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Reportage

Wenn der Alltag zum Urlaub wird: Lukas Nagler besuchte mit Couchsurf-Gastgeberin Anita Senn ein Konzert. Bild: Lukas Nagler

Wenn Senioren zu Gastgebern werden

Von: Jan Strobel

17. September 2013

Der Student Lukas Nagler unternahm für seine Masterarbeit eine ungewöhnliche Schweizreise – der 33-Jährige hat bei Senioren als Couchsurfer übernachtet. Am Sonntag nimmt er mit einem Generationen übergreifenden Team am Slow-up entlang des Zürichsees teil.

«Jung bleiben will halt alles, aber alt werden will kein Mensch», meinte einst der immer bissige österreichische Dramatiker Nestroy – und brachte damit ein Problem auf den Punkt, das heute brisanter nicht sein könnte: Die Distanz zwischen den Generationen scheint kaum überbrückbar. Junge fühlen sich gegenüber Senioren diskriminiert, Senioren wiederum plagt immer mal wieder ein starkes Misstrauen ­Jungen gegenüber.

Lukas Nagler, Student der Trendforschung im Departement Design an der ZHDK, möchte diese Kluft ein Stück weit zuschütten. Der 33-Jährige schreibt gerade seine Masterarbeit und untersucht darin ein Mittel der Generationenverständigung, das man gemeinhin kaum mit Senioren in Verbindung bringen würde: das Couchsurfing. Mitglieder dieses Online-Gastfreundschaftsnetzwerks bieten Reisenden eine kostenlose Unterkunft in den eigenen vier Wänden an oder reisen selbst auf diese unkomplizierte Art. Alltag vermischt sich so mit Ferien. Die Plattform wird vor allem von 25- bis 28-Jährigen rege genutzt.

Tatsächlich halten aber auch einige wenige Senioren ihre Couch für Gäste bereit, und Nagler hat bei ihnen auf einer eigenen Schweizreise für seine Feldforschung übernachtet. «Ich möchte zwei gesellschaftliche Phänomene mit steigender Wichtigkeit kombinieren: Generationenprojekte und soziales Reisen», erklärt Nagler. Durch den Trend, private Unterkünfte anzubieten, würden Reisende fremde Lebenskulturen und private Alltagssituationen erleben. «Genau hier sehe ich eine Chance, den Ausstausch zwischen den Generationen zu fördern, besonders in unserer individualisierten und älter werdenden Gesellschaft.»

Die sechs Couchsurfer, die Nagler besuchte, sind zwischen 65 und 70 Jahre alt. Sie gehören zur Generation der Babyboomer, sind also die 68er, die jetzt ins Pensionsalter kommen und in den 70er-Jahren auf eigene Faust Indien oder Afghanistan bereist hatten. «Individuell zu reisen, das ist dieser Gruppe von weitgereisten Senioren bis heute absolut wichtig, und sie haben jetzt, mit der Pensionierung, wieder eine gewisse Freiheit und Spontanität. Sie sind also auch offen für Netzwerke wie Couchsurfing», präzisiert Nagler. Sein Ziel: eine Plattform zu ent­wickeln, «die explizite, generationenübergreifende Reiseerfahrungen ­ermöglicht».

Naglers Reisetrend-Forschung kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt: 2050 wird es laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum ersten Mal in der Geschichte mehr Alte als Kinder geben. Bereits im Jahr 2030 soll jeder dritte Europäer über 60 Jahre alt sein. Ausserhalb der eigenen Familien kommen die beiden Gruppen kaum miteinander in Berührung. Beinahe 60 Prozent der jungen Erwachsenen in der Schweiz haben keine Bekannten, die älter als 70 Jahre alt sind.

Um ein Zeichen zu setzen, engagiert sich Lukas Nagler seit kurzem auch bei der Plattform Intergeneration.ch der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. Am Sonntag wird er mit einem Generationen übergreifenden Team am Slow-up  entlang des Zürichsees teilnehmen. Auf seinem Zweier-Tandem sitzt, natürlich, eine überzeugte Couchsurferin 60 plus.

Der Slow-up Zürichsee findet dieses Jahr bereits zum zehnten Mal statt. Zwischen Meilen und Schmerikon gehört die Strasse am Sonntag für einmal ganz Spaziergängern, Inlineskatern, Velo- oder Tandemfahrern. Mit dabei ist ein Team aus Mitgliedern der Plattform Intergeneration.ch, bei der sich auch Lukas Nagler engagiert. In einer Gruppe von Tandems mit jeweils jungen und älteren Fahrern sollen die Generationen miteinander in Kontakt kommen. Weitere Infos zum Generationen-Tandem und zu den Projekten der Plattform unter:
www.intergeneration.ch

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