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Reportage

Zurück in die Reformationszeit: Anatole Taubman (als Leo Jud), Regisseur Stefan Haupt, Max Simonischek (Huldrych Zwingli) und Sarah Sophia Meyer (Anna) auf dem Set des Zwingli-Films im Grossmünster. Bilder: Aliocha Merker

Zwingli ist wieder da – vor der Kamera im Grossmünster

Von: Irene Genhart

27. Februar 2018

Noch bis Anfang April dreht der Zürcher Regisseur Stefan Haupt einen Film über den Reformator Huldrych Zwingli. Es stehen dabei teilweise über hundert Leute gleichzeitig vor der Kamera. Im Grossmünster wurde das Mittelalter möglichst authentisch rekonstruiert.

Die letzten Tage war in und um Zürichs Grossmünster gross was los. Die Kirche sei wegen Dreharbeiten vorübergehend geschlossen, informierte ein Plakat auf dem Platz vor dem Haupteingang. Darum herum parkierten Autos. Links der Tür stand ein improvisierter Unterstand. Ab und zu huschten von der Helferei seltsam gekleidete Gestalten über den Grossmünsterplatz und schlüpften in die Kirche: Seit ­Mitte Februar dreht Stefan Haupt seinen neuen Film.

«Zwingli» titelt dieser und handelt von den Zürcher Jahren des Reformators. Genauer: Der Zeit vom 1. Januar 1519, als Zwingli von Einsiedeln kommend im Grossmünster das Amt als Leutpriester antritt, bis zu seinem Tod im Herbst 1531. Die Schlacht bei Kappel allerdings, in der Zwingli stirbt, werde er nicht drehen, sagt Haupt, nach Schlachtgetümmel ist dem Filmemacher nicht, der mit «Der Kreis», «Finsteres Glück» und «Utopia Blues» schon einige eindrückliche Zürcher Filme drehte.

Katholische Pracht
Es ist der achte Drehtag. Haupt steht mitten im Kirchenschiff. Um ihn herum herrscht Gewusel: Man richtet ein für die nächste Szene. Am Vormittag taufte man Ulrich und Anna Zwinglis Erstgeborene. Grad mal zwei Wochen alt ist das Baby, dem die Ehre ­zukommt, es wird, wenn immer möglich, durch eine Puppe ersetzt. Max Simonischek («Die göttliche Ordnung») spielt Zwingli, Sarah Sophia Meyer («Schellen-Ursli») Anna. Vor einer ­Woche traten die beiden hier vor den Traualtar. Damals präsentierte sich das Grossmünster noch in vor-reformatorisch katholischer Bilderpracht: Man scheute keine Mühe, die historischen Schauplätze möglichst authentisch zu rekonstruieren. So hat man aus dem Grossmünster nicht nur die Hälfte der Bänke und die Hängelampen entfernt, sondern zwischen Kirchenschiff und Chor einst vorhandene Altäre und ein schmiedeeisernes Tor wieder eingebaut. Su Erdt, welche die Ausstattung betreut, hat an den Wänden Malereien angebracht und die Chorherrenstühle in roten Samt gefasst – zu schweigen von zahllosen kleinen Details wie den Kerzenleuchtern, die auch in der Kirche stehen.

Nun ist das Set bereit, Haupt setzt sich an den Monitor, man probt den Szenenablauf. Max Simonischek, der während des Umbaus herumplauderte, geht sich umziehen. Er muss heute nicht mehr vor die Kamera, geht stattdessen zum Reitunterricht. Auf die Kanzel tritt Patrick Rapold («Akte Grüninger»). Er trägt eine Ohrenmütze wie Simonischek und wie dieser ein reformatorisches Pfarrergewand: Auch bei den Kostümen scheute man keinen Aufwand. Der Grundstock stammt aus einem spanischen Verleih, den Rest hat man zusammengesucht, selber gefertigt.

 Eine der wichtigsten Personen am Set ist die Kostümbildnerin Monika Schmid. Sie ist unermüdlich im Einsatz. Als sie einmal kurz in der Kirche auftaucht, lässt Haupt ein «Happy Birthday» anstimmen, man kann Geburtstage während eines Drehs nicht gross feiern.

