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Interview

Spezialisten des Stadtspitals Zürich im Kampf gegen den Krebs (von links): Kathrin Zaugg, Axel Mischo und Thi Dan Linh Nguyen-Kim. Bild: PD

Erfolg dank Zusammenarbeit, Technik und Empathie

Von: Sacha Beuth

14. November 2023

Im Stadtspital Zürich werden Krebserkrankungen auf mehreren Ebenen angegangen. Axel Mischo (Leiter Tumorzentrum), Thi Dan Linh Nguyen-Kim (Chefärztin Radiologie & Nuklearmedizin) und Kathrin Zaugg (Chefärztin Radio-Onkologie & Strahlentherapie) erklären, wo und wie in den letzten Jahren Fortschritte erzielt wurden.

Tumore beziehungsweise Krebsgeschwüre gelten im Bereich menschlicher Krankheiten als «Geissel des 20. Jahrhunderts». Ist dies immer noch so oder hat Krebs einen Teil seines Schreckens verloren?

Axel Mischo: Sowohl als auch. Angesichts der Tatsache, dass früher Infektionskrankheiten wie die Pest die «Geissel» waren, aber heute in der Regel gut behandelbar sind, ist das beim Krebs noch nicht oder noch nicht im gleichen Umfang der Fall. Aber er hat durch gewaltige Verbesserungen in der Diagnostik und in der Therapie einen Teil seines Schreckens eingebüsst.
Kathrin Zaugg: Hinzu kommt, dass auch die Nebenwirkungen bei der Behandlung reduziert werden konnten. Dennoch bleibt es für den einzelnen Patienten natürlich ein Schock, wenn er eine Krebsdiagnose erhält.

Welches sind die drei gefährlichsten beziehungsweise tödlichsten Krebsformen?

Zaugg: Zu den gefährlichsten zählen sicher Glioblastom, der aggressivste Hirntumor, und Pankreaskarzinom, also Bauchspeicheldrüsen-Krebs.
Mischo: Ich glaube, es ist schwierig zu sagen, was am gefährlichsten ist, denn es hängt davon ab, woran man dies festmacht. Wenn man die Häufigkeit anschaut, dann sind sicher Lungenkrebs, Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs ganz vorne mit dabei, weil so viele daran erkranken. Geht es darum, welche Krebsform die höchste Mortalität aufweist, dann sind, wie meine Kollegin schon gesagt hat, Glioblastome und Pankreaskarzinom zu nennen. Diese zwei Krebsformen sind schwer zu behandeln und kehren leider oft nach einer erfolgreichen Behandlung zurück. Oder aber man schaut auf den individuellen Patienten und geht vom Verlauf aus. Da gibt es Erkrankungen wie Leukämien (Blutkrebs) oder aggressive Lymphome, die unbehandelt innerhalb weniger Wochen zum Tode führen können, bei denen es aber handkehrum mittlerweile gute Behandlungsmöglichkeiten gibt.
Thi Dan Linh Nguyen-Kim: Unabhängig vom individuellen Verlauf, ist auch der Zeitpunkt der Diagnose sehr wichtig. Befindet sich der Tumor im Anfangsstadium oder ist er in einem fortgeschrittenen Stadium und hat zum Beispiel schon gestreut. Denn selbst wenn es sich dabei um einen Tumor handelt, der nicht zu den gefährlichsten oder aggressivsten Formen gehört, kann er dennoch wenn bereits im Körper gestreut, nicht mehr vollständig im Sinne einer Heilung behandelt werden und tödlich sein.

Welche Tumore können medizinische Laien bereits im Frühstadium selbst erkennen und wo ist eine Vorsorgeuntersuchung unabdingbar?

Zaugg: Das ist schwer zu sagen und kommt auf die Umstände an. Als Faustregel kann vielleicht dienen: Wenn immer ein Symptom länger als einen Monat andauert – und sich dabei vielleicht sogar noch verstärkt – sollte man zur Abklärung zum Hausarzt. Dazu zählt etwa auch länger andauernde Heiserkeit, die auf einen Ohren-Nasen-Hals- oder Lungentumor schliessen lassen kann. Bei Blut im Stuhl oder wenn man Blut hustet, sollte man sich dagegen sofort untersuchen lassen.
Nguyen: Auch bei immer wiederkehrenden Durchfällen bei Darmerkrankungen sollte man sich checken lassen.
Mischo: In der Tat ist meist nicht möglich, eine Krebserkrankung alleine anhand der Symptomatik zu erkennen, da die Symptome oft sehr unspezifisch sind. Man darf sich dadurch aber nicht verrückt machen lassen. Wohl kann sich hinter bestimmten Symptomen Krebs verbergen, aber noch lange nicht alle Symptome deuten auf Krebs hin. Wichtig ist, dass man früh- und rechtzeitig entsprechend Vorsorgeuntersuchungen wahrnimmt. Die Empfehlungen sind dabei unterschiedlich. So wird etwa geraten, sich ab rund 35 bis 40 Jahren auf Hautkrebs sowie ab 50 Jahren auf Prostata- und Darmkrebs untersuchen zu lassen. Auch bei Personen mit einer reduzierten Leistung des Immunsystems ist erhöhte Aufmerksamkeit nötig. Diesbezüglich kann der Hausarzt abhängig vom individuellen Risiko beraten.
Zaugg: Statistiken zeigen, je älter man wird, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, an einer Krebsform zu erkranken. Dennoch sollte man wissen, dass man auch bei älteren Personen Tumorerkrankungen, vor allem wenn sie früh entdeckt werden, sehr gut behandeln kann. Hinzufügen möchte ich noch, dass man bei Personen, in deren Familie es Krebsfälle gab, wegen Vererbungsfaktoren ebenfalls genauer auf Anzeichen achten sollten. Insbesondere bei Brust- und Eierstockkrebs.

