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Reportage

Mit temporären Wohnsiedlungen, wie hier auf dem Fogo-Areal in Zürich-Altstetten, wird auf den angespannten Wohnungsmarkt für Geflüchtete reagiert. Bild: PD

Wohnungsknappheit setzt auch Flüchtlingen zu

Von: Jan Strobel

05. März 2021

Der nach wie vor ausgetrocknete Wohnungsmarkt in der Stadt Zürich macht es besonders auch für anerkannte Flüchtlingsfamilien schwer, selbstständig eine adäquate Bleibe zu finden. Den Druck spürt auch die Asylorganisation Zürich (AOZ). Jetzt wurde Kritik am Unterbringungskonzept laut.

In der Stadt Zürich breitet sich seit Ende der 1990er-Jahre eine Wüste aus – es ist die Wüste des Wohnungsmarkts. Vergangenen Juni standen in der Stadt Zürich gerade einmal 339 Wohnungen leer. Das waren zwar 33 mehr als im Vorjahr; dennoch liegt die Leerwohnungsziffer aktuell bei bescheidenen 0,15 Prozent.

Eine Gruppe, die das besonders hart trifft, aber nur selten in den Diskussionen um die Wohnraumsituation in der Stadt Zürich auftaucht, sind Geflüchtete, insbesondere anerkannte Flüchtlinge mit dauerndem Bleiberecht. Ihre Chancen, in der Stadt Zürich eine Wohnung zu finden, sind wie für viele andere Menschen aus verschiedenen Gründen erschwert. Sie benötigen Unterstützung, um auf dem freien Markt adäquaten Wohnraum finden zu können.

In der Stadt Zürich hat die Fachorganisation AOZ (Asylorganisation Zürich) einen umfassenden städtischen Auftrag. Sie ist bei Geflüchteten, die der Stadt vom Kanton zugewiesen wurden, zuständig für die Sozialhilfe inklusive Unterbringung, für die berufliche und soziale Integration sowie für besondere Integrationsleistungen. Die AOZ strebt gemäss ihrem Grundsatz im Unterbringungskonzept an, «für alle Klientinnen und Klienten das Wohnen auf dem freien Wohnungsmarkt» zu ermöglichen. Die Geflüchteten sollen möglichst schnell selbstständig ihren Alltag bestreiten können.

Als Übergangslösung bis zum Übertritt in den freien Wohnungsmarkt werden Geflüchtete in einer AOZ-Liegenschaft untergebracht. Dazu mietet die AOZ einzelne Wohnungen oder ganze Liegenschaften zur Zwischen- oder langfristigen Nutzung an oder bringt Geflüchtete in ihren temporären Wohnsiedlungen unter. Zurzeit hat die AOZ in der Stadt Zürich 73 Einzelwohnungen und 43 Liegenschaften gemietet und verfügt über sieben temporäre Wohnsiedlungen. Die meisten Einzelwohnungen befinden sich in den Stadtkreisen 6 und 11, die meisten Liegenschaften weiderum in den Stadtkreisen 2 und 11. Aus Datenschutzgründen werden keine Adressen der Mietobjekte veröffentlicht.

Psychischer Stress
Am Unterbringungskonzept der AOZ indessen wurde jüngst Kritik laut. Marie-Louise Fridez ist pensionierte Heilpädagogin. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft befand sich am Wydäckerring in Zürich-Albisrieden eine Wohnüberbauung aus den 1970er-Jahren. Anfang dieses Jahres wurden die Gebäude zugunsten einer neuen Arealüberbauung abgerissen. Als Zwischennutzung hatte die AOZ ab Frühjahr 2011 einige Wohnungstrakte in der Überbauung für Geflüchtete anmieten können.

Marie-Louise Fridez engagierte sich für die neuen Bewohner in ihrem Quartier ehrenamtlich. Im kleinen Verein «Deutschkafi» unterstützte sie Geflüchtete in der Siedlung Wydäckerring beim Üben der deutschen Konversation. «Der Wohnraum in dieser Siedlung war in manchen Fällen schlicht nicht angemessen», sagt Marie-Louise Fridez. «Es gab Fälle, in denen Kinder mit einem Elternteil oder mit beiden Eltern in 1-Zimmer-Wohnungen unter beengten Bedingungen und ohne Möglichkeiten zur gegenseitigen Abgrenzung lebten.»

