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Reportage

«Gerold Laubers Stuhl ist ganz gemütlich»: Sonia stellt sich eine Stadtratssitzung vor. Bild: CLA

"Wir sind die Zukunft der Stadt"

Von: Clarissa Rohrbach

05. November 2013

Die Stadt hat 18-jährige Zürcher zur Party ins Stadthaus eingeladen. Die Gäste nehmen ihre Volljährigkeit ernst: Sie wollen sich für ihr Zürich einsetzen.

Die Lichter sind gedimmt, die jungen Frauen geschminkt. Feierlich betreten die volljährigen Zürcher das Stadthaus. Elektro-Beats füllen die Gull-Halle, wo jährlich 250 000 Bürger ein und aus gehen. Geburten und Hochzeiten, aber auch Todesfälle werden hier festgehalten. Auch heute begleitet die Stadt ein wichtiges Lebensereignis: Die Gäste wurden dieses Jahr alle 18 Jahre alt. Sie sitzen an den weiss gedeckten Tischen, nippen an ihrer Früchtebowle und geniessen den Tête de Moine. «Es isch no cool da!», sagt Yvee aus dem Kreis 6. Sie ist beeindruckt, dass sich die Stadt so ins Zeug legt. Die anwesenden Stadträte nehmen es als Kompliment auf, der Auftakt der Party ist gelungen.

Dann nimmt Stadtpräsidentin Corine Mauch das Mikrofon in die Hand: «Liebe volljährige Zürcherinnen und Zürcher, zahlreiche Türen gehen dieses Jahr für Sie auf – und das nicht nur im Ausgang.» Die Halle wird still, die Anwesenden spitzen die Ohren. « Mauch betont, dass die neu gewonnene Freiheit auch an Selbstverantwortung gekoppelt sei. Neben ihr übersetzt ein Dolmetscher die Rede in Gebärdensprache, eine Premiere dieses Jahr. Danach ruft sie zum Abstimmen auf. Ihrer Meinung nach sollte jeder, der in Zürich geboren wurde, auf kommunaler Ebene wählen können, leider sei das noch nicht so. Sie spricht damit auch die ausländischen Gäste an. Denn seit einigen Jahren werden alle volljährigen Zürcher eingeladen, auch diejenige ohne Schweizer Pass. Von 2500 Einladung wurden rund 300 wahrgenommen, diese Teilnahme liegt im Durchschnitt der Vorjahre.

Nach der Ansprache dringt wieder Musik aus den Lautsprechern, und die Besucher stürzen sich auf die Kürbissuppe. John schmeckt der Apéro riche gut. Der junge Mann stammt aus Thailand, macht eine Lehre als Koch und fühlt sich geehrt: «Hier lerne ich wichtige Leute kennen, das passiert mir nicht jeden Tag.» Seit er fünf Jahre alt ist, wohnt er in der Stadt und schätzt die Lebensqualität hier. «Nicht jedes Land behandelt seine junge Bevölkerung so gut; das bedeutet mir viel.»

Auch Matthias, Enzo, Moira und Lara sind gekommen, weil sie ihre Stadt lieben. «Wir sind hier aufgewachsen, es ist unsere Pflicht, uns zu interessieren.» Deswegen sind sie erstaunt, dass nur so wenige Gäste an der Feier teilnehmen. Obwohl sich nicht viel verändert hat, fühlen sie sich als Volljährige anders – endlich als Teil der Gesellschaft. Für sie ist klar: Wenn man kann, muss man abstimmen; dieses Privileg sei wahrzunehmen.

Stadträte wie du und ich

Mit vollem Bauch machen sich die Neugierigen auf den Weg in den Stadtratssaal im zweiten Stock. Jan aus Schwamendingen findet die Besichtigung sehr interessant: «Die Regierung ist für die meisten ein abstrakter Begriff. Jetzt können wir sehen, wie es hier aussieht.» Der Saal sei eigentlich ein gewöhnliches Arbeitszimmer. Dass die Stadträte auf Augenhöhe mit der Bevölkerung sind, findet er sympathisch. «Hier herrscht eben nicht so ein Personenkult.» Sein Cousin Lino würde gerne wissen, wie eine Sitzung abläuft. «Es wäre spannend, zu sehen, wie sich die Politiker wegen der verschiedenen Meinungen in die Haare geraten.»