Welche Fortschritte wurden bei der Krebsdiagnostik in den letzten Jahren gemacht?

Nguyen: Normalerweise ist es ja so, dass der Patient bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Dann geht er hoffentlich zum Hausarzt. Der schaut sich das an und schickt den Patienten bei Verdacht dann zu einer ersten Diagnostik zu uns in die Radiologie. Hier erstellen wir meist zuerst ein Röntgenbild. Auf diesem ist der Tumor entweder schon direkt zu erkennen oder es gibt bestimmte Anzeichen wie vergrösserte Lymphknoten, die auf einen Tumor hindeuten. In solchen Fällen empfehlen wir dann Folgeuntersuchungen wie etwa eine Computertomographie. Gerade hier wurden in den letzten 20 Jahren grosse Fortschritte erzielt, weil die CT-Geräte viel besser, das heisst die abgebildeten Schichten immer feiner und lückenloser geworden sind. Heute ist es möglich, durch kontinuierliches Scannen das gesamte Abbild eines Menschenkörpers in 3D darzustellen und Tumore bereits in sehr kleinem Stadium zu erkennen. Und das in einem Bruchteil der Zeit im Vergleich zu früher. Auch die Magnetresonanztomographie MRT, die vor allem für die Untersuchungen der Weichteile und Organe wie die Leber eingesetzt wird, hat sich weiterentwickelt. Das Gleiche gilt für Ultraschallgeräte.
Mischo: Ein weiterer Fortschritt ist, dass beim CT die Strahlenbelastung deutlich gesunken ist. Auf einem Transatlantikflug bekommt man zum Beispiel im Schnitt heute mehr radioaktive Strahlung ab. Hinzufügen möchte ich noch, dass wir auch in der Molekular-Biologie viel weitergekommen sind. Heute können wir bei Gewebeuntersuchungen zur Bestimmung der Krebsform Tumore bis auf die genetischen Veränderungen, die ihnen zu Grunde liegen, diagnostizieren. Wir können aus den Tumorzellen die genetischen Informationen isolieren und dort mittels spezieller Untersuchungen erkennen, ob in den Krebszellen bestimmte Mutationen vorliegen, die wir dann therapeutisch nutzen können.

Und wo wurden die Behandlungsmethoden deutlich verbessert?

Zaugg: Hierzu muss man wissen, dass jeder Patient interdisziplinär angeschaut wird, das heisst, alle involvierten medizinischen Bereiche zusammen die jeweils besten Behandlungsmethoden besprechen und aufeinander abstimmen. Das wird schon lange so gemacht, in den letzten Jahren aber intensiviert. Je nach Situation wird dann entweder über die Chirurgie (Herausschneiden des Tumors mit dem Skalpell), die medizinische Onkologie (Verabreichung von Medikamenten, Chemotherapie, Immuntherapie), die Radio-Onkologie (Bestrahlung) oder eine Kombination daraus der Patient behandelt. Nehmen wir dazu ein Beispiel aus der Chirurgie. Vor 40 Jahren glaubte man, bei Brustkrebs möglichst viel Gewebe entfernen zu müssen – sogar Muskeln des Brustkorbes. Man hat dann herausgefunden, dass bei der viel schonenderen allgemeinen Entfernung des Tumors mit anschliessender Bestrahlung, genauso gute, wenn nicht bessere Resultate erzielt werden.
Nguyen: Für den Bereich der Nuklearmedizin möchte ich noch ins Feld führen, dass man Aktivitäten des Tumors heute ganz gezielt angehen kann. Etwa beim Schilddrüsenkrebs. Da man weiss, dass dessen Zellen vor allem bei der Jodaufnahme aktiv sind, nutzt man dies, um dann etwa radioaktives Jod zu verabreichen, das sich im Tumor ansammelt und die Krebszellen abtötet. Diese gezielte Herangehensweise, bei der man sich auf eine bekannte charakteristische Stoffwechsel-Aktivität eines Tumors fokussiert, wird für die Behandlungverschiedener Arten von Tumoren angewandt, wie etwa auch beim Prostatakrebs.

