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Reportage

Beeindruckt von der städtischen Arbeitsintegration: Die albanische Reisegruppe in der Werkstatt des Ateliers Blasio. Bild: JS

Was Albanien von Zürich lernen kann

Von: Jan Strobel

13. Mai 2014

Eine Gruppe von Bürgermeistern, Sozialarbeitern und NGO-Delegierten aus Albanien machte sich ein Bild von der sozialen Arbeit und der Berufsbildung in Zürich. Wir begleiteten sie ins Atelier Blasio.

Bei Shpresa Spahiu, Fadil Nasufi, Sotiraq Filo und den anderen herrscht  an diesem Donnerstagmorgen Verwirrung. Sie sitzen in den Räumen des Ateliers Blasio in Wollishofen und liefern sich leidenschaftliche Wortgefechte. Shpresa Spahiu fächelt sich Luft zu. Sie wartet, bis die Dolmetscherin Klarheit schafft. Eben hat Bernhard Bächinger den Gästen aus Albanien versucht zu erklären, wie das mit der beruflichen Grundbildung in der Schweiz funktioniert, welche Wege  ins Berufsleben die Jugendlichen nach der Schule nehmen können, weshalb unser duales Bildungssystem ein Garant für eine tiefe Jugendarbeitslosigkeit ist. Bächinger koordiniert für die Deutschschweiz die Motivationssemester, also Programme für stellenlose Jugendliche ohne abgeschlossene berufliche Grundbildung. Die albanische Reisegruppe aus Bürgermeistern, Sozialarbeitern und Delegierten von NGOs möchte sich in Zürich auf Einladung der DEZA und der Hochschule Luzern ein Bild davon machen, wie bei uns die Sozialhilfe, Jugendarbeit oder Berufsbildung organisiert sind. Im Atelier Blasio können sie erleben, wie die Stadt seit über 25 Jahren erfolgreich Arbeitsintergration betreibt, wie sie Jugendlichen hilft, sich in der Arbeitswelt wieder zurechtzufinden, Sozialkompetenz zu lernen, teamfähig zu sein. Die Beschäftigten stellen hier die Blasio-Springburgen her oder nähen Freitag-Taschen zusammen. Die meisten der Jugendlichen und Erwachsenen im Atelier finden von hier aus eine Anschlusslösung.

Allein, die Sache mit der Berufslehre stösst bei den albanischen Besuchern zunächst auf Unverständnis. «Wo soll denn das Interesse der Firmen liegen, solche Jugendlichen auszubilden?», fragt Qazim Sejdini, der Bürgermeister der mittelalbanischen Stadt Elbasan. Bächinger erklärt es bedächtig, unkompliziert. Während dieses Vormittags hat er bereits realisiert, dass es da eine Differenz zwischen Schweizern und Albanern gibt, wie der Begriff Arbeit aufzufassen ist. Immerhin schwingen die Jahrzehnte unter sozialistischer Diktatur in Albanien immer noch heftig nach. Die Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und Schulen  steckt noch in den Anfängen, es mangelt an qualifizierten Arbeitskräften.

Von Zürich beeindruckt
Gefragt nach der Höhe der Jugendarbeitslosigkeit in ihrem Heimatland, zuckt Reiseteilnehmerin Shpresa Spahiu aus Tirana mit den Schultern. «Wissen Sie, das mit der Statistik ist bei unseren Behörden nicht ganz einfach.» Dennoch kursieren Zahlen. Offiziell sind 24,3 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Andere Schätzungen sprechen allerdings von über 50 Prozent. Die Schweiz verzeichnete im November 2012 gerade mal 3,5 Prozent. Die meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten in Albanien laut DEZA zudem in «informellen oder prekären Anstellungsverhältnissen.» 

Shpresa Spahiu ist beeindruckt davon, was sie in Zürich erfährt und sieht. «Wie die Gemeinden und Behörden in der Schweiz mit der Sozialarbeit Hand in Hand zusammenarbeiten, das möchten wir auch auf Albanien übertragen», sagt Spahiu, die sich mit ihrer NGO «Help for Children»  vor allem der Bekämpfung der Kinderarmut, besonders auch bei den Roma, verschrieben hat. Wenn es um die Organisierung der Sozialarbeit in den Städten und Dörfern gehe, herrsche in Albanien Chaos. «Dass sich auch die Kommunen einbringen müssen, diese Erkenntnis setzt sich erst langsam durch. Eine Einrichtung wie zum Beispiel das Atelier Blasio braucht es bei uns dringend.»
Sie weiss aber auch, dass die Schweiz ein reiches Land ist. Koordinator Bächinger hat es während seines Vortrags deutlich gemacht: Die 80 Programme des Motivationssemesters, von denen das Atelier Blasio auch eines ist, kosten die Arbeitslosenversicherung jährlich insgesamt rund 70 Millionen Franken, eine Summe, die in den Ohren der albanischen Besucher fast schon surreal klingt. «Wir müssen halt in kleinen Schritten von Zürich lernen», sagt Shpresa Spahiu und setzt sich etwas erschöpft auf ein rosarotes Blasio-Element.

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