Finanzvorsteher Daniel Leupi hilft den Jungen, sich eine Sitzung vorzustellen. Er erklärt, wo die Stadträte jeden Mittwoch sitzen und wo diejenigen Platz nehmen, die Projekte oder Vorlagen vorstellen. «Im Sommer müssen wir manchmal die Fenster schlies­sen, weil frisch verheiratete Paare draussen vor Freude so laut sind, dass wir uns kaum noch verstehen.»

«Wow, in diesem Zimmer wird alles entschieden, megaspannend», sagt eine junge Frau, die neben der Stadtschreiberin Claudia Cuche Curti steht. Um diese hat sich ein Grüppchen gebildet, das mehr über die Stadtverwaltung wissen will. «Wie viele Angestellte hat die Stadt?», fragt jemand. «2300!», schätzt ein anderer. Cuche Curti löst das Rätsel: Es seien rund 25 000 Mitarbeiter. «Ein riesiger Arbeitgeber!», staunen die Zuhörer. Danach wollen sie wissen, ob auch Spitäler und die VBZ zur Stadt gehörten. Die Stadtschreiberin bejaht und meint, dass der Jahrgang 1995 sich besonders interessiert zeige.

Kurz darauf sitzt Sonia aus Wiedikon mit einer Selbstverständlichkeit in Gerold Laubers Stuhl. «Er ist sehr gemütlich», stellt sie fest. Und der Vorsteher des Schul- und Sportdepartements habe es ihr angetan, weil sie das Bildungswesen exemplarisch finde. Es werde hier allgemein gut für den Nachwuchs gesorgt. Die Feier sende das Signal aus, dass Zürich auf seine jungen Leute zähle. «Wir sind die Zukunft der Stadt und müssen uns einsetzen.» Sonia hat bereits aus Überzeugung gegen das neue Stadion abgestimmt. «Das Geld brauchen wir für Wichtigeres als Fussball.»

Junge wollen Stadt beleben

Auch im Hof finden hitzige politische Diskussionen statt. René Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartements, diskutiert animiert mit den 18-Jährigen über die 1:12-Initiative und Mindestlöhne. «Es ist gut, wenn jeder eine starke Meinung hat, so entstehen spannende Debatten», sagt der SP-Politiker und fügt scherzhaft hinzu, «Zürichs politischer Nachwuchs ist gesichert.»

Die Anwesenden im Stadthaus scheinen ihre Verantwortung als Volljährige ernst zu nehmen. «Ich konnte es kaum erwarten, über mein Umfeld mitentscheiden zu können», sagt Reto aus Wollishofen. Er findet die Offenheit der Jungen wichtig für Zürich, damit die Leute sich nicht allzu sehr versteifen. Und auch Nachwuchssportler seien essentiell. Seine Kollegin Seraina studiert Jus und findet die Kombination von Altem, Modernem und der Natur in Zürich einmalig. Auch die Verbindungen des ÖVs seien in keiner anderen Stadt so gut. Und doch sieht sie Handlungsbedarf: «Die Aufgabe der Jungen ist, die Stadt mit Neuem zu bereichern, sie zu beleben.»

Um 22 Uhr packt der DJ seinen Computer ein. Die letzten Gäste geben beim Weggehen noch das Quiz ab, bei dem sie ein Abo für die Badis gewinnen können. Fragen wie «Nach wie vielen Jahren wird der Stadtrat neu gewählt» wurden alle beantwortet. Das Stadthaus ist nun leer, aber die Stadt um einige Hundert engagierte, volljährige Zürcher reicher.

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