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Album

Ein Abend in New York

Von: Matthias Ackeret

03. November 2020

Wenn Sie diese Kolumne lesen, erlebt die Welt vielleicht ein Déjà-vu. Vielleicht auch nicht. Vier Jahre sind es her, als ich mit zwei Kollegen im Leihwagen von Chicago nach New York fuhr, um den Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump hautnah zu verfolgen. In den unendlichen Weiten wurde klar: Die USA sind mehr Aargau als Züri-West. In Hershey, der Schokoladenstadt, erlebten wir in einer überdimensionierten Eishalle Donald Trump: ein selbsternannter Messias mit Frank-Sinatra-Gen. Einen Tag später sahen wir in einer Turnhalle Joe Biden, damals noch US-Vizepräsident.

Was für ein Gegensatz: Waren es bei Trump Tausende, so kamen zu Biden nur wenige Dutzend Zuschauer. Das einzig Gemeinsame, beide sprachen ausschliesslich von sich: Trump aus Egomanie, Biden, weil er wohl sauer war, dass ihm die Clintons die Kandidatur verweigerten. Er erwähnte die Favoritin mit keinem Wort. Da wir keine Akkreditierung zur geplanten Siegesfeier von Hillary bekamen, verbrachten wir den Wahlabend im New Yorker Hilton Midtown, in welchem sich Trumps Anhänger – vornehmlich aus dem Mittleren Westen – versammelt hatten. Problemlos kamen wir in die Hotellobby und setzten uns vor einen Fernsehapparat. Je länger der Abend dauerte, desto realistischer die Sensation. Kurz vor Mitternacht ein Riesenschrei. Ein Cowboy stürzte sich auf einen TV-Moderator, schüttelte ihn und schrie: «Donald Trump is President!». Als der Gefeierte zwei Stunden später unter dem Jubel seiner Fans eintraf, bewegte er sich mit der Rolltreppe sogleich nach oben. Kurze Zeit später verliess ich das Hilton. Draussen war es totenstill: kein Feuerwerk, kein Gehupe. Die Stadt, die niemals schläft, in Schockstarre. Nur beim Trump-Tower brannte noch Licht.

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