mobile Navigation

Porträt

Charly Büchi: In der Zürcher Schwulenszene steht sein Name für Entkrampfung und Rock ’n’ Roll. Bild: Nicolas Y. Aebi

"Bisch au schwul oder wetsch drüber rede?"

Von: Jan Strobel

07. Juni 2016

Zurich Pride Festival: Dieses Wochenende werden Schwule und Lesben wieder für Toleranz und Gleichberechtigung auf die Strasse gehen. Eine prägende Figur der Szene ist Charly Büchi. Ein Porträt.

Charly Büchi (57) trägt an diesem verregneten Morgen grelles Gelb, Hellblau und Feuerrot, weil es Grau in seinem Leben nicht gibt und nie gegeben hat. Wer in der Zürcher Schwulenszene im Gespräch seinen Namen fallen lässt, der löst beim Gegenüber unmittelbar ein Lächeln aus, als ob «Charly» gleichsam ein Codewort für Entkrampfung, Gelassenheit und vor allem für Rock ’n’ Roll ist. Er ist der kleine, bunte Mann mit der runden Brille, der bei den Partys und Konzerten immer in der vordersten Reihe tanzt. Mit jedem Rhythmus, der seinen Körper durchströmt, umhüllt er auch die verbissensten Flirts irgendwo auf der Tanzfläche kurz mit einer oft allzu raren Leichtigkeit und Verspieltheit. Wenn Charly auftaucht, kommt Bewegung in die Nacht.

Eine Wand aus Angst

Leichtigkeit, Verspieltheit, Gelassenheit, das Es-auf-sich-zukommen-Lassen; es sind Qualitäten, die Charly immer wieder auch durch schwierige Jahre manövriert haben. Der Tanz, die Farben, sie haben ihn exponiert, sie waren aber gleichzeitig ein Schild gegen eine Gesellschaft, für die Männer wie er noch bis in die jüngste Vergangenheit ein Problem darstellten. Charly blickt durch seine runden Brillengläser ins Grau hinaus, und da kommt ein Bild in ihm hoch: Er als 19-Jähriger steht im Türrahmen zum Wohnzimmer. Er sieht: Die Eltern sitzen auf dem Sofa vor dem Fernseher. Sie verfolgen still und ratlos, was da in der Diskussionssendung «Telearena» Ungeheuerliches geschieht. Zum ersten Mal behandelt eine