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Die 100-jährige Agnes Guler (M.) mit ihrer Tochter Christina (74, r.) und Cornelia Koller (l.) von Sportaktiv. (Bild: PD)

100 Jahre und noch voller Tatendrang

Von: Clarissa Rohrbach

10. April 2024

Die 100-jährige Agnes Guler macht ihren Haushalt noch selbst und geht ins Aqua-Fitness. Die alt Kantonsrätin bleibt fit, indem sie in Politfragen mitredet. Ihr Leben lang kämpfte sie für Frauenrechte. 

Im Wasser fühlt sie sich wohl. Die 100-jährige Agnes Guler besucht immer noch einmal die Woche das Aqua-Fitness, obwohl sie nicht schwimmen kann. Begleitet wird sie von ihrer 74-jährigen Tochter Christina. «Körperlich und geistig aktiv zu bleiben, trägt dazu bei, dass ich in meinem hohen Alter noch fit bin», sagt Guler. Aqua-Fitness sei einfacher als Turnen und schone die Gelenke. Deswegen habe sie vor über 20 Jahren damit angefangen. Für ihr sportliches Engagement hat sie zum Geburtstag einen Gutschein von Sportaktiv bekommen. Damit kann sie das Aqua-Fitness ein Jahr lang gratis besuchen. Agnes Guler freut sich über die Geste: «Das Geschenk hat mich überrascht, es ist sehr grosszügig.»

Politisieren mit Urenkeln

Agnes Guler sitzt in Finken in ihrer Wohnung beim Milchbuck, an den Wänden hängen Bilder ihrer Familie. Sie habe drei Töchter, sechs Enkel und elf Urenkel. Beim Zählen verliert sie den Faden und lacht. Agnes Guler redet bedacht, überlegt lange und antwortet dann mit Bestimmtheit und Humor. Sie ist dankbar, dass sie so alt werden konnte. Abgesehen von einem schlechten Gehör, habe sie keine gesundheitlichen Probleme. «Man merkt, dass man schwächer wird, man ist unsicherer beim Laufen, aber das gehört dazu.» Agnes Guler meint, sie habe gute Gene in der Familie. Viele ihrer Verwandten wurden über 90 Jahre alt.

Die 100-Jährige schätzt ihre Selbständigkeit. Sie wohnt alleine und putzt noch selber. Bis vor kurzem pflegte sie noch einen Schrebergarten beim Juchhof, den sie über 70 Jahre lang hatte. Jeweils am Sonntag kocht sie für ihre Familie. Bis zu zehnt sitzen dann vier Generationen am runden Tisch im Wohnzimmer. Ein soziales Umfeld zu haben, helfe im Alter. «Man interessiert sich für andere und denkt nicht immer an die eigene Befindlichkeit», sagt Agnes Guler. Klar sei es manchmal einsam, aber man müsse sich drum kümmern, sich beschäftigen. Agnes Guler, die ihr Leben lang in der Politik aktiv war, folgt immer noch ihrem Grundsatz: Sich informieren, mitdenken, mitreden. So politisiert sie mit ihren Verwandten gerne am Mittagstisch. In ihrem Leben habe sie keine einzige Abstimmung ausgelassen.

Kämpferische Genossin

Agnes Guler wurde 1924 in Scharans / GR geboren. Sie wuchs in bescheidenen Verhältnissen mit sechs Geschwistern auf. Weil ihre Familie Geld brauchte, konnte sie nach der Schule keine Lehre absolvieren und ging als 16-Jährige direkt in eine Wolldeckenfabrik in Sils im Domleschg arbeiten. Damals herrschte der Zweite Weltkrieg. «Es wurde uns viel weggenommen», sagt Agnes Guler. Schon früh kämpfte sie gegen soziale Ungerechtigkeiten. So streikte sie mit ihrem Mann, den sie in der Fabrik kennengelernt hatte, für bessere Löhne. Sie verdiente zu dieser Zeit 20 Rappen die Stunde. Durch den Kontakt mit den Gewerkschaften wurde sie politisiert und trat der SP bei.

Wegen ihres Aufstandes konnten Agnes Guler und ihr Mann in Graubünden keine Stelle mehr finden. Sie zogen 1953 nach Zürich, in die gleiche Genossenschaft, in der sie heute eine Dreizimmerwohnung mietet. Das Paar führte eine «moderne» Beziehung. «Mein Mann half mir auch mit Putzen und Kochen, das war damals revolutionär», meint Agnes Guler. Die Gleichstellung der Frauen ist ihre Lebensmission. Sie schaut auf das Foto des «Marsches auf Bern» von 1952, als Textilarbeiter gegen Entlassungen protestierten. Auch 1969, als die Frauen vor dem Bundeshaus das Stimmrecht forderten, war sie dabei. Bald engagierte sie sich für Frauenrechte in der Frauengruppe der SP und wurde 1980 Kantonsrätin.
Agnes Guler erinnert sich gerne an die Zeit im Parlament. Sie steht auf und holt ein vergilbtes Papier aus dem Schrank. Das 1987 eingereichte Postulat forderte eine Stabstelle für Frauenfragen. Als Resultat gründete der Kanton 1990 die kantonale Fachstelle für Gleichstellung von Frau und Mann. Agnes Guler ist stolz, dass diese Stelle dank ihres Anstosses existiert. «Wir haben damals Pionierarbeit geleistet, das realisieren die Frauen heutzutage zu wenig, vieles ist für sie selbstverständlich.» Heute sei viel erreicht, doch das genüge noch nicht. Frauen würden immer noch weniger Lohn verdienen und hätten nicht die gleichen Chancen. «Es ist ein langsamer Prozess, wir müssen weiter daran arbeiten», sagt Agnes Guler.

Keine Angst vor Tod

Obwohl Agnes Guler eine grosse Familie hat, musste sie schon früh Verluste erleben. So starb ihr Mann 1981 an einem Hirnschlag. Sie selbst hat keine Angst vor dem Tod. «Ich wünsche mir, dass ich abends einfach ins Bett gehe und am nächsten Morgen nicht mehr erwache», sagt sie. Eine positive Einstellung habe ihr im Alter geholfen. Sie habe eine optimistische Art: «Ich schaffe das» anstatt «ich kann das nicht». Und mit ihren 100 Jahren kann Agnes Guler immer noch alles.

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