mobile Navigation

Reportage

Warten auf den ersten Schrei

Von: Ginger Hebel

03. September 2013

In der Frauenklinik des Stadtspitals Triemli kamen letztes Jahr 1884 Kinder zur Welt. Chefärztin Stephanie von Orelli über den Alltag im Kreisssaal.

Jede Geburt ist wie ein kleines Wunder, und eben dieses erlebt Stephanie von Orelli, Chefärztin der Frauenklinik des Stadtspitals Triemli, immer wieder aufs Neue. «Es ist ein unglaubliches Erlebnis, zu sehen, wie ein Kind zur Welt kommt, wie es seinen ersten Atemzug macht.» Täglich schaut sie in die erschöpften ­Gesichter von glücklichen Müttern und stolzen Vätern, doch das Leben in der Maternité ist nicht nur erfüllt von Momenten des Glücks – eine Geburt ist nie zu unterschätzen. «Geburtshilfe ist eine Gratwanderung; einerseits emotional und wunderschön, andererseits können aber auch sehr schnell starke Blutungen und andere Komplikationen auftreten», sagt von Orelli. Darum findet ein Grossteil der Geburtshilfe im Spital statt. Von Vorteil sei auch die 24-Stunden-Präsenz der Kinderärzte, falls das Baby keinen guten Start habe.

Jedes dritte Kind kommt in der Schweiz per Kaiserschnitt zu Welt. Ein grosses Anliegen der Maternité ist es jedoch, die Frauen bei der Spontangeburt zu unterstützen, sofern dies möglich ist. Vor knapp zwei Jahren hat die Frauenklinik die Hebammen-Geburt eingeführt. Frauen können im Gebärsaal ohne ärztliches Beisein ihr Kind zur Welt bringen; im Bett, in der Geburtswanne oder auf dem Mayahocker. «Geburtshilfe braucht Zeit, deshalb ist die 1-zu-1-Betreuung durch eine Hebamme so wichtig», sagt von Orelli. Ihr fällt auf, dass die werdenden Väter heute öfter im Kreisssaal mit von der Partie sind und ihre Frauen mental unterstützen. «Eine Geburt ist eine Extremsituation für beide. Wenn das Kind da ist, fällt die Anspannung ab, ich sehe öfter Männer, die weinen.» Dieser rührende Moment lässt auch von Orelli nicht kalt, obwohl sie als Ärztin eine emotionale Distanz aufbauen muss. Doch sie gibt zu: «Man wird hineingezogen in diesen Strudel.»

Zahl der Geburten massiv gestiegen

Nach der Niederkunft verbringen die Frauen drei bis fünf Tage auf der Wochenbettabteilung, nach einem Kaiserschnitt dauert die Erholungsphase einige Tage länger. In der Maternité gibt es vor allem Ein- oder Zweibettzimmer. Jeweils zwei sind durch ein Babyzimmer miteinander verbunden, hier können die Frauen in Ruhe ihr Kind stillen und ihm die Windeln wechseln. «Für die Mutter-Kind-Beziehung ist es wichtig, dass das Baby nach der Geburt, wenn immer möglich, in der Nähe der Mutter ist.»

In der Empfangshalle der Frauenklinik sitzt ein junges Paar Hand in Hand, müde, aber glücklich, das Baby schläft nebenan im Bettchen. Draussen im Klinikgarten trinken frischgebackene Mütter mit ihren eigenen Müttern und Freundinnen Kaffee, Jöh-Rufe erklingen, alle wollen das herzige Baby sehen. Morgens treffen sich die Frauen im Frühstücksraum und bedienen sich vom Buffet – fast wie im Hotel. Sie tauschen Erfahrungen aus, die Freude am Nachwuchs verbindet. «Sie schätzen es, dass sie in der Maternité unter sich sind und hier keine typische Spitalatmosphäre herrscht», sagt Stephanie von Orelli.

