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Reportage

"Hier legt sich der Schweizer Kleinbürger so richtig ins Zeug": Schrebergärten beim Panoramaweg.

Zürcher Genossenschafter und ihr Traum vom Öko-Paradies

Von: Jan Strobel

05. März 2013

Junge Genossenschafter holten sich vom kritischen Publizisten und Architekten Benedikt Loderer Inspiration für ihren grossen Plan.

Die Schweizer Fahne weht an diesem grauen Vormittag etwas traurig über den Schrebergärten am Panoramaweg, und dennoch dringt durch die ganze Tristesse das Gelächter der Genossenschafter, die sich hier mit dem Publizisten und Architekten Benedikt Loderer zu einem Stadtspaziergang treffen. Loderer, gewohnt bissig, hat sich gerade über diese Gärtchen mokiert. Hier, findet er, lege sich der Schweizer Kleinbürger so richtig ins Zeug, da dürfe natürlich die Fahne auch nicht fehlen.

Besonders das Stichwort Kleinbürger erheitert offenbar die Gruppe. Die kürzlich gegründete Genossenschaft nennt sich Nena1, Neustart Nachbarschaft, und sie ist beseelt von einer Utopie: Sie möchte die ganze Stadt umbauen, die sie als asozial und zu wenig ökologisch empfindet. Sie will das Zusammenleben revolutionieren, Dörfer in der Stadt errichten, verdichtete Mikrozentren, die sich nicht etwa der 2000-Watt-Gesellschaft, sondern, noch radikaler, der 1000-Watt-Gesellschaft verschreiben. Der Schrebergärtner, der sich lieber seinen Tulpen widmet als der Eigenproduktion von Nahrungsmitteln, ist da im Grunde ein Sünder, der wertvolles Land zulasten der Gemeinschaft verschwendet. Benedikt Loderer, der immer wieder hartnäckig die «Hüsli-Schweiz» und den Siedlungsteppich kritisiert, ist für diese ökologisch Bewegten der richtige Mann, der ihnen einen Querschnitt durch den Wohnungsbau der letzten hundert Jahre zeigen wird, «eine Sammlung von Versuchen, wie man richtig wohnt», sagt Loderer.

Die neue Familie
Die Tour führt quer durch das Friesenbergquartier mit seinen ausgedehnten Genossenschaftssiedlungen aus den verschiedensten Epochen. Zum Beispiel die Häuser aus den 50er-Jahren im Rossweidli. Loderer zeigt hier, welche Rolle mit zunehmendem Wohlstand das Auto zu spielen begann. Jede Wohnung bekam ihre eigene Garage, von Veloabstellplätzen konnte keine Rede sein, heute natürlich ein absolutes No-go im Genossenschaftsbau. Das wird gleich um die Ecke in der neu errichteten Siedlung der Familienheim-Genossenschaft Zürich deutlich. Für Loderer ist sie ein Paradebeispiel modernen Wohnens. «Hier lebt die heutige, ökologisch bewusste, junge Familie. Alle haben mindestens vier Velos», schwärmt er. Und auch das «Gärtli-Denken» existiert hier an der Baumhaldenstrasse scheinbar nicht. Es gibt in dieser Siedlung keine übergrossen Grünflächen, sondern jeweils nur ganz kleine Gärtchen, «wie ein Badetuch der Wohnung», findet der Stadtführer, «es braucht einfach nicht mehr». Auch die Genossenschafter sind begeistert. So ähnlich könnten sie sich ihre erste eigene Siedlung auch vorstellen. Keine Autos, dafür kleine Gärtchen mit Eigenproduktion für die Grossküche.

Die Stimmung kippt danach allerdings wieder ein wenig, als es durch die Siedlung Gehrenholz geht, gebaut in den späten 80er-Jahren als kleines Dörfchen von Hauseigentümern mit Gartenlandschaften und Teichen. Hier steht weniger die Gemeinschaft im Vordergrund als vielmehr die gepflegte Privatsphäre. «Der Hauseigentümer wird eben immer noch als besserer Mensch betrachtet als der Mieter», wirft ein Teilnehmer etwas missmutig ein. «Irgendwie erinnert mich das hier an ein kleines, exklusives Ghetto.»

 Gegen Ende hat Loderer dann aber doch noch ein anderes Beispiel parat, wohin die Reise gehen könnte – die imposanten Neubauten an der Binzallee. Sie haben keinen dörflichen Charakter mehr, sondern kommen städtisch und wirklich verdichtet daher, mit grosszügigen Balkonen, die als Freiluftzimmer dienen. Dennoch vermisst der Architekturkritiker Geschäfte in den Erdgeschossen. «Schaut darauf, dass ihr das Erdgeschoss nicht unbedingt für Wohnungen nutzt. Am einfachsten wird es ohnehin sein, wenn ihr ein altes Lagerhaus umbaut für eure erste Genossenschaftssiedlung.»

 Die junge Wohngenossenschaft Nena1 träumt allerdings von einem ganz anderen Ziel: Sie möchte auf dem Kasernenareal zwei «Modellnachbarschaften» errichten, Konsumgemeinschaften mit günstigem Wohnraum für 500 bis 600 Menschen, die für die Lebensmittelversorgung mit regionalen Agrarbetrieben zusammenarbeiten. Dazu soll es Gästehäuser geben, Lebensmittellager, Bibliotheken oder eine Grossküche. Es soll ein nachhaltiges Paradies inmitten der Stadt entstehen. Andere würden vielleicht sagen: das Dornach des 21. Jahrhunderts. 

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