Nun gilt es ernst: «Ruhe, wir drehen». Es wird mucksmäuschenstill. «Und bitte», sagt Haupt. «Die mit Tränen säyen, werden mit Freude ernten», hebt Rapold zu predigen an und wechselt dann in Schweizer Mundart. Er spielt Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger. Von der neuen Freiheit, die man in den letzten Jahren kennen gelernt hat, erzählt er. Dass diese viel gekostet habe, und dass man die neue Menschlichkeit weiterpflegen werde … «Cut!», heissts dann. Zwei-, drei‑, viermal wird wiederholt. Einmal unterbricht Haupt, gibt eine Anweisung. Man ist gut eingespielt nach den acht ersten Tagen.

Ein einziger Liebesbrief
Wieder baut man um. Dieselbe Szene aus einem anderen Winkel, nun auch mit Kirchgängern. Langsam haben sich die noch in der Kirche befindenden Bänke mit Komparsen gefüllt: Bauern, ­Bäuerinnen, Bettler, Bettlerinnen. Marktfrauen, Studenten, Söldner, Handwerker, Prostituierte. Auch: edle Damen und angesehene Bürger. Anna trägt in den Armen nun ihr viertes Kind. An ihrer Seite steht, gespielt von Anatole Taubman, Leo Jud, Zwinglis Freund, der seit 1523 der Pfarrei St. Peter vorsteht.

Es dauert eine Weile, bis – links die Frauen, rechts die Männer – jeder am richtigen Ort steht. Gefilmt wird nun aus weiterer Entfernung, später wird Kameramann Michael Hammon gar auf eine Leiter steigen. Erneut heisst es: «Wir drehen!» – «Ruhe!» – «Und bitte!», sagt Haupt. «Die mit Tränen säyen …», hebt Rapold an. Er wird dieselbe Predigt noch x-mal halten, später irgendwann noch hinter einem grünen Tuch: Es ist die Schauspielerei eine oft harte Geduldsarbeit. Dies umso mehr, wenn man, wie Haupt diesen Zwingli-Film mitten im Winter dreht und die Temperaturen tief und tiefer sinken. Es ist kühl in der Kirche. Vor allem, wenn man lang stehen und warten muss.

Doch man lässt sich von solchen Kleinigkeiten nicht abhalten, trägt das Feuer der Leidenschaft in sich. Es seien, erzählt Haupt, unter den Komparsen, ­gerade unter den älteren, viele ­erfahrene Statisten, auch viele, die einem Mittelalterverein angehören. Auch mit dabei sind seine drei Töchter.

 Stefan Haupt hat es an diesem Drehtag ein bisschen lockerer. Muss nicht bei jeder Szene dabei sein. Erzählt bei einem Kaffee, wie er zur Regie seines Zwingli-Films kam. Ein bisschen per ­Zufall war das, weil Haupt für die Finanzierung von «Finsteres Glück» bei der Landeskirche vorsprach und dabei erfuhr, dass die C-Films einen Film über Zwingli plant. Brennend am Thema interessiert schrieb er eine Mail, die Produzentin Anne Walser hatte noch niemanden im Visier und vertraute ihm.

Im Januar 2019 im Kino

Stefan Haupt, hat man das Gefühl, weiss alles über Zwingli. Doch die Geschichte zwischen Zwingli und der Witwe Anna Reinhart ist schlecht dokumentiert. Einen einzigen Liebesbrief nur gibt es, Bullinger, der seiner Liebsten einen 30-seitigen Heiratsantrag schrieb, meint Haupt, wäre diesbezüglich ergiebiger gewesen. Zu erzählen gibt es in «Zwingli» dennoch viel Spannendes. Von der Pest etwa, die Anfang des 16. Jahrhunderts ein Drittel der Zürcher Stadtbevölkerung dahinraffte, aber Zwingli davonkommen liess. Von der Reformation, die der Stadt vor allem auch einen sozialen Wandel brachte. Man wird das ab Januar 2019 im Kino ­sehen können.

 Bis Anfang April wird weitergedreht. Nicht mehr im Grossmünster, sondern vorwiegend in Stein am Rhein und dem dortigen Kloster St. Georgen, die als Double für die Stadt Zürich herhalten. Stefan Haupt geht zurück ins Grossmünster. Nochmals hebt Rapold an mit seiner Predigt von den Tränen an, ganz am Schluss sagt er: «Amen».

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