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Reportage

Der Fröschengraben um 1864, kurz bevor er zugeschüttet wurde, um die Bahnhofstrasse zu bauen. Bild: Baugeschichtliches Archiv Stadt Zürich

Zürichs umkämpftes Luxuspflaster

Von: Clarissa Rohrbach

19. August 2014

Die Bahnhofstrasse wird 150 Jahre alt. Heute zieht sie Touristen aus der ganzen Welt an. Dabei sträubten sich die Zürcher lange dagegen, sie zu bauen.

September 1863: Die Zürcher rümpften die Nase. Der Stadtrat hatte soeben im «Tagblatt» zur Bürgerversammlung aufgerufen, an der es galt, über das Bauprojekt Bahnhofstrasse abzustimmen. Viel zu teuer sei es, argumentierten die Gegner. Eine reine Geldverschwendung. Wieso die Zürcher schliesslich zähneknirschend doch noch Arnold Bürklis Plan guthiessen? Um einen Fahrweg zu haben, der zum kleinen Bahnhof der Nordostbahn führte. Die Bauarbeiten begannen im Mai 1864. Niemals hätten die Stadtbewohner damals gedacht, dass damit der Grundstein für eine «Traumstrasse», eine der bekanntesten der Welt, gelegt wird.

Dort, wo sich heute Luxusgeschäfte und Banken aneinanderreihen, floss bis zum 19. Jahrhundert stinkendes Wasser. Der Fröschengraben (siehe grosses Bild) wurde im 12. Jahrhundert zur Verstärkung der Stadtmauern angelegt. Bauern mussten den Schlamm, der sich dort ansammelte, ausschaufeln, um Bussen abzuarbeiten. Auf dem heutigen Paradeplatz verkauften sie Säue, daneben stand nur ein öffentliches Klo. Zürich fing damals beim Rennwegtor an und endete rechts der Limmat mit dem Schanzengraben. Niemand kam auf die Idee, dass die Stadt darüber hinauswachsen würde.

Auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts glaubten die 17 000 Einwohner -– das waren viel weniger als in ­Basel und Bern – nicht daran, dass Quartiere ausserhalb des mittelalterlichen Kerns entstehen könnten. Viele sahen den Sinn des Bahnhofstrasse-Projekts nicht. Auch der Kanton zögerte lange, da sich dessen Militäranlagen vor dem Bahnhof befanden. Schliesslich aber willigte er ein, die Kaserne nach Aussersihl zu verlegen, und unterstützte das Projekt mit 250 000 Franken. Speziell darüber freute sich der Hotelpionier Johannes Baur, welcher bereits 1838 das heutige Savoy gebaut hatte und anfangs wohl als Einziger von der Bahnhof­stras­se profitierte.

Und so wurde der übel riechende Fröschengraben zugeschüttet. Ein Jahr später war die untere Bahnhofstrasse bereits fertig. Doch niemand riss sich darum, dort ein Geschäft zu eröffnen. Die Zürcher wohnten lieber entlang des neuen Boulevards, da sich das Handelszentrum immer noch beim Rathaus befand. 20 Jahre später beleuchteten Gaslaternen die Pflastersteine, auf denen das von Pferden gezogene Rösslitram rollte, und es entstanden die ersten Kaufhäuser. Elegant gekleidete Damen und Herren reisten an, um die kostbaren Stoffe zu bewundern, die in den Schaufenstern schimmerten. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Bahnhof­stras­se zu dem, was sie heute ist. Reiseführer priesen sie als «die schönste Geschäftsstrasse Europas, wenn nicht der Welt». Oder wie es ein Journalist in der «Tagblatt»-Spezialausgabe von 1964 zum 100-Jahr-Jubiläum ausdrückte: «Für den Zürcher ist sie der Begriff der grossen Welt, unter dem er sich Reichtum, Schönheit und Internationalität vorstellt.»

Die teuerste Strasse Europas

Ein Quadratmeter an der Bahnhofstras­se kostet zurzeit rund 14 000 Franken pro Jahr. Teurer sind nur die Causeway Bay und die Queens Road in Hongkong sowie die Fifth Avenue in New York und die New Bond Street in London. Paris, Tokio, Rom und Mailand liegen weit hinter Zürich. Auch die Umsätze an der Bahnhofstrasse gehören zu den besten der Welt, denn hier gibt es weltweit die höchste Kaufkraft. Der jährliche Quadratmeterumsatz von 20 000 Franken ergibt auf der gesamten Ladenfläche eine Summe von 2,7 Milliarden Franken. 30 Prozent der Ware werden in der ­Adventszeit verkauft.


Wie begehrt die Bahnhofstrasse ist, zeigt die rasante Steigerung der Mietpreise: Seit 1998 haben sich diese vervierfacht. Kauffreudige Touristen aus Fernost, den Golfstaaten und Russland kurbeln das Geschäft an und locken internationale Ketten, Luxusmarken und Juweliere an. Das hat seit dem Jahr 2000 zu 53 Mieterwechseln in den 114 Liegenschaften an der Bahnhofstrasse geführt.


Nur noch 13 Prozent der Geschäfte werden von lokalen, individuellen Firmen geführt. Das stösst beim Kleingewerbe auf Kritik. Laut «Bilanz» ist es ein offenes Geheimnis, dass alteingesessene Mieter für die Restlaufzeit ihres Vertrages ein Schlüsselgeld bekommen. Das höchste je bezahlte beträgt 7 Millionen Franken. Trotz des Verdrängungskampfs oder des «Rauskaufens», wie es in der Branche genannt wird, sieht die City Vereinigung keinen Grund zur Sorge. Die Detailhändler würden am Rennweg, am Limmatquai oder an der Löwenstrasse neue Standorte finden.

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