mobile Navigation

Reportage

Philosophen im Führerstand: Manche Trampiloten legen eine erstaunliche Kreativität bei ihren Durchsagen an den Tag. Bild: Keystone

Wenn das Tram zum Antidepressivum wird

Von: Jan Strobel

12. April 2016

VBZ: Manche Trampiloten zaubern mit ihren Durchsagen den Zürchern ein Lächeln aufs Gesicht – und werden dabei richtig philosophisch.

Für die Fahrgäste der Linie 11 muss es an diesem Morgen im wahrsten Sinn des Wortes ein Erweckungserlebnis gewesen sein, als durch den Lautsprecher des Trams plötzlich diese Durchsage kam: «Der verlorenste aller Tage ist der, an dem man nicht gelacht hat.» So mancher Passagier blickte von seinem Smartphone oder der Pendlerzeitung auf, für einen Moment aus seiner Narkose des Alltags gerissen. Die Stimme des Trampiloten, der da vorne in seiner Führerkabine am Steuer sass, wurde in diesem Augenblick zum Antidepressivum, zur Retterin des Morgens, der Trampilot selbst zum Freund für die Dauer einer kurzen Fahrt.

Die Zürcher, die jeden Tag mit Tram oder Bus unterwegs sind, reagieren äusserst sensibel auf die Durchsagen «ihrer» Chauffeure. Schon scheinbare Kleinigkeiten können Wellen werfen. Als 1997 zum Beispiel die «Durchsage der Leitstelle» zur «Information der Züri-Linie» umgewandelt wurde, schien so mancher Fahrgast und Leserbriefschreiber emotional zu hyperventilieren. Heutzutage teilen sich die ÖV-Nutzer über soziale Netzwerke wie Twitter mit – und zitieren mit besonderer Leidenschaft ihre Trampiloten.

Die Linie 11 erweist sich dabei als regelrechtes Philosophentram: «Die wahre Leidenschaft besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen», begrüsste neulich der Tramchauffeur seine Fahrgäste bei der Rehalp. Wie ein echter Gentleman wiederum verhielt sich sein Kollege vom 14er-Tram: «Möcht die Dame am Billettautomat au no mitcho?», liess er durch den Lautsprecher fragen.

Andere Trampiloten nahmen die Fahrt schon mal zum Anlass, den sonst eher teilnahmslosen Blick der Zürcher Fahrgäste auf ihre Stadt wieder einmal etwas zu schärfen: «Willkommen zur Besichtigung der Baustelle am Albisriederplatz», hiess es etwa im 2er-Tram. «Die rechts sitzen, sehen etwas mehr.» Häufig sind es aber ganz simple Nettigkeiten, welche die Fahrgäste geradezu mit Dankbarkeit erfüllen: «Ich wünsche allne en guete Morge und en schöne Tag! – Wow, was für ein Auftsteller!», freute sich etwa eine Twitter-Userin. Ein anderer schreibt: «Das ganze Tram 3 strahlt gerade über beide Ohren wegen des freundlichen Tramchauffeurs. Behaltet den unbedingt!»

Bei den VBZ gibt es kein Reglement, das die Kreativität der Tram­piloten bei ihren Durchsagen einschränken würde: «Unsere Trampiloten und Trampilotinnen können sie grundsätzlich individuell gestalten. Sie werden lediglich dazu angehalten, bei einem Fahrerwechsel oder bei den Anfangs- und Endhaltestellen die Fahrgäste kurz und freundlich zu begrüssen bzw. zu verabschieden», sagt Daniela Tobler, VBZ-Mediensprecherin.

Kurz und vielmehr sarkastisch hingegen liess sich ein Trampilot vernehmen, als sich eine Tür partout nicht schliessen liess: «Bei der Tür ist irgendetwas dazwischen, eine Tasche oder ein Stück Bein.» 

Was sind Ihre schönsten Erlebnisse mit Trampiloten? Nutzen Sie die Kommentarspalte unten!

Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan vom Tagblatt der Stadt Zürich

 

 

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir 3 ·  
4.0 von 5

Leserkommentare

Peggy Zimmermann - Bei Stosszeit in einem Tram mit offenen Türen von einem Trampilot, der weiterfahren wollte, folgendes gehört: "So, ufschlüsse bitte, tüend nöd fremde, it's Kuscheltime"! Die finsteren Minen der gestressten Passagiere wichen einem Schmunzeln und
mehr anzeigen ...

Vor 8 Jahren 1 Woche  · 
Noch nicht bewertet.

Peter Adler - Das finde ich immer wieder schön und ich fühle mich dazu animiert, auch den Fahrer oder die Fahrerin zu begrüssen. Es braucht so wenig um die Stimmung aufzuhellen ...

Vor 8 Jahren 1 Woche  · 
Noch nicht bewertet.