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Interview

Hält auch nach den Todesfällen an der Haltung Asiatischer Elefanten im Zoo Zürich fest: Severin Dressen. Bild: Enzo Lopardo

Severin Dressen steht vor tierischen Herausforderungen

Von: Sacha Beuth

01. November 2022

Seit rund zwei Jahren leitet Severin Dressen den Zoo Zürich. Bislang ist seine Bilanz als Direktor wegen mehrerer Unglücksfälle durchzogen. Trotzdem lässt sich der 34-jährige Deutsche davon nicht unterkriegen und geht optimistisch Verbesserungen und den weiteren Ausbau des Tiergartens an.

Freud und Leid liegen oft nahe beieinander. So auch im Zoo Zürich. Seit dem Amtsantritt des neuen Direktors Severin Dressen stehen dort der Nachwuchs bei Schneeleoparden und Breitmaulnashörnern, die Verbesserung im europäischen Zooranking von Platz drei auf Platz zwei und die Eröffnung des Artenschutzzentrums Ornis auch mehreren tragischen Ereignissen gegenüber. Zu den namhaftesten zählten hierbei eine von einem Tiger getötete Pflegerin, mehrere zumeist am Elefanten-Her­pesvirus verstorbene junge Elefanten und ein ebenfalls an einem Virus erlegener Koala. Dressen muss diese Vorfälle erklären, einordnen und dazu Stellung beziehen, obwohl einzelne Ereignisse losgelöst von andern und nicht direkt mit seiner Position verknüpft sind. Im Gespräch mit dem «Tagblatt» erklärt er, wie er mit diesen schwierigen Situationen umgeht, wo er Optimierungspotential sieht und auf was er besonders stolz ist.

Vor wenigen Tagen hat der Zoo Zürich gemeldet, dass für Anfang 2023 wieder die Geburt eines Elefanten ansteht. Was überwiegt: Die Vorfreude oder die Angst, dass nach drei Todesfällen in diesem Sommer bald ein viertes Herdenmitglied Opfer des Elefanten-Herpesvirus werden könnte?

Severin Dressen: Ganz klar die Vorfreude. Zwar wird wie alle unsere Elefanten auch das künftige Jungtier mit ziemlicher Sicherheit den Virus in sich tragen. Doch bis dieser seine tödliche Wirkung entfalten kann, dauert es eineinhalb bis zwei Jahre. So lange wird das Kalb gesäugt und ist dadurch durch die Antikörper der Mutter geschützt. Den Elefanten-Herpesvirus auszumerzen, ist bislang nicht möglich.

Welche Massnahmen hat der Zoo Zürich ergriffen, um den Virus wenigstens im Zaun zu halten?

Wir haben keine neuen Massnahmen ergriffen. Vor allem deshalb, weil es keine neuen Erkenntnisse, geschweige denn einen Impfstoff gibt. Die Krankheit ist viel zu wenig erforscht, unter anderem auch darum, weil als «Forschungsobjekte» nur etwa 300 Asiatische Elefanten in europäischen Zoos zur Verfügung stehen. Wir betreiben aber weiterhin ein Monitoring. Das bedeutet in diesem Fall, dass wir den Tieren regelmässig Blut entnehmen und die Virenlast überprüfen. Auf diese Weise können wir frühzeitig Blutplasma-Transfusionen und / oder antivirale Medikamente – die leider nicht allzu viel nützen – verabreichen, um die Überlebenschancen zu steigern. Denn wenn die Tiere Symptome wie eine geschwollene blaue Zunge vorweisen, ist es meist schon zu spät. Vor allem aber gilt in so einer Situation, Stress zu vermeiden. Denn Stress begünstigt den Virusverlauf. Eine Isolation des betroffenen Tieres beispielsweise wäre wegen der sozialen Lebensweise der Elefanten kontraproduktiv.

Laut Fachliteratur sind Afrikanische Elefanten weniger durch den Elefanten-Herpesvirus gefährdet als ihre asiatischen Verwandten. Warum ist dies so und warum stellt der Zoo Zürich nicht auf Afrikanische Elefanten um, zumal die thematisch ohnehin besser zu den umliegenden Anlagen «Afrikanisches Gebirge» und «Lewa-­Savanne» passen würden?