Die Zahl der Geburten ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Diese Entwicklung freut die Chefärztin sehr. «Zürich zieht Menschen an, die hier eine Familie gründen möchten. So eine Stadt hat für mich eine Auszeichnung verdient.» Auch die Zahl der Zwillingsgeburten hat im Triemli in den letzten zehn Jahren zugenommen. Einerseits deshalb, weil die Frauen beim ersten Kind häufiger älter sind oder sich künstlich befruchten lassen. «Wir haben bei uns viele Ärztinnen, die mit 40 zum ersten Mal Mutter geworden sind», sagt von Orelli. In der heutigen Gesellschaft ist man mit 40 keine alte Mutter mehr, aber körperlich ist man dennoch am Ende der Reproduktionsphase. Biologisch gesehen liegt das beste Alter zum Kinderkriegen zwischen 20 und 30 Jahren.

Früher liessen sich die werdenden Eltern überraschen, ob es ein Mädchen wird oder ein Junge, und hofften darauf, dass es gesund ist. Doch die vorgeburtliche Diagnostik verbessert sich immer weiter. Heute lässt sich in frühen Phasen der Schwangerschaft, beim sogenannten Erst-Trimester-Screening, gezielt nach möglichen Krankheiten suchen und feststellen, ob ein Kind an einer Chromosomenstörung wie zum Beispiel dem Downsyndrom leidet. Seit letztem Sommer sind in der Schweiz der Praena- und der PrenDia-Test zugelassen, neuartige Bluttests, die zuverlässig die Diagnose einer Trisomie 21 stellen. Im Gegensatz zur Untersuchung des Fruchtwassers oder der Plazenta­gewebeentnahme existieren bei diesem Test keinerlei Risiken fürs ungeborene Kind. Er ist freiwillig und kostenpflichtig. «Die vorgeburtlichen Tests können die Eltern aber auch stark verunsichern und Ängste schüren», sagt von Orelli. Denn bei einem positiven Testergebnis stehen sie vor der schwierigen Frage, ob sie das Kind behalten oder abtreiben wollen.

Stephanie von Orelli arbeitet seit 2008 in der Frauenklinik des Triemli. Bis vergangenen Herbst teilte sie sich den Chefarztposten mit ihrer Freundin Brida von Castelberg. «Bis zum Schluss ist das eine Superlösung gewesen», resümiert die dreifache Mutter. Seit von Castelberg in Frühpension gegangen ist, hat von Orelli die alleinige Klinikleitung.

Babys ähneln anfangs häufig dem Vater

Frischgebackene Eltern verlassen die Frauenklinik, und schon herrscht im Kreisssaal wieder Hochbetrieb. Stolz und überglücklich sind sie alle, wenn sie ihren Wonneproppen endlich im Arm halten. «Babys ähneln anfangs häufig dem Vater. Es ist wohl von der Natur so gewollt, damit er es als seines anerkennt», sagt von Orelli. Doch bereits nach wenigen Tagen ändert sich der Ausdruck wieder, und auch die typisch blauen Babyaugen verändern ihre Farbe meist im ersten halben Jahr. Während für jede Mutter ihr Baby das schönste ist von allen, überlegt Stephanie von Orelli sich jedes Mal, welches Potenzial wohl in dem kleinen Menschlein steckt, was es wohl erleben wird in seinem Leben. «Es gibt für mich nichts Schöneres, als Paare dabei zu begleiten, wie sie zu einer Familie werden.»

Babyboom in Zürich
2011 wurden in der Stadt Zürich 4760 Kinder geboren, 2263 Mädchen und 2497 Buben – 172 mehr als im Vorjahr. Das Durchschnittsalter der Frauen lag bei 32,4 Jahren. In der Frauenklinik des Triemlispitals wurden letztes Jahr 1884 Kinder geboren – 120 mehr als im Vorjahr. Die Zahl für 2012 dürfe über dem Rekordwert liegen.

Kurze Namen am beliebtesten
2012 tauften Zürcher Eltern ihre Kinder am häufigsten Anna und Noah, 2011 waren Sophie und Luis die Spitzenreiter. Auch Emma und Julia, Vincent und David wurden sehr oft vergeben. Der Trend geht hin zu kurzen Namen und Zweitnamen.

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir 2 ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare