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Reportage

Kinder staunen: Die Objekte im Landesmuseum erzählen im Licht der Taschenlampen packende Geschichten.

Wo nachts die Drachen lauern

Von: Clarissa Rohrbach

14. Januar 2014

Historische Objekte sind alles andere als langweilig. Vor allem, wenn man sie im Dunkeln erforscht. Diese Kinder waren nachts alleine im Landesmuseum.

Für diese Führung braucht es Mut. Ein Grüppchen Kinder wird sich an diesem Abend in Begleitung ihrer Eltern «Nachts alleine im Museum» befinden, und das ganz im Dunkeln. Auf dem Weg ins Märchenschloss ziehen sich ihre Schatten die Fassade entlang, während ihre Herzen ein bisschen schneller schlagen. Welche furchterregenden Gestalten, welche Ungeheuer aus vergangenen Zeiten erwarten sie im Landesmuseum?

«Wir sind nun ganz alleine hier, alles ist finster», sagt die Fachreferentin Sophie Krummenacher, während sie die Taschenlampen verteilt. Sie hat sich heute das Thema «Reisen» vorgenommen. «Ich habe zwar einen roten Faden, aber die Führung gestaltet sich interaktiv, die Kinder bestimmen die Geschichte selber.» 

Die Tür zum ersten Saal der «Galerie Sammlungen» öffnet sich. Aufgeregt leuchten die Kinder den Raum aus, alte Porträts und eine barocke Kommode blitzen auf. Dann bewundert die Gruppe einen Rennschlitten, der aussieht wie ein Rabe.

Die Kinder betrachten den Schlitten genau. «Mit sorgfältiger Beobachtung entdeckt man viel mehr, als einem die Beschriftung verrät.» Historikerin und Primarlehrerin Sophie Krummenacher legt Wert auf die Interaktivität der Führung. Sie fragt, aus welchen Materialien die Kufe, der Sitz und der Körper des Gefährts bestehen. «Eisen, Stoff, Holz!», antworten die Kinder. Und schon stellen sie sich die Schmiede, Schneider und Schreiner vor, die an dem Gegenstand werkten. «Es sollen Bilder im Kopf entstehen, die nicht vergessen gehen», erklärt die Pädagogin. Und, wieder an die Teilnehmer gerichtet: «Stellt euch vor, ein Pferd zieht uns, und wir bereisen jetzt die ganze weite Welt. Sucht die Erdkugel!»

Stolz auf die neue Mission, marschieren die Kinder los, ihre Schritte widerhallen im stillen Saal. «Oh, ein Esel!», schreien sie. Dass darauf ein ziemlich griesgrämiger Jesus sitzt, interessiert sie weniger. An ein paar Heiligen vorbei erreichen sie den 1570 hergestellten St.  Galler Globus. «Damals gab es Leute, die hatten ganz viele Schiffe, die in exotische Länder fuhren. Was, glaubt ihr, brachten sie nach Europa?» «Elefanten!», meint ein überzeugter Fünfjähriger. «Leider nicht, es war etwas Kleineres, aber unglaublich Kostbares: Gewürze.» Krummenacher fragt nun die Kleinen, was sie auf dem Globus sehen. Ein Lichtstrahl erhellt ein vermeintliches Krokodil, das sich bald als Meeresmonster entpuppt. Damals hätten die Menschen die Ozeane noch nicht so gut gekannt, erklärt die Expertin, diese bargen viele unbekannte, aber auch fantastische Gefahren. Um das lückenhafte Wissen in der Renaissance zu verdeutlichen, zeigt sie auf einen ­Flecken Wasser, wo eigentlich Australien eingezeichnet sein sollte. «Die Schiffe gelangten noch nicht bis dorthin. Wo seht ihr noch ein Schiff?» Die Kinder suchen und bestaunen alsbald eine Fregatte aus Silber und Gold, die im Dunkeln funkelt. Die winzigen Männer darauf bestreiten gerade einen Kampf, einige tragen Turbane. «Die Meere waren auch gefährlich wegen der Piraten», erklärt Krummenacher. Nachdem sie mit zwei Papierschiffen die verheerenden Folgen einer Kanonenattacke gemimt hat, erklärt sie den Ursprung des Objekts. 1682 habe Franz von Sonnenberg den Pokal seiner Heimatstadt Luzern geschenkt. Daraus hätten die Leute in guten Zeiten Wein ausgeschenkt. In schlechten Zeiten wurden andere goldene Gefässe eingeschmolzen und das Gold schliesslich zu Münzen geschlagen.

«Auch diese Männer trinken Wein, schaut», sagt Krummenacher und zeigt auf eine Kachel. Die sei aus Ton, wer denn wisse, was Ton sei? «Das ist Erde zum Formen und dann Brennen», meint ein übereifriger 10-Jähriger. Die Animatorin nickt und erklärt, was die abgebildeten Zürcher Zünfter aus dem 17. Jahrhundert verband. «Früher gab es viele Männer, die den gleichen Beruf hatten. Tagsüber arbeiteten sie zusammen, und abends, da tranken und redeten sie.» Ein Mädchen beäugt eine nackte Frau auf einer anderen Kachel und will wissen, was es damit auf sich hat. «Diese Geschichte erzähle ich dir, wenn du etwas älter bist», sagt Krummenacher und verkneift sich ein Lächeln.
Zum Schluss müssen die Kinder einen Drachen suchen. Sie nehmen am Boden Platz, unter einem Bild, das die Legende vom heiligen Georg wiedergibt. Darauf glänzt die schöne Stadt Silena mit ihrem blauen See. Doch dann beginnt Krummenacher eine drastische Gute-Nacht-Geschichte im Dunkeln zu erzählen. «Eines Tages wurde das Wasser schwarz, und daraus stieg ein Drache empor. Seine Krallen waren wie die eines Adlers, seine Augen wie die eines Löwen. Er verlangte für jeden Tag ein Opfer aus der Bevölkerung. Ausgerechnet die Prinzessin wurde ausgelost! In ihrem karminroten Kleid betete sie für ihr Leben. Und dann, wie ein Wunder, erschien der Ritter Georg. Mit seiner Lanze durchstach er den Drachen, zähmte ihn  und rettete so die Prinzessin. Der König überreichte ihm zum Dank den Schlüssel für einen Schatz. Und jetzt könnt ihr auch euren Schatz suchen!»

Es herrscht wieder Aufregung in den Hallen des Landesmuseums. Die Kinder durchforsten jede Ecke, bis sie die Schatztruhe gefunden haben. Darin gibt es Goldschöggeli für alle. Die Führung ist zu Ende, aber nach Hause will niemand so richtig.

Nach dem offiziellen Teil schleichen die kleinen Besucher mit ihren Eltern immer noch durch das Dunkel. Ein Grüppchen bleibt vor zwei kopflosen Menschen stehen. Es sind Felix und Regula, Zürichs Stadt­patrone. Die Kinder schauderts. Wer ­hätte gedacht, dass es auch hier so gruselig zu- und hergeht.

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