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Interview

Will lokale Energien nutzen: Stadtrat Michael Baumer. Bild: T. Kawara / Stadt Zürich

Klimaneutral und unabhängig

Von: Sacha Beuth

01. November 2022

URNENGANG Am Abstimmungssonntag vom 27. November kommt mit dem «Rahmenkredit von 573 Millionen Franken für den Ausbau der thermischen Netze» zwar nur eine kommunale Vorlage vors Volk. Doch diese ist laut Michael Baumer, Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe, von grosser Wichtigkeit, denn sie ist entscheidend, ob die Stadt Zürich ihre Klimaziele bis 2040 erreicht oder nicht.

Bis 2040 hat die Stadt Zürich – so lautet das Verdikt aus der Abstimmung vom 15. Mai dieses Jahres – klimaneutral zu sein. Um dieses Netto-Null-Ziel zu erreichen, sind verschiedene Massnahmen nötig. Eine davon ist der Wechsel von fossiler zu erneuerbarer Heizenergie. Mit einem Ja zum «Rahmenkredit von 573 Millionen Franken für den Ausbau der thermischen Netze» beim Urnengang am 27. November soll dieser weiter vorangetrieben werden. Michael Baumer (48), Vorsteher des Departementes der Industriellen Betriebe, erläutert die Details.

Über eine halbe Milliarde beträgt der Kredit, den das Stadtzürcher Stimmvolk zum Ausbau der thermischen Netze gewähren soll. Warum ist dieser Kredit so viel höher als üblich?

Michael Baumer: Weil hierfür sechs Einzelprojekte mit einem einzigen Kredit finanziert werden sollen. Da es sich bei all diesen Projekten um das Gleiche dreht – nämlich den Wechsel von fossiler zu erneuerbarer Energie – möchten wir somit sechs Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und weil es sich um eine grosse Angelegenheit handelt, braucht es auch eine grosse Klappe. Abgesehen davon: Einzeln betrachtet kosten die Projekte etwa gleich viel oder sogar weniger als die vorangegangenen.

Gab es keine anderen, kostengünstigeren Alternativen für klimaneutrale Heizenergie?

Wir haben natürlich auf die Wirtschaftlichkeit geachtet. Thermische Netze werden dort gebaut, wo Energiequellen mit entsprechendem Potenzial vorhanden sind und gleichzeitig eine entsprechende Besiedlungsdichte und somit Nachfrage besteht. Auch ist nicht überall eine Alternative möglich. In einigen Bereichen verhindert etwa Grundwasser den Einsatz von Erdsonden. An anderen Stellen können aus Platzgründen keine Wärmepumpen angelegt werden. Im Übrigen gibt es keinen Anschlusszwang. Wer ein Gebäude anderweitig effizient beheizen kann, kann das tun. Nur wird er es fast in jedem Fall mit klimaneutraler Energie machen müssen, da neue Heizungen mit fossilen Energieträgern nach dem kantonalen Energiegesetz grundsätzlich nicht mehr installiert werden dürfen.

Wie stark wird der Ausbau die Stadtkasse beziehungsweise den Stadtzürcher Steuerzahler belasten?

Weder der Steuerzahler noch die Stadtkasse werden dadurch belastet. Da das ewz mit seinen Produkten und Dienstleistungen seine Mittel selber erwirtschaftet, kann es über den Rahmenkredit die zum Ausbau notwendigen Ausgaben vorfinanzieren. Die Kundinnen und Kunden zahlen einen Energiepreis, der die Investitionen und den laufenden Betrieb abdeckt.

Mit dem Kredit soll der Netzausbau in den Gebieten Albisrieden, Alt­stetten-Ost, Aussersihl, City, Enge und Höngg-Zentrum bewerkstelligt werden. Was ist mit den übrigen Quartieren?