Es stimmt zwar, dass Afrikanische Elefanten weniger empfindlich auf Herpesviren reagieren. Aber bei einer bedrohten Art wie dem Asiatischen Elefanten nur wegen einer natürlich vorkommenden Krankheit die Haltung aufzugeben, wäre absolut kontraproduktiv. Wenn wir bei jeder Herausforderung im Naturschutz immer direkt aufgeben würden, gäbe es keinen Naturschutz mehr. Vielmehr müssen Rückschläge ein Ansporn sein, daran zu arbeiten, die Krankheit besser verstehen und behandeln zu können. Abgesehen davon gibt es bei Afrikanischen Elefanten im Gegensatz zu den Asiatischen grosse Probleme mit Tuberkulose. Ein Art-Wechsel würde somit nicht zwingend die Situation verbessern.

Nicht nur der Zoo Zürich, auch viele andere Tiergärten melden Todesfälle durch den Elefanten-Herpesvirus. Zudem gab es in den letzten Jahren in den Zoos nur wenige Geburten, wobei auch noch ein deutlicher Bullenüberschuss zu verzeichnen war. Hat die Zucht der grauen Riesen in Zoos überhaupt eine Zukunft?

Absolut. Es bestehen ja keine Haltungsprobleme per se. Probleme bereitet einzig der Elefanten-Herpesvirus, der nicht nur im Zoo, sondern auch in der Natur vorkommt. Abgesehen davon hatten wir bis zu den Todesfällen von Umesh, Omysha und Ruwani 20 Jahre Ruhe vor dem Virus. Und die Zucht funktioniert. Seit 1984 der erste Elefant in Zürich zur Welt kam, gab es 14 Geburten. Davon erreichten acht, also über die Hälfte, das Erwachsenenalter. Kurz: Ja, wir hatten Rückschläge. Aber wo wäre die Menschheit, wenn wir uns von Rückschlägen immer sofort entmutigen lassen würden? Rückschläge müssen uns ein Ansporn sein.

Rückschläge gab es im Zoo Zürich auch bei den Koalas. Ebenfalls verursacht durch einen Virus, starben drei Beutelbären, der letzte, Pipa, in Ihrer Amtszeit. Wie geht es mit deren Haltung weiter?

Ich bin sehr optimistisch, dass sich diese positiv entwickeln wird. Zwar gibt es auch hier keinen Impfstoff gegen den Retrovirus und sowohl Tiere im Zoo wie in der Wildnis tragen diesen in sich. Es hat sich aber gezeigt, dass es bei Koalas, die in europäischen Zoos geboren wurden, zu deutlich weniger Todesfällen kommt als bei jenen, die aus australischen Tierparks stammen. Von ersteren haben wir vor ein paar Monaten mit Tarni ein Männchen aus dem Zoo Duisburg erhalten. Demnächst soll ein Weibchen aus einem französischen Zoo folgen. Mit den Umbaumassnahmen in der Innenanlage – insbesondere durch die reichere Bepflanzung – hoffen wir zudem, dass wir den Wohlfühlfaktor für die Tiere erhöhen konnten.

Mit der Begrünung wurde teilweise auch der Tierbestand des Australienhauses verändert. Statt Riesenwaran haben die Koalas nun bald Karibische Exuma-Wirtelschwanzleguane und Savu-Inselpythons aus Indonesien als Nachbarn. Warum diese Umstellung?

Weil wir einerseits mehr Platz für weitere Koalas brauchten. Und weil andererseits Wirtelschwanzleguane in ihrem Bestand bedrohter sind als die Riesenwarane. Auch hier hatte der Artenschutzgedanke Vorrang vor dem zoogeografischen Purismus. Sie sind bei uns, bis wir von anderen Zoos die gewünschten Baumkängurus bekommen, die ja ursprünglich aus Neuguinea stammen und somit eher zum gegenwärtigen «Australienhaus» passen.

Gut gepasst hätten die Riesenotter als Unterbesatz der Pantanalanlage. Doch inzwischen sind sie aus der Planung verschwunden. Wieso?

