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Reportage

Wenn die Motoren heulen, geht sein Herz auf

Von: Ginger Hebel

27. Februar 2018

Der 38-jährige Markus Wegmann aus Zürich leidet an Duchenne und kann nur noch Kopf und Arme bewegen. Obwohl er schwer krank ist, hat er Ziele. Im Sommer reist er mit der Queen Mary nach New York.

Den «Wägi» kennen im Mathilde-Escher-Heim alle. Seit 21 Jahren geht Markus Wegmann im Stadtzürcher Kompetenzzentrum (MEH) für Menschen mit Muskeldystrophie Typ Duchenne oder einer ähnlichen Körperbehinderung ein und aus. Drei Tage die Woche arbeitet er in der geschützten digitalen Werkstätte als Grafiker, «das kommt meinem Traumberuf des Architekten nahe». Er gestaltet Glückwunschkarten, Windlichter, Notizbücher, originelle Geschenke und erstellt Websites. Er ist dankbar für diese Möglichkeit, denn das Heim gibt ihm ein Stück weit Normalität und eine Struktur, die viele Duchenne-Betroffene in dieser Form nicht haben.

Markus kam vermeintlich gesund zur Welt, mit normaler Muskelmasse und einer normalen Atemfunktion. Als er mit sechs Jahren seine Mandeln operieren musste, gab es Komplikationen, Herz und Lunge arbeiteten nicht so, wie sie sollten. «Hätte der Arzt nicht in Amerika studiert, wo meine Krankheit erforscht ist, wäre ich heute nicht mehr am Leben», erzählt er. Mit 1 bis 3 Fällen pro 5000 neugeborenen Knaben handelt es sich bei Duchenne um die häufigste Form von genetisch bedingten ­Muskelerkrankungen, die praktisch ­ausschliesslich Buben betrifft. Duchenne-Patienten fehlt das Eiweiss Dystrophin. «Während sich bei anderen Menschen der Muskel von selbst wieder aufbaut, wandelt er sich bei uns in unbrauchbares Bindegewebe um», erklärt Markus Wegmann.

Mit neun Jahren sass er im Rollstuhl, konnte aber die reguläre Schule besuchen und die Sekundarschule abschliessen. Heute, mit 38, kann er nur noch Kopf und Arme bewegen. Im Alltag ist er daher auf Hilfe angewiesen. Er lebt bei seinen Eltern, «ohne ihren Rückhalt würde ich es nicht schaffen».

Reisen mit Hindernissen

Wenn die Motoren heulen, geht sein Herz auf. Monaco mit seiner Formel-1-Rennstrecke ist seine zweite Heimat. Trotz Behinderung reist er fürs Leben gerne, auch wenn jeder Ausflug Anstrengung und Unsicherheit bedeutet. In seinem Elektrorollstuhl bewegt er sich eigenständig vorwärts. «Die Technik hat sich in den letzten Jahren stark verbessert.» Per Infrarot kann er das Licht ­anzünden und die Computermaus steuern sowie Türen öffnen und SMS über den Joystick schreiben. Alles ist im Bildschirm programmiert. «Wenn der Joystick streikt, bin ich aufgeschmissen.» Die Krankheit schreitet in Schüben voran. Seit ein paar Jahren muss er eine Atemmaske tragen, die seine Behinderung auch für Aussenstehende sichtbar macht. Auf der Strasse fragen ihn die Kinder: «Was isch das? Was häsch du?», doch das sei ihm lieber, als wenn Fremde ihn ­anstarrten und gar nichts sagten.

Seine Krankheit ist so allgegenwärtig, dass er sie manchmal vergisst. Er gehörte zu den Iron Cats, den besten Powerchair-Hockeyspie­lern der Schweiz, heute ist er mit grosser Freude Trainer. Der Powerchair-Hockey-Club aus Zürich ist im Mathilde-Escher-Heim beheimatet. Die Stiftung fördert die Sportart und hat dazu beigetragen, dass sie sich schweizweit etabliert hat.

In all den Jahren, die Markus schon mit dem Mathilde-Escher-Heim verbunden ist, hat er mit den Betreuern und anderen Duchenne-Betroffenen Freundschaften geschlossen. Immer wieder kommen neue Bewohner hinzu, deren Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten ist wie bei ihm. «Es muss schwierig sein für die Jungen, wenn sie ins Heim kommen und mich sehen. Es führt ihnen vor Augen, was noch alles auf sie zukommt.» Er weiss, dass seine Krankheit tödlich ist, zuweilen macht ihm diese Ungewissheit Angst. Doch es liegt ihm nicht, mit fremden Menschen über das Ende zu sprechen. «Der Tod», sagt er, «ist mir etwas zu persönlich.» Er glaubt aber, dass es weitergeht. «Wir sind Energie, die geht ­bestimmt nicht einfach fort.»

Im August reist er mit seiner Mutter mit dem Schiff Queen Mary von Hamburg nach New York. «Amerika zog mich schon immer magisch an.»Von einem Lebenstraum möchte er aber nicht sprechen, eher von einem nächsten grossen Ziel. «In meiner Situation ist der Tod allgegenwärtig. Wenn ich einen grössten Traum hätte und mir diesen erfüllen würde, sterbe ich dann? Ich habe lieber immer ein neues Ziel, auf das ich mich freuen kann.»

Am Sonntag, 4. März, dem «Tag der Kranken», werden schweizweit Veranstaltungen und Aktionen für kranke und beeinträchtigte Menschen durchgeführt. In Zürcher Spitälern und Heimen gibt es musikalische Unterhaltung, organisiert vom Verband Schweizer Volksmusik des Kantons Zürich. Hinter dem Tag steht der gleich­namige Trägerverein.

www.tagderkranken.ch

www.creation-handicap.ch

www.facebook.com/waegi79

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