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Reportage

Marcel Mauch arbeitet seit sieben Jahren im Gantlokal in der Hardau. Bild: SWE

Zwischen Klunkern und Rollstühlen

19. Dezember 2017

Schnäppchenjäger In der Hardau befindet sich das einzige Gantlokal der Stadt.

Ein Besuch der letzten Versteigerung des Jahres.

«240 zum Ersten, 240 zum Zweiten – 260. 260 zum Ersten, 260 zum Zweiten, 260 zum – Dritten.» Weg ist die Bohrmaschine. Donnerstag ist Ganttag in der Hardau. Ein Hochhaus an der Bullingerstrasse, unten parken Kleinbusse, Autos – der 14. Dezember, die letzte Gant des Jahres. Ab 13.30 Uhr liegen die Objekte für die öffentliche Versteigerung im Erdgeschoss aus. Wer nicht genau hinschaut, kauft später die Katze im Sack: der weiss nicht, dass das Smartphone, das er für 260 Franken ersteigern wird, schon einen Kratzer abbekommen hat.

14 Uhr eröffnet Marcel Mauch die Gant. Auf der Liste: zwei zwangsrechtliche Versteigerungen, ein Jaguar und eine Honda und 169 weitere Posten. Marcel Mauch steht seit sieben Jahren hier vorne. Sonst mit dabei: sein Kollege Fritz Forrer. «Er lässt euch alle grüssen», sagt Mauch. 70 Prozent der Gantgänger sind Stammkunden, Trödler und Sammler. Man kennt sich hier, nennt sich beim Vornamen, lacht.

Dabei ist die Geschichte der Objekte alles andere als lustig. Die Sachen sind Zeugen finanziellen Ruins, vom Betreibungsamt gepfändet; aber auch Posten aus Wohnungsauflösungen und Fundgegenstände. «Ich frage mich schon manchmal, wie es zum Beispiel Leute schaffen, einen Rollstuhl zu verlieren», sagt Mauch später. Jeden Donnerstag sind die Listen voller skurriler Posten – heute etwa eine massive handgeschmiedete Marronipfanne oder ein Taittinger Rosé plus Holster (ohne Pistole). Überraschen kann Mauch fast nichts mehr. «Zuletzt hat das eine Urne, in der mal die Asche einer Katze aufbewahrt war, geschafft.»

Gant ist Männersache

Das meiste Bargeld geht für die Honda weg: 5600 Franken. Den Jaguar gibts für 2500 Franken. Ein Rollator bringt es auf 60 Franken, zwei Hartschalenkoffer auf 70. «Wenn du noch 30 drauflegst, verrate ich dir den Code», sagt Mauch und lacht. Die Mitarbeiter des Betreibungsamts rennen zwischen den Hunderternoten der Bietenden und der Kasse hin und her. Im Gantlokal muss es schnell gehen; kaum ist der Zuschlag erteilt, kommt die nächste Nummer dran; spätestens um 17 Uhr ist hier Feierabend.

Mit dem Kugelschreiber deutet Mauch auf die Person mit dem aktuellen Gebot («15»), oft zeigt er hin («20») und her («25»), nach links («30»), nach rechts («35») – weg ist das Bild «Stadt am See». Den «Rollstuhl Quickie» führt er vor, dreht eine Runde ums Pult. «Der ist echt schnell.» 350 Franken. Mittendrin verabschiedet sich ein Schnauzbärtiger in die Festtage, rollt seinen ersteigerten Chefsessel durch den Raum, eine Kaminuhr unterm Arm. «Einen Gruss zu Hause!», sagt Mauch. Dann dreht er sich der nächsten Modeuhr zu, «dem halben Handrückenpanzer».

Bei der Damen-Rolex übertrumpfen sich die Anwesenden, bei 2300 Franken ist Schluss. Die Leute drehen sich um, gucken, wer sie da überboten hat. Ah, der schon wieder. Rund 100 Personen sitzen im Gantlokal, darunter gerade mal 15 Frauen. Gant ist Männersache.

«Denkt an Weihnachten»

Nach anderthalb Stunden und 115 Posten haben sich die Reihen gelichtet. Zwei Kartons mit Besteck gehen für 60 Franken weg. Der «wunderschöne rosafarbene Sessel hier» für 5 Franken. Für zwei Bürotische findet sich nicht mal ein 1-Franken-Gebot. «Habt ihr kein Geld mehr oder was?», fragt Mauch. «Denkt an Weihnachten. Ihr wollt doch etwas unter den Baum legen.» Die Kosmetikwundertüten sind an der Reihe: 90 Franken, 100 Franken, 140 Franken. Der Lippenstift wird schon mal auf dem Handrücken ausprobiert. Einer bietet für Eau de Parfum: Hand rauf, 80 Franken. «Ich hoffe, du säufst das Zeug nicht. Du kaufst doch sonst immer den Wein.» Lachen. Das Letzte, was in diesem Jahr den Zuschlag bekommt, ist «1 Posten Modeschmuck»: Klunker, serviert in einem Schuhkartondeckel, 30 Franken – zum Dritten.

Weitere Informationen: 

Die erste Gant 2018 findet am 

11. Januar statt. 
www.bazuerich5.ch

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