kellers historische Erzählung – sie gehört zu seinen Zürcher Novellen – beinhaltet alles, was zu einer richtigen Lovestory gehört: Begierde, Zurückweisung, Gefühle zwischen höchstem Glück und tiefster Verzweiflung. Schliesslich das unabdingbare Happy End.

Heute chancenlos

Ein Hoch und Tief erlebe ich auch an der Hadlaubstrasse, die vom Irchel dem Zürichberg entlang zur Toblerstrasse führt. Zumeist treffe ich im bunten Stilmix auf architektonisches Mittelmass. Es sind die Details, welche die Sinne erfreuen. Klassizistische Fassaden, herrschaftliche Portale, Erker, Giebel und ­Balkonbrüstungen in den verschiedensten Formen. Ich versuche mir vorzustellen, wie es Hadlaub wohl heute unter einem dieser herrlichen Balkone mit seiner Liebeslyrik ergehen würde. Wahrscheinlich würde die Angebetete nicht einmal mehr ihren Blick vom Handy nehmen, wäre vielleicht gerade damit beschäftigt, die Botschaft IBVID AKLA? BBB DAD zu entziffern. (Für SMS-Analphabeten: «Ich bin verliebt in dich, alles klar? Bis bald Baby, denk an dich.»). Traurig müsste der arme Hadlaub feststellen, dass heutzutage in der Liebe ohne ein technisches Upgrade kein Staat mehr zu machen ist.

Über das tatsächliche Leben des Minnesängers Johannes Hadlaub sind übrigens nur wenig historisch gesicherte Fakten bekannt: Er war verheiratet, kaufte 1302 ein Haus am Neumarkt und starb vor dem Jahr 1340 in Zürich. Alles Weitere gehört ins Reich der Spekulation. Dagegen gilt die im gleichen Zeitraum in Zürich gedruckte «Manessische Liedersammlung», in der auch die Hadlaubschen Texte enthalten sind, als eines der bedeutendsten Zeugnisse mittelalterlicher Literatur. So viel zu Hadlaub. Und natürlich hoffe ich, dass die Lieferung auch ohne Angabe der Hausnummer den Adressaten an der Hadlaubstrasse erreicht hat.

Quellen:
Keller, Gottfried: Hadlaub. Frankfurt a.  M., 1980.
Schiendorfer, Max: Johannes Hadlaub. Göppingen 1990.

Lesen Sie am 20. April den Beitrag zum Neumarkt.

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