In einem französischen Zoo, in dem die Riesenotter wie bei uns geplant bereits in einer übernetzten Anlage mit Vögeln zusammenleben, hat sich gezeigt, dass diese Haltung nicht funktioniert. Sprich: Es wurden zu viele Vögel Opfer der Otter. Darum sind wir davon abgekommen. Auch die Totenkopfäffchen werden dann nicht mehr in der Anlage gehalten werden, weil sie einen Virus in sich tragen, der für die ebenfalls als Mitbewohner vorgesehenen Krallenaffen tödlich ist.

Apropos Pantanalanlage. Deren Ausbau verzögert sich nun durch eine Einsprache gegen die Baugenehmigung. Frustriert Sie das nicht?

Kritische Stimmen gehören nun mal dazu und sind Teil der direkten Demokratie, in der wir leben. Für den Zoo ist dies zudem nichts Neues. Auch der Bau des «Masoala-­Regenwalds» ging bis vor das Bundesgericht. Allerdings hoffe ich, dass das Gericht bei der Pantanal-Übernetzung schnell entscheidet – und zu unseren Gunsten. Denn mit der transparenten Übernetzung der Anlage wird die Haltung von Vögeln enorm verbessert, da sie in der riesigen Voliere ihre Flugfähigkeiten zur Entfaltung bringen können.

Wie andere Unternehmen muss sich der Zoo Zürich nach der Coronakrise, die dem Tiergarten einen Einnahmeausfall von 19 Millionen Franken einbrachte, nun mit der Energiekrise auseinandersetzen. Wie stark trifft diese Ihre Institution und verzögern sich dadurch die Ausbauprojekte?

Zum jetzigen Zeitpunkt trifft uns die Krise nur geringfügig. Wir sind seit acht Jahren ein CO₂-neutraler Betrieb, der Wärme aus interner Heizkraft produziert. Beim Strom sind wir allerdings abhängig von Zulieferern. Würde der Strom über längere Zeit ausfallen, hätten wir gerade bei Terrarien und Aquarien trotz Notstromaggregaten ein Problem. Mehr zu schaffen als die Energie machen uns gegenwärtig Lieferprobleme. So verzögerte sich der Umbau des Australienhauses, weil ein Chip zur Produktion der neuen Scheiben nur in einer chinesischen Fabrik hergestellt wird, die lange nicht liefern konnte. Und ich fürchte, dass uns solche Lieferengpässe auch in Zukunft beschäftigen werden.

Eines der Ziele bei Dienstantritt war, die Qualität für die Zoobesucher zu erhöhen. Wo ist dies umgesetzt worden und woran muss noch gearbeitet werden?

Wir haben unter anderem das Online-Angebot für den Ticketkauf ausbauen können. Tickets sind nun etwa über die Zoo-App erhältlich. In der Gastronomie wurde die Variabilität weiter vergrössert, gerade im frisch renovierten Masoala-Restaurant. Die Kommunikation mit den Besucherinnen und Besuchern wurde ebenfalls weiterentwickelt. Ist eine Anlage beispielsweise unbesetzt, gibt es dazu ein Schild, das den Grund dafür erklärt. Bei Dienstleistungen gibt es immer etwas zu verbessern. Da darf man nie zufrieden sein.

Der Zoo Zürich hat seine Unterstützung für weltweite Naturschutzprojekte unter Ihrer Leitung weiter ausgebaut. So lobenswert dies ist, ist es wirklich die Aufgabe von Zoos, vor Ort Naturschutz zu betreiben?

Ja. Der Naturschutz ist neben Forschung, Bildung und Artenschutz einer der vier Grundpfeiler eines modern geführten Zoos. Neben der finanziellen Unterstützung unserer Projekte wird aber auch der Wissenstransfer zwischen Zoos und Naturschutzgebieten immer wichtiger. Auch in der Natur sind die Populationen – oft durch uns Menschen – immer stärker zersplittert. Beim Management von kleinen Populationen, genauso wie in der Behandlung von Krankheiten, haben Zoos ein unglaubliches Fachwissen. Dieses in unseren Projekten einzusetzen, ist auch Teil von Naturschutz. Zoos und andere Naturschutzorganisationen beziehungsweise -behörden müssen darum beim Natur- und Artenschutz eine gemeinsame Strategie schaffen. 

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