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Interview

"Viele essen zu einseitig"

Von: Ginger Hebel

09. Januar 2024

Ernährung: Übergewicht im Homeoffice, gesunde Produkte im Winter und Mangelernährung im Alter. Ruth Ellenberger, Ernährungsberaterin und Co-Geschäftsführerin des Zürcher Ernährungszentrums, weiss Rat. 

Viele Menschen nehmen sich Vorsätze fürs neue Jahr. Sie wollen sich bewusst ernähren. Wie definiert sich gesunde Ernährung aus Expertensicht?

Ruth Ellenberger: Ganz wichtig: abwechslungsreich essen. Kein Lebensmittel allein kann unserem Organismus all das liefern, was er braucht, um gesund zu bleiben. Eine abwechslungsreiche Kost, die vorwiegend auf pflanzlichen Lebensmitteln basiert, ist elementar. Industrieprodukte, bestehend aus Weissmehl, Fett und Zucker, sind das, worauf man am ehesten verzichten sollte. Ballaststoffreiche Nahrung mit Gemüse, Obst und Vollkorn-Produkten unterstützt das Mikrobiom für einen gesunden Darm, was auch dem Immunsystem dient. Sie fördert die Denkleistung, den Schlaf-Wach-Rhythmus und unterstützt die psychische Gesundheit.

Was sollte man täglich essen, um seinem Körper etwas Gutes zu tun?

Ich empfehle zu jeder Mahlzeit eine Eiweiss-Komponente wie Eier, Hülsenfrüchte, Milchprodukte, mageres Fleisch oder Fisch. Denn unser Körper ist nicht in der Lage, Eiweiss zu speichern, also muss es regelmässig mit der Nahrung zugeführt werden. Eiweiss ist wichtig für die Bildung von Enzymen und den Erhalt gesunder Muskulatur, für Knochen, Haut und Haare.

Worauf sollte man verzichten?

Auf Süssigkeiten zwischendurch. Weil sie den Hunger-Sättigungs-Mechanismus stören. Auch Süssgetränke und Fruchtsäfte auf nüchternen Magen sind keine gute Idee, sie schaden den Gefässen. Der Blutzuckerspiegel steigt, der Körper schüttet das Hormon Insulin aus, Zucker verteilt sich in den Zellen und Fett-Depots werden angelegt. Weil der Blutzuckerspiegel schnell wieder absinkt – verursacht durch die hohe Insulinausschüttung – kommt das Hungergefühl zurück. Das heisst aber nicht, dass man auf Süsses verzichten muss, man sollte es idealerweise aber innerhalb einer Mahlzeit konsumieren, als Dessert.

Richtig trinken im Winter: Gerade ältere Leute haben oft weniger Durst, Büroangestellte vergessen das Trinken ebenfalls oft. Wie viel Flüssigkeit braucht man im Winter wirklich?

Eine gute Regel: 30 ml Wasser pro Kilo Körpergewicht pro Tag. Im Winter geht das Trinken tatsächlich leichter vergessen, weil man weniger schwitzt. Trinken ist aber äusserst wichtig, weil wir in trockenen Räumen leben und arbeiten. Auch der Computer trocknet die Luft zusätzlich aus. Allein über die Atmung verlieren wir Flüssigkeit. Wer zu wenig trinkt, riskiert Kopfschmerzen, auch die Konzentrationsfähigkeit lässt nach. Besonders für ältere Leute kann zu wenig Flüssigkeit ernsthafte Folgen haben. Sie nehmen oft Medikamente ein, wenn sie dann zu wenig trinken, kann es zu Dehydration und Vergiftungserscheinungen kommen. Trinken lässt sich trainieren. Am besten einen Trinkwecker einrichten. Es muss nicht nur Wasser sein. Verdünnte Fruchtsäfte enthalten Elektrolyte und sind gut fürs Herz.

Welche Produkte stärken das Immunsystem im Winter besonders?

Vitamin C enthält Antioxidantien und schützt die Zellen. Wer Sauerkraut mag, liegt goldrichtig. Auch Wurzelgemüse und Kohlgewächse sind vitaminreich, ebenso Nüsse. Und Trinken nicht vergessen. Wenn die Schleimhäute austrocknen, haben es Keime leichter.

Statt Früchte und Gemüse greifen viele zu Vitaminpräparaten. Sind sie ein guter Ersatz?

Nein, gar nicht. Sie enthalten weder sekundäre Pflanzenstoffe noch Nahrungsfasern und wirken dadurch nicht entzündungshemmend. Zudem besteht bei Nahrungsergänzungsmitteln das Risiko der Überdosierung, was neurologische Prozesse beeinträchtigen kann. Das einzige Vitaminpräparat, das in den dunklen Monaten (Oktober bis März) alle einnehmen sollten, ist Vitamin D.

Bei vielen Früchten wie Äpfeln und Kiwis, aber auch Kartoffeln stecken die meisten Vitamine in der Schale. Viele Menschen schälen aber alles. Ein Fehler?

Ja, denn es ist tatsächlich so, dass viele Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe direkt in oder unter der Schale liegen. Gespritzte Nahrungsmittel sollte man allerdings schon schälen, ebenso alte Kartoffeln. Ansonsten hilft: Gut waschen und saisonal einkaufen. Diese Produkte sind auch weniger behandelt.

Frühstücken wie ein Kaiser, heisst eine Regel. Doch viele haben morgens schlicht keinen Hunger. Ist es ungesund, das Frühstück ausfallen zu lassen?

Wer morgens keinen Hunger hat, sollte sich nicht zum Essen zwingen. Wer frühstücken will, soll dies tun. Jeder Mensch ist verschieden. Viele Leute nehmen die Hauptmahlzeit abends ein, weil sie dann mehr Ruhe und Zeit haben. Das ist nicht gesundheitsschädigend, manchmal kann aber die Schlafqualität leiden, wenn man zu spät isst. Ältere Menschen verdauen zudem nicht mehr so schnell.

Verzichten fällt vielen schwer. Was halten Sie vom sogenannten Cheat Day, ein Tag, wo man alles essen darf, worauf man Lust hat?

Das finde ich ehrlich gesagt unsinnig, denn es erinnert an ein gestörtes Essverhalten. Pizza, Wein, ein Schöggeli, das ist alles nicht schlimm, solange man es nicht übertreibt und die Ernährungsbilanz innert 14 Tagen stimmt. Viele Menschen sind zu streng mit sich selber und halten es dann ohnehin nicht durch. Wer jeden Tag ein Gipfeli isst, tut sich natürlich nichts Gutes. Wer aber am Sonntag Backwaren konsumiert, tut es aus Genuss, und das ist wichtig.

Wer im Homeoffice arbeitet, hat ein Risiko für Übergewicht, weil der ständige Gang zum Kühlschrank lockt. Was hilft?

Fakt ist, dass viele Menschen im Homeoffice zunehmen. Sie bewegen sich kaum, bedienen sich oft am Kühlschrank, die soziale Kontrolle fehlt. Da hilft nur eins: Weniger einkaufen, damit man nicht in Versuchung kommt und häufiger raus an die frische Luft muss, um Besorgungen zu tätigen.

Mangelernährung kommt besonders häufig im Alter vor. Die Folgen können ungewollter Gewichtsverlust, Infektionsanfälligkeit und Schwäche sein. Was schafft Abhilfe?

Mangelernährung ist bei älteren Menschen leider ein Riesenthema. Die Vereinsamung hat zugenommen. Viele essen zu einseitig. Sie nehmen sich morgens vielleicht ein Weggli mit Butter und Konfitüre, dadurch fehlen aber wichtige Vitamine und Eiweiss. Auch Canapés und Wähen sind keine richtige Ernährung. Es braucht Lösungen wie Mahlzeitendienste, Spitex, Mittagstische und Strukturen.

Wann ist eine professionelle Ernährungsberatung sinnvoll?

Immer, wenn man das Gefühl hat, selber nicht weiterzukommen. Es gibt gute Apps zur Gewichtskontrolle. Wer abnehmen will, kann sich auch in Foren zusammenschliessen und gegenseitig motivieren. Bei erhöhten Fett- und Blutzuckerwerten oder anderen ernährungsbedingten Erkrankungen sollte man sich Hilfe holen.

Weitere Informationen:

www.ernaehrungszentrum.ch

 

 

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