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Sowohl linke als auch rechte Parteien fordern, dass Zürich zum Stadtkanton werden soll. (Bild: AdobeStock)

Der Traum vom Stadtkanton

Von: Von Clarissa Rohrbach

14. November 2023

Ein SP-Vorstoss fordert, dass Zürich zum Stadtkanton wird, weil die rechtsbürgerliche Mehrheit auf dem Land städtische Vorhaben immer wieder bremst. Für Politologe Michael Hermann keine gute Idee. 

Die Rosengartenstrasse, ein Problemkind. Die Stadt will auf der wichtigen Verkehrsachse schon lange Tempo 30 einführen. Doch der Kanton schob letzten Monat dem Vorhaben einen Riegel vor. Eine solche «Bevormundung» vom rechtsbürgerlichen Kanton sorgt bei der Zürcher SP für Empörung. Zwei Gemeinderäte haben einen Vorstoss eingereicht, der die Möglichkeit einer Abspaltung der Stadt vom Rest des Kantons sondiert.

Pascal Lamprecht und Reis Luzhnica wollen in einer brisanten schriftlichen Anfrage wissen, ob es der Stadtrat begrüsst, zwei Halbkantone zu schaffen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Sie fordern einen Stadtkanton Zürich, weil der Handlungsspielraum von Gemeinden zunehmend beschnitten würde. «Konservativ regierte Kantone heben beispielsweise Gesetze ihrer progressiv regierten Städte wieder auf», schrieben die beiden Politiker.

Die Nachteile überwiegen

Laut dem Politologen Michael Hermann wäre die Schaffung eines Stadtkantons keine gute Idee. Zwar könnten die Interessen der städtischen Bevölkerung leichter umgesetzt werden. «Doch die Stadt gehört nicht nur ihren Bewohnern», sagt Hermann. Er hebt hervor, dass Zürich ein wichtiges Zentrum für die ganze Deutschschweiz ist. «Die Stadt ist mit ihrem Umland eng verflochten, es ist richtig, dass auch der Kanton mitredet.» So müsse man zum Beispiel den Verkehr über die Grenzen hinaus koordinieren. Da gebe es unterschiedliche Interessen. Während Städter vom Lärm betroffen seien und diesen reduzieren wollen, seien Strassen wie die Rosengartenstrasse für Leute, die von ausserhalb anreisen, eine wichtige Zufahrt in die Stadt.

Michael Hermann ist überzeugt, dass Vorhaben wie Tempo 30 auf der Rosengartenstrasse ohne den Einfluss des Kantons durchkämen. Ein Stimmrecht für Ausländerinnen möglicherweise auch. Wäre Zürich ein Stadtkanton, würde sich laut dem Wissenschaftler vor allem in den Bereichen Verkehr, Raumplanung und Wohnen Dinge ändern. Die Stadt könnte ihre Bedürfnisse ohne Hindernisse umsetzen. Doch Hermann sieht mehr Nachteile. So müsste die Stadt die Verwaltung massiv ausbauen, weil eine Vielzahl von zusätzlichen Aufgaben auf sie zukämen – zum Beispiel im Gesundheitswesen und den Hochschulen. Und am Schluss würde dennoch vieles wieder gemeinsam gelöst.

Dass die Nachteile eines eigenständigen Kantons überwiegen, hielt auch der Stadtrat fest, als er in der Vergangenheit auf Vorstösse antwortete. Die Idee eines Stadtkantons wurde schon mehrmals aufs politische Parkett gebracht. In den 90er-Jahren von SP-Stadträtin Ursula Koch und 2104 von den ehemaligen Gemeinderätinnen Christine Seidler und Linda Bär.

Hauptstadt Winterthur?

Laut Hermann wäre es ein riesiger Kraftakt, einen Stadtkanton Zürich zu schaffen. Zuerst müssten sowohl Stadt als auch der übrige Kanton dafür sein, dann müsste auf Bundesebene abgestimmt werden. Nicht nur sei es teuer und kompliziert, sondern es stellten sich auch viele Fragen. Zum Beispiel, welcher Ort Hauptstadt des ländlichen Halbkantons würde. «Winterthur?», fragt Hermann.

Laut Hermann wird die Forderung einer Abspaltung immer lauter, weil der politische Graben zwischen Land und Stadt in der Schweiz immer grösser wird. Das liege daran, dass die Städte und das Land verschiedene Menschen anziehen. Während links Denkende die Dichte in der Stadt suchten, ÖV fahren und kein Eigenheim wollen, sei es auf dem Land genau umgekehrt. Dort wollen Menschen eher Auto fahren, ein Haus kaufen und weniger Steuern bezahlen. Das führe dazu, dass die Mehrheit des übrigen Kantons eher bürgerlich abstimmt. «So wird die Stadt immer mehr zur Bubble. Die Leute ticken alle gleich und möchten nicht, dass anders Denkende von ausserhalb mitreden», sagt Hermann.

Auch SVP hat Interesse

Während Basel-Stadt 2014 eine Fusion mit dem Land befürwortete, werden in Zürich die Forderungen nach einer Abspaltung der Stadt immer lauter. Und zwar nicht nur von linker Seite. Zuletzt reichte der Thalwiler SVP-Kantonsrat Marcel Suter beim Regierungsrat die Frage ein: «Ist der Regierungsrat der Meinung, dass die Stadt Zürich auch langfristig immer noch mit dem Rest des Kantons zusammenpasst?» Laut Hermann gibt es auch bei der SVP Interesse an einer Abspaltung der Stadt, denn während die Linken auf dem Land schwach sind, ist die SVP in der Stadt kaum vertreten. «An beiden Polen gibt es Leute, die am liebsten eine Mauer bauen würden», sagt er. Die Bürgerlichen könnten in einem eigenständigen Kanton ohne die Stadt die Steuern senken und den Flughafen ausbauen.

Doch Hermann ist skeptisch. «Die Chancen für die Schaffung eines Stadtkantons sind klein.» Schliesslich profitierten sowohl Stadt als auch Land von einem finanzstarken Gesamtkanton. Ohne diesen Kanton wären weder ein Universitätsspital noch ein S-Bahnnetz in heutiger Qualität denkbar.

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