Besonders beschäftigte Marie-Louise Fridez das Wohl der Kinder aus Familien anerkannter Flüchtlinge und vorläufig aufgenommener Eltern. «Sie fristen in der Stadt Zürich in zu kleinen Wohnungen ohne angemessene Lernatmosphäre, ohne adäquate Raumaufteilung, ein wenig kindergerechtes Dasein», findet sie. Das Recht auf psychische Gesundheit und eine kindgerechte Entwicklung sei für diese Kinder so nicht erreichbar. Hinzu komme, dass bereits beim Einzug nach der Wohnungszuteilung durch die AOZ die Befristung des Wohnverhältnisses klar sei. Stattdessen würden die Familien «regelmässig aus Abbruchliegenschaften oder Renovationsprojekten umquartiert».

Für Kinder, so Marie-Louise Fidez, bedeute jeder Wohnortwechsel eine zusätzliche Belastung und psychischen Stress. Eine Verwurzelung im Quartier und in der Schule oder eine angemessene soziale Entwicklung und Vernetzung seien so nicht möglich. «Diese Situation verhindert nicht nur die Armutsbekämpfung, sondern öffnet der Entstehung von Parallelgesellschaften Tür und Tor», sagt Marie-Louise Fridez. Kinder von Geflüchteten seien häufig nicht nur vorübergehend vom Dasein in solchen temporären Wohnverhältnissen betroffen. «Häufig leben sie mit ihren Familien jahrelang in solchen beengten Wohnungen. Sie werden zu einem Dauerzustand, obwohl das Finden von angemessenem Wohnraum zu tragbaren Bedingungen auf dem freien Markt zu den Sozialzielen von Bund und Kanton gehören.»

Marie-Louise Fridez jedenfalls pocht auf der Einhaltung der Kinderrechtskonvention, in welcher unter anderem auch das Bedürfnis nach Stabilität in der gewohnten Alltagsumgebung wie auch das Bedürfnis nach angemessener Privatsphäre und Wohnraum als Grundrechte festgeschrieben sind.

Möglichst lange nutzen
«Das Wohnen und die Unterbringung sind ein wichtiger Aspekt des Kindswohls und der Kinderrechtskonvention – nebst zahlreichen anderen, ebenfalls wichtigen Komponenten», macht Thomas Schmutz von der AOZ deutlich. Gemäss ihrem Auftrag kümmert sich die AOZ umfassend um die soziale, berufliche, sprachliche und schulische Integration ihrer Klientinnen und Klienten. Dabei lege sie ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen, Familien und vulnerablen Personen.

«Die Situation auf dem freien Wohnungsmarkt ist in der Stadt Zürich seit längerer Zeit anspruchsvoll. Viele Bevölkerungsgruppen, unter anderem auch Geflüchtete, bekunden Mühe, bezahlbaren Wohnraum zu finden», sagt Thomas Schmutz. Institutionen mit einem Unterbringungsauftrag sind ebenfalls mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Insbesondere in Zeiten, da die Flüchtlingszahlen in kurzer Zeit stark ansteigen: Im Herbst 2015 zum Beispiel mussten in Zürich innerhalb von zwei Monaten 800 zusätzliche Personen aufgenommen werden.

Aktuell sind die Stadt beziehungsweise die AOZ im Rahmen des kommunalen Aufnahmekontingents verpflichtet, in Zürich die Unterbringung von 2100 Geflüchteten zu gewährleisten. «Die AOZ unternimmt seit Jahren extrem viel, um immer genügend adäquaten Wohnraum für diese Personen bereitzustellen. Sie geht nach Möglichkeit langfristige Mietverträge ein, sie arbeitet eng mit Genossenschaften oder mit den Liegenschaften Stadt Zürich zusammen. Und sie erstellt selbst temporäre Wohnsiedlungen, die über eine lange Zeit genutzt werden können – wie beispielsweise auf dem Fogo-Areal beim Bahnhof Alt­stetten. Auf der Suche nach Wohnraum muss die AOZ aber immer wieder auch auf Zwischennutzungen zurückgreifen – wie dies während zehn Jahren in der Überbauung Wydäckerring der Fall war», so Schmutz.