Diverse Gebiete, darunter Affoltern, sind noch in der Prüfung, ob dort überhaupt ein Netz gebaut werden kann. Wie bereits erwähnt, ist dies hauptsächlich von der Bevölkerungsdichte und der Verfügbarkeit geeigneter Energiequellen abhängig. Wo ein Gebiet nur lose bebaut ist, wird es in der Regel unrentabel, weil man lange Leitungen zu den einzelnen Gebäuden bauen müsste. Grundsätzliches Ziel ist und bleibt, dass bis 2040 – bis auf ganz wenige Ausnahmen, die aber prozentual nicht ins Gewicht fallen – 100 Prozent der Heizenergie in Zürich von erneuerbaren Quellen stammt. Rund 60 Prozent des städtischen Siedlungsgebiets sollen mit thermischen Netzen erschlossen und 40 Prozent über Wärmepumpen oder andere Heizsysteme mit nicht fossilen Quellen abgedeckt werden.

Was wird der restliche Ausbau kosten? Und braucht es dafür weitere Kredite?

Wie viel noch investiert werden muss, ist abhängig davon, was wo gebaut werden kann. Insofern lassen sich auch weitere Kredite noch nicht beziffern. Insgesamt haben ewz, Energie 360° und ERZ als Ersteller der thermischen Netze rund 1,5 Milliarden Franken veranschlagt. Mit den 573 Millionen lägen wir aktuell bei rund 1,2 Milliarden Franken.

Wie lange wird es dauern, bis der Ausbau in den erstgenannten sechs Teilgebieten beendet ist?

Das wird je nach Teilgebiet bis 2035 dauern. Dabei soll die Wärme- und Kälteversorgung von Höngg-Zentrum und Altstetten-Ost über das Klärwerk Werdhölzli erfolgen. Für Albisrieden ist eine grossflächige Erschliessung mit thermischen Netzen aus Biomasse vorgesehen und für Aussersihl als Hauptenergiequelle Grundwasser. Daneben sollen neue Seewasserverbunde im Quartier City mit dem Projekt Cool City links der Limmat sowie im gesamten Quartier Enge entstehen. Am anspruchsvollsten und zeitintensivsten dürfte dabei das Projekt Cool City werden, da es in einem dicht überbauten Gebiet mit sehr engen Strassenverhältnissen liegt.

Gegner der Vorlage warnen vor einem «erheblichen Ausfallrisiko» bei der Wärmeversorgung, da Pumpen, Kompressoren oder Steuerungen zur Nutzung thermischer Energie elektrischen Strom benötigen. Was tut ewz, um dieses Risiko zu minimieren oder gar zu verhindern?

Die aktuelle Energiekrise hat uns drastisch vor Augen geführt, dass man nach Möglichkeit die Abhängigkeit von ausländischen Energien – namentlich Öl und Gas – reduzieren sollte. Stattdessen gilt es, lokale Energien zu nutzen. Vor allem, wenn diese wie bei uns mit See-, Grund- und Abwasser praktisch dauerhaft vorhanden sind. Wir sind weiter in der komfortablen Lage, dass ewz übers Jahr mehr Strom produziert, als in der Stadt Zürich verbraucht wird. Abgesehen davon, brauchen auch Gas- und Ölheizungen zusätzlich Strom. Das Ausfallrisiko wäre somit mit thermischen Netzen nicht höher als bei anderen Heizsystemen.

Was geschieht, wenn der Kredit abgelehnt wird? Ist dann das Netto-Null-Ziel bis 2040 überhaupt noch zu schaffen?

Kaum. Rund 50 Prozent der CO₂-Emissionen in der Stadt Zürich werden durch Heizen verursacht. Oder anders ausgedrückt: Durch den Ausbau werden pro Jahr rund 52 000 Tonnen CO₂ eingespart, was etwa 20 000 Flügen von Zürich nach New York entspricht. Ich wüsste auf die Schnelle nicht, wie wir diese Menge auf andere Weise einsparen könnten. Auch würden bei einem Nein viele Hauseigentümer im Regen stehen gelassen, weil für ihre Liegenschaften keine andere nichtfossile Versorgung möglich ist als über ein Wärmenetz. 

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