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Gut zu wissen

Delikatessen-Geschäft in Frühlingsgrün: der provisorische Kiosk von Silvio Nido am Central, aufgenommen 1950. Bilder: Baugeschichtliches Archiv Zürich/PD

Der Herkules vom Central

Von: Jan Strobel

25. August 2023

Geschichte: Silvio Nido (1905–1974) betrieb am Zürcher Central über Jahrzehnte sein Delikatessengeschäft und einen Kiosk. Berühmt wurde er als Sportler und Sportförderer.

Das Bild oben zeigt das Central im Jahr 1950. Zum Zeitpunkt der Aufnahme befand sich der Verkehrsknotenpunkt, der damals zumindest offiziell noch etwas weniger mondän Leonhardplatz hiess, im Umbruch, wie überhaupt der gesamte dortige Limmatraum. Das Central wurde grossflächig umgebaut, um die Verkehrsführung zu verbessern. Dazu gehörte auch der Abriss eines ganzen Häuserkomplexes, der bis dahin das Ende des Limmatquais und des Seilergrabens beziehungsweise der Zähringerstrasse dargestellt hatte.

In einem dieser abgerissenen Häuser, an der Zähringerstrasse 55, hatte auch eine Zürcher Persönlichkeit ihr Geschäft geführt: Seit 1934 betrieb dort Silvio Nido seinen Delikatessenladen mit Kiosk, der in der ganzen Stadt legendär war. Den Betrieb an diesem Standort hatte er von seinem Vater übernommen.

Nido verkaufte unter anderem besten Chianti, Räucherlachs aus der Dose, Geflügel und als einen Schwerpunkt mediterrane Früchte, die auch als prächtige Geschenkkörbe angeboten wurden. Immerhin amtierte Silvio Nido mehrere Jahre auch als Präsident des Verbands der Früchte- und Gemüsedetaillisten (Fruleg). Mit dem Abriss des Hauses musste eine Alternative gefunden werden. Als Provisorium diente ein 14 Meter langer Stand in Frühlingsgrün am Fuss der Central-Mauer, an welcher damals noch eine Werbung für das Warenhaus Oscar Weber prangte. Das Foto von 1950 zeigt in der rechten Bildhälfte das temporäre Geschäft von Silvio Nido.

Ägyptischer Meister

Die Bekanntheit des Delikatessenladens rührte besonders auch von der Sportler-Karriere von Silvio Nido her. Tatsächlich war der Mann eine Grösse im Schweizer Leichtathletik- und Sportleben. 1936, 1938, 1939 und noch einmal 1942 wurde Nido Schweizermeister im Hammerwerfen. Die Zeitung «Die Tat» betitelte ihn als einen «temperamentvollen Herkules südländischen Blutes». Daneben begeisterte sich Silvio Nido auch fürs Rudern, Schwimmen und für Eishockey. In den 1920er-Jahren, als er für drei Jahre in Ägypten lebte und geschäftete, wurde er als Ruderer und ebenfalls als Schwimmer über 100 Meter ägyptischer Meister.

1953 zwang ein Arthroseleiden zum Abschied vom aktiven Wettkampfsport. Jetzt avancierte Silvio Nido, prominentes Mitglied des Leichtathletik-Clubs Zürich (LCZ), zum «Talenterwecker» und «Talentförderer» von Nachwuchsathleten. Bereits 1950 hatte er den Jugendlaufwettbewerb «De schnällscht Zürihegel» ins Leben gerufen, der ein Jahr später zum ersten Mal durchgeführt wurde. Bis heute zählt der alljährlich stattfindende Anlass zu den wichtigsten Stadtzürcher Sport- und Jugendtraditionen.

Mit der vollendeten Stadterneuerung am Central verschwand schliesslich auch wieder das frühlingsgrüne Delikatessen-Provisorium. Silvio Nido bezog nun den neu erbauten Kiosk direkt am Central, den er liebevoll sein «Kiöskli» nannte. Topmodern für Zürcher Verhältnisse war das «Kiöskli» zusätzlich mit Selbstbedienungsautomaten ausgestattet.

Die Jugend allerdings machte es dem Jugendförderer nicht immer einfach. Ende der 1960er-Jahre wurden Silvio Nidos Automaten immer wieder aufgebrochen und geplündert, Glasscheiben des Kiosks von Jugendlichen zertrümmert. Allein im Juli 1967 seien ihm 48 Scheiben von «Nachtbuben» und «liederlichen Elementen» zerstört worden, gab Silvio Nido Journalisten zu Protokoll. Die Medien machten schnell eine Täterschaft aus: «Niederdorf-Rowdys» und Strichjungen, die sich nach Mitternacht am Central treffen würden. Es herrsche dann ein «Treiben wie auf einem Festplatz». Das Central galt in den 1960er-Jahren gewissermassen als Zürcher Variante des New Yorker Times Square, der damals berüchtigt für Männerprostitution war.

Silvio Nido, desillusioniert und gesundheitlich angeschlagen, heftete einen Appell an Passanten neben die Automaten: «Wehrlosen Schaden zuzufügen ist selbst unter Verbrechern verpönt!», war zu lesen. «Als Invalider bitte ich Sie, mir zu helfen, jene zu fassen, die meine Automaten jede Nacht zusammenschlagen.»

Am 25. August 1974 starb Silvio Nido 69-jährig an einem Herzschlag auf dem Weg zu seinem Kiosk. Das Geschäft blieb zunächst in der Familie, welche sich der wachsenden Konkurrenz von Ladenketten und Konzernen gegenübersah. Noch heute steht an diesem Standort der «Central Snack»-Kiosk, betrieben vom Handelskonzern Valora. 

Silvio Nido beim Hammerwerfen an einem Wettkampf im Jahr 1943.

 

 

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