Chemotherapie und Bestrahlung helfen oft bei bösartigen Tumoren, bringen aber nicht selten auch starke Nebenwirkungen mit sich. Wird sich in dieser Beziehung etwas ändern?

Zaugg: In dieser Beziehung hat sich bereits sehr viel verändert. Zum Beispiel können Tumore mit den modernen Linearbeschleunigern viel genauer bestrahlt werden und somit kann das umliegende gesunde Gewebe viel besser geschont werden. Wobei man hier einfügen muss, dass sich gesunde Zellen nach einer medizinischen Bestrahlung in der Regel sehr schnell selbst regenerieren. Mit Innovation in der Technologie verbessert sich das Risikoprofil für Nebenwirkungen deshalb stetig. Unsere Patienten sind bei Abschluss der Bestrahlung meist sehr positiv überrascht, wie wenig Nebenwirkungen sie haben. Ebenso werden die eingesetzten systemischen Therapien (Chemotherapie, Immuntherapie, zielgerichtete Therapien) immer besser, immer zielgenauer und verursachen dadurch weniger Nebenwirkungen.
Mischo: Die Kunst ist es, die gesamte Dosis genau an die Stelle zu bringen, wo sie hilft, statt schadet. Mit Maschinen oder mit Molekülen, die sich nur an einer bestimmten Stelle anreichern, findet die Behandlung an einer bestimmten Stelle im Körper statt. Eine der Revolutionen in der Krebstherapie in den letzten zehn Jahren gab es übrigens in der Immuntherapie. Wenn eine Krebserkrankung entsteht, ist eine der Ursachen dafür, dass das Immunsystem die Tumorbildung zwar grundsätzlich erkannt hat, aber nicht alle Tumorzellen abtöten konnte. Mit den neusten Immuntherapien wird das Immunsystem so stimuliert, dass es die Tumorzellen wieder oder besser erkennt und dann abtöten kann.

Wie sind heute die Heilungschancen bei bösartigen Tumoren und was ist dabei der entscheidende Faktor?

Mischo: Das hängt in erster Linie von der Art des Tumors und vom Zeitpunkt ab, wann beziehungsweise in welchem Stadium der Tumor entdeckt wurde. Es gibt gewisse Tumore wie zum Beispiel das Maligne Melanom (Schwarzer Hautkrebs), bei denen wir bei der Bekämpfung in den letzten 20 Jahren riesige Fortschritte erzielt haben. Bei anderen, wie etwa dem Bauchspeicheldrüsenkrebs, ist die Medizin in derselben Zeit nur wenig vorangekommen. Generell kann man sagen: Je früher ein Tumor erkannt wird, umso besser die Heilungschancen, das heisst der entscheidende Faktor ist das Erkennen einer Tumorerkrankung im frühestmöglichen Stadium. Deshalb sind Voruntersuchungen so wichtig.
Zaugg: Hier möchte ich noch einen Faktor erwähnen, der oft unterschätzt wird: Die Empathie gegenüber dem Krebspatienten, die menschliche Wärme. Das ist – wie auch Studien belegt haben – essenziell für den Heilungsprozess und darum ein Kredo nicht nur bei uns im Team, sondern im ganzen Stadtspital.

Welche Tumorformen können im Stadtspital Zürich behandelt werden und wo und wann ist man auf Hilfe von aussen angewiesen?

Zaugg: Wir decken mit all unseren Fachspezialisten ein sehr breites Diagnostik- und Therapiespektrum ab und können fast alle Tumorentitäten sehr kompetent behandeln. Auch haben wir den Vorteil, dass wir sehr gut miteinander vernetzt und örtlich nah beisammen sind. Für gewisse Behandlungen – wie zum Beispiel Ohren-Nasen-Hals-Tumore oder bestimmte zelluläre Therapien haben wir Kooperationen mit dem USZ. Oder bei Hirntumoren an der Schädelbasis haben wir in der Strahlentherapie eine Kooperation mit dem Paul-Scherrer-Institut für die Protonenbehandlung. Uns ist wichtig, dass jeder Patient die bestmögliche Therapieform erhält.

 

Tumortag, 18. November

Stadtspital Zürich Triemli Vorsorge und Behandlung in der Tumormedizin Was es Neues in der Tumormedizin gibt und wie die Vorsorge und Behandlung von Tumorerkrankungen aussieht, erfahren Sie am Samstag, 18. November. Neben Vorträgen und einem persönlichen Austausch mit Fachpersonen sind Workshops und Rundgänge im Spital geplant. Wann: 18. November 2023, 10 bis 15 Uhr, Stadtspital Zürich Triemli, Birmensdorferstrasse 497 Eintritt gratis.

Anmeldung: www.triemli.ch/tumortag

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