Auch die Unterbringung von Geflüchteten bei Privaten strebt die AOZ an. Dank viel Unterstützung und Solidarität aus der Bevölkerung war sie damit kurzzeitig erfolgreich: Während der sogenannten Flüchtlingskrise im Herbst 2015 stiess der Aufruf, privaten Wohnraum direkt an Geflüchtete oder auch via AOZ zu vermieten, auf gute Resonanz.

Kinderrechte stärken
Den Vorwurf, Geflüchtete einfach in Abbruchliegenschaften einzuquartieren, weist Thomas Schmutz entschieden zurück. «Zwischengenutzte ältere Gebäude oder Wohnungen bringt die AOZ mit eigenen Mitteln in einen absolut gebrauchsfähigen und sauberen Zustand, bevor Geflüchtete dort einziehen. Und wie in allen ihren Wohnliegenschaften kümmert sich die AOZ dort laufend um die notwendigen Unterhalts- und Instandstellungsarbeiten», macht Thomas Schmutz deutlich.

Gemäss dem internen Unterbringungskonzept stellt die AOZ die Grundausstattung einer solchen Wohnung zur Verfügung, konkret ein Bett, einen Tisch, Stühle, einen Schrank und bei Bedarf einen Kühlschrank und ein Rechaud.

Bei der Belegung geht die AOZ vom Grundsatz aus, dass sich zwei Personen ein Zimmer teilen und Kinder bis zum Kindergartenalter bei ihren Eltern im Zimmer platziert werden können. Jugendliche und junge Erwachsene können mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil im gleichen Zimmer untergebracht werden. «Die AOZ achtet darauf», sagt Thomas Schmutz, «dass Familien mit Kindern möglichst selten umziehen müssen. Ist ein Wechsel der Wohnung nicht vermeidbar, wird zumindest ein Verbleib im selben Schulkreis angestrebt».

Wohnungswechsel seien dann nicht vermeidbar, wenn die Liegenschaft an den Eigentümer zurückgegeben werden müsse oder sich die Familienverhältnisse, etwa durch einen Familiennachzug, ändern würden, so Schmutz. «In ihrer täglichen Arbeit fühlt sich die AOZ der UNO-Kinderrechtskonvention beziehungsweise ihrer Umsetzung in der schweizerischen Gesetzgebung vollumfänglich verpflichtet. Dies beinhaltet nicht nur die Wohnsituation, sondern auch die physische und psychische Gesundheit und Unversehrtheit oder die schulische Integration und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten.»

Beim Übergang in den freien Wohnungsmarkt unterstütze die AOZ die Geflüchteten bei der Wohnungssuche. «Aktuell leben rund 60 Prozent aller durch die AOZ betreuten Geflüchteten in der Stadt Zürich in Wohnungen des freien Marktes, zum Teil in Genossenschaftswohnungen oder in städtischen Wohnungen. Dahinter stehen eine kompetente individuelle Förderung durch die AOZ sowie eine gut eingespielte Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen», sagt Thomas Schmutz.

Auch Maire-Louise Fridez unterstreicht die Wichtigkeit einer solchen Unterstützung, auch durch Stiftungen. Alle Familien, welche sie begleitet habe, hätten im Anschluss schliesslich eine Wohnung gefunden, sagt sie. Dennoch fordert sie, die Situation derjenigen Kinder zu verbessern, die mit ihren Eltern in zu kleinen Wohnungen leben, und ihnen Schutz und Unterstützung im Lebens- und Schulalltag besser sicherzustellen. «Viele Eltern mit Fluchthintergrund können ihre Verantwortung kaum oder gar nicht wahrnehmen, weil sie selber von Armut, fehlender Schulbildung und Ausgrenzung betroffen sind. Die Kinder bleiben dann schlicht auf der Strecke.»

Die AOZ sei gefordert, bei der Zuteilung von Wohnungen an Familien das vorrangige Wohl von minderjährigen Kindern konsequenter anzuwenden. Neben Kindern mit Fluchthintergrund seien von der allgemeinen Wohnraumsituation in der Stadt ebenso Kinder in prekären Verhältnissen betroffen.

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