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Nehmen handfeste Auseinandersetzungen in Zürich zu? Symbolbild: Adobe Stock

Kampf- statt Ruhezonen

Von: Sacha Beuth

06. Juni 2023

In letzter Zeit kam es in vermeintlich ruhigen und friedlichen Zonen Zürichs vermehrt zu Gewaltvorfällen. Ein Zufall oder ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft verroht? Die Expertenaussagen und Indizien dazu ergeben ein differenziertes Bild. 

Dass es an sogenannten Brennpunkten der Stadt Zürich immer wieder zu Gewaltvorfällen kommt, erstaunt kaum noch jemanden. Der Streit am 21. Mai an der Langstrasse / Hohlstrasse morgens um 6.15 Uhr, der mit einer Messerstecherei und einem Schwerverletzten endete, ist darum nichts Aussergewöhnliches.

Doch in letzter Zeit kam es auch an Orten, die als Horte der Ruhe oder zumindest als friedlich gelten, vermehrt zu Gewalttätigkeiten. Auf eine Messerstecherei an einem Samstagnachmittag, den 15.4., bei der VBZ-Haltestelle Dorflinde folgte eine ebensolche am frühen Samstagabend, 29.4., an der Zinistrasse. Am 13.5. verstarb ein Mann, nachdem er bei einem Streit in die Limmat geraten war (ob gefallen oder gestossen, ist noch unklar). Am 28.5. kam es beim Arboretum – an sonnigen Tagen ein beliebter Ort der Entspannung – zu einer brutalen Schlägerei zwischen zwei Gruppen von Jugendlichen, nach der mehrere Personen hospitalisiert werden mussten. Und am 29.5. versuchte ein Mann beim Bahnhof Hardbrücke einen 10-Jährigen, mit dem er zuvor einen verbalen Zwist hatte, aufs Gleis und vor einen herannahenden Zug zu schubsen. Alle Vorfälle spielten sich innerhalb von gerade einmal eineinhalb Monaten ab.

Auch in den Zürcher Badis scheint es immer öfter zu handfesten Auseinandersetzungen zu kommen. Hatten sich dort 2019 gemäss Polizeistatistik POLIS 4 Delikte aus den Bereichen Tötungsversuch, Körperverletzung, Tätlichkeiten und Angriff ereignet, so waren es 2022 deren 9. Alles Indizien, die dafür sprechen, dass in Zürich immer schneller Gewalt angewendet wird und die Gesellschaft immer mehr verroht.

Gewalt ungleich verteilt

Doch so klar, wie die Meldungen den Anschein erwecken, ist die Sache nicht. «Die Badi-Vorfälle sind insgesamt so gering, dass selbst bei der Zunahme von 4 auf 5 Fälle im Vergleich zu den vielen Badegästen keine Tendenz abgelesen werden kann», sagt Stapo-Mediensprecher Pascal Siegenthaler. Zudem hätten sich einige der Delikte ausserhalb der Öffnungszeiten ereignet, namentlich in der frei zugänglichen Badi Oberer Letten. Und das Sportamt lässt ausrichten, dass Betriebsleiter und Bademeister keine Zunahme an (polizeilich nicht gemeldeten) Gewalttaten feststellen konnten. Die geschilderten Vorfälle ausserhalb der Badis liessen sich laut Siegenthaler im Übrigen nicht in ein Schema von «Sicherer und unsicherer Gegend» pressen.

Dirk Baier, Gewaltexperte bei der ZHAW, warnt ebenfalls vor falschen Schlüssen: «Gewalt ist zwar tatsächlich räumlich ungleich verteilt und kommt dort häufiger vor, wo sich mehr Menschen aufhalten. Das heisst aber nicht, dass es in Gebieten mit weniger Personen keine Gewalt gibt oder gab. Aber weil sie seltener vorkommt, zieht sie dann eine grössere Aufmerksamkeit auf sich.» Wenn man sich die Entwicklung der Gewaltstraftaten der letzten 15 Jahre entsprechend der Polizeilichen Kriminalstatistik der Schweiz anschaue, sei eher von einer Konstanz der Gewalt auszugehen. Dennoch gäbe es Umstände, die Gewalt fördern. «Es gibt Hinweise, dass Wärme aggressionssteigernd wirkt. Gleiches gilt für dichte Ansammlungen von Menschen. Weit bedeutsamer als Wetter und Dichte ist jedoch der Konsum von Alkohol und Drogen. Der Konsum führt dazu, dass man sich schneller provoziert fühlt und dass man auch eher bereit ist, körperlich auf Provokationen zu reagieren.»

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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