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Warum?

Auswanderer: Heute mit Agnes Graf-Pellegrino, Italien

Von: Clarissa Rohrbach

07. Mai 2015

warmherzig», sagt Agnes Graf-Pellegrino. Und fügt hinzu: «Aber auch unglaublich undiszipliniert.» Die Lehrerin lebt seit 35 Jahren in Bari und bereut es ab und zu. Die Zuverlässigkeit und die Rücksicht, dies seien die Schweizer Tugenden, die sie vermisse. Auf der Strasse drängeln die Autos, Mülltrennung sei ein Fremdwort. «Die Haushalte sind perfekt, doch der öffentliche Raum interessiert niemanden, anstatt des Staats hat man hier die Familie.» Und dann sei da noch die grosse Jugendarbeitslosigkeit, die junge, helle Köpfe aus dem Land treibe.

Gerade deswegen hat Graf alle Hände voll zu tun: Der Deutschunterricht in der Deutsch-Italienischen Kulturgesellschaft ist sehr gefragt. Dort arbeitete Graf bereits, kurz nachdem sie 1980 ausgewandert war. «Zum Glück habe ich meinen Job, der mich total erfüllt!» Denn die 62-Jährige fragt sich immer noch, ob sie damals die richtige Entscheidung getroffen habe. Sie war eine junge Primarschullehrerin in Seebach, als sie Bekannte in Bari besuchte. Und da war dieser Mann, ein Freund von Freunden, so warm, wie kein Schweizer es sein kann: Sie verliebte sich. Nach drei Jahren Fernbeziehung zog Graf nach Süditalien, sie heiratete und bekam eine Tochter und einen Sohn.
Trotz Zweifeln könnte Graf nicht zurückkehren. Wenn sie auf dem Markt frisches Gemüse kauft – zurzeit Artischocken –, fühlt sich jeder Tag wie Ferien an. Apulien fasziniere mit seinen Gässchen, Olivenbäumen und dem Meer. Im Sommer werde es sehr heiss, die Winter seien mild. «Ich vermisse ein wenig die Jahreszeiten und einen regnerischen Tag am Cheminée.» Dort denke sie über ihre Träume nach, die sich immer öfters um die Schweiz drehten. Die Heimat werde mit zunehmendem Alter immer wichtiger. «Aber jetzt bin ich hier», sagt Graf und rüstet danach die Artischocken fürs Abendessen, es ist 21 Uhr.

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