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Auf diesen bequemen Kissen wird gekuschelt. (Bild: PD)

Gruppenkuscheln als Lebenshilfe

Von: Christian Saggese

18. Januar 2024

Der Weltkuscheltag (auch Weltknuddeltag) am 21. Januar soll daran erinnern, wie wichtig Körperkontakt zu anderen für das persönliche Wohlbefinden ist – auch ohne erotische Komponente. Wer nach sozialer Nähe sucht, findet diese bei den Kuschelabenden im Kuschel-Tempel in Höngg.

In unserer hektischen und entfremdenden Zeit sehnen sich viele Menschen nach Nähe und Geborgenheit. Eine Möglichkeit, diese Bedürfnisse zu erfüllen, sind die sogenannten Kuschel-Gruppen. Bei diesen Veranstaltungen treffen die unterschiedlichsten Menschen zusammen, um miteinander in Kontakt zu kommen, sich zu halten und dabei gemeinsam Wärme und Zugehörigkeit zu spüren. Erotische Interaktionen spielen dabei keine Rolle, ja sind sogar verboten.

Seit zwei Jahren veranstaltet Elana Andermatt zusammen mit ihrer Kollegin Andrea Bergamini Kuschelabende im Seminarhaus Jupiter Space in Zürich-Höngg. Die erfahrene Körper- und Trauma-Therapeutin erklärt das Konzept wie folgt: «Durch liebevolle, jedoch absichtslose Berührungen entsteht bei diesen Treffen eine emotionale Verbundenheit zwischen den Teilnehmenden. Das gemeinsame Eintauchen in die Gruppe eröffnet uns eine Zeit der Verlangsamung und Ruhe, in der wir den hektischen Alltag abstreifen können. Doch hierbei geht es nicht nur um individuelle Entspannung. Sondern auch darum, diesen friedvollen Augenblick mit anderen zu teilen und eine Verbindung zu schaffen, die gemeinsam Stress oder Unsicherheiten verblassen lässt. Dadurch verbessert sich das eigene Wohlbefinden, es kann eine Unterstützung sein für die psychische Gesundheit und man gewinnt an Selbstbewusstsein.»

Es war Bernhard Bäumle, der vor 18 Jahren die Kuschelabende von Berlin in die Schweiz brachte und dadurch Inspiration für ähnliche Angebote in weiteren Städten war. Mit ihm hat Elana Andermatt sechs Jahre eng zusammengearbeitet und dabei wichtige Grundlagen gelernt. In erster Linie war es aber ihre Liebe zu anderen Menschen, unabhängig von deren Herkunft und Religion, die sie dazu motiviert hat, eigene Kuschel-Abende zu organisieren.

Alle sind willkommen

Der Kuschel-Tempel befindet sich nur wenige Gehminuten entfernt von der VBZ-Frankental-Station, und zwar beim Jupiterhaus, einer grossen Wohngemeinschaft, in der 17 Personen unterschiedlichen Alters (16 bis 61 Jahre) zusammenleben. Eine solche Vielfalt an Menschen ist es auch, die an den Kuschelabenden teilnimmt. Bis zu 28 Personen nehmen regelmässig teil, manche sporadisch, und es hat sich eine vertraute Community gebildet, die sich gegenseitig unterstützt und Emotionen teilt, wie Elana Andermatt erfreut feststellt. Neue Gesichter sind jedoch stets willkommen. Einzige Bedingung: «Vorurteile gegenüber Mitmenschen sind nicht erwünscht, denn im Kuschel-Tempel sind alle gleich.» Unabhängig von Alter, dem Aussehen und der persönlichen Geschichte.

«Die meisten Teilnehmenden sind Menschen wie du und ich», so Elana Andermatt. «Es nehmen an den Abenden aber auch Menschen teil, die aufgrund von Übergriffen traumatische Erfahrungen gemacht haben und durch diese Kuschelabende das Vertrauen in andere Menschen zurückgewinnen. Auch Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen, die manchmal in der Gesellschaft leider mehr Distanz als Liebe erleben, suchen im Kuschel-Tempel nach körperlicher Nähe. Genauso gibt es allerdings auch Teilnehmende, die in einer glücklichen Beziehung sind und trotzdem das Bedürfnis nach weiterem Körperkontakt in einer Gruppe verspüren.» Letztendlich, so sagt Elana Andermatt, sei der Mensch nun mal ein soziales Wesen. Und bei manchen Menschen sei das Gefühl nach Verbundenheit deutlich stärker ausgeprägt als bei anderen.

Für Anfänger und Profis

Wie aber läuft ein solcher Kuschel-Abend ab? Zuerst betritt man den schön eingerichteten Aufenthaltsraum, in welchem es Tee und Gebäck gibt, ebenso hat man die Möglichkeit, sich umzuziehen. Hier finden auch die ersten lockeren Gespräche statt. Später geht es in den Seminarraum. In der Einstiegsrunde wird der Ablauf erläutert, jeder stellt sich mit Namen vor und allfällige Fragen werden geklärt. Durch verschiedene Übungen alleine und miteinander liegt der Fokus zuerst beim Ankommen. In der Pause wird der Raum umgestaltet. Der Boden wird mit bequemen Matten, Kissen und Decken ausgelegt. Dann beginnt für alle, die in diesem Moment auch wirklich das Bedürfnis danach verspüren, das Gruppenkuscheln. Gegen 22 Uhr ist der Anlass zu Ende, er dauert also nicht etwa die ganze Nacht.

Im Kuschel-Tempel werden Abende sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene angeboten. Elana Andermatt hebt den entscheidenden Unterschied hervor: «Als Neuling beschäftigt man sich zuerst durch Übungen intensiver mit dem eigenen Körper und lotet die persönlichen Grenzen aus, bevor man sich auf die Gruppendynamik einlässt. Das Ziel ist, sich fallen lassen zu können und genau die persönliche Unterstützung zu erhalten, die benötigt wird. Dies erfordert, dass man sich erstmal gut wahrnimmt, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen spürt und nach aussen kommunizieren kann.»

Nichts Erotisches

Eine erotische Interpretation der Veranstaltung, so betont die Kunstleiterin nochmals, ist unangebracht. Im Kuschel-Tempel sind keinerlei sexuelle Handlungen gestattet. «Es ist untersagt, mit der Hand unter die Kleider zu gehen oder sich Küsschen zu geben, selbst wenn beide Parteien einverstanden wären. Im Kuschel-Tempel betrachten wir uns als Bruder und Schwester, nicht als Liebhaber. Daher sollte es im Idealfall auch keine Rolle spielen, ob die Person, die man umarmt, männlich, weiblich oder divers ist.»

Die beiden Leiterinnen überwachen sorgfältig, dass keine Grenzen überschritten werden: «Generell haben alle Teilnehmenden jederzeit das Recht, Nein zu sagen, und dieser Entschluss wird ohne Diskussion akzeptiert.» Damen haben allerdings die Möglichkeit, an separaten Frauen-Abenden teil-
zunehmen, falls sie sich in gemischten Gruppen unwohl fühlen. «Während des Abends gibt es jederzeit die Möglichkeit, auch einmal eine Übung auszulassen. Somit können Teilnehmende, die sich noch unsicher fühlen oder gerade etwas Abstand brauchen, auch einfach von einer neutralen Matratze aus das Szenario beobachten und erst dann dazuliegen, wenn sie sich wohl fühlen und es für sie passt.»


Weitere Informationen:
Kuschel-Tempel, Frankentalerstr. 55
Anmelden: kuschel-tempel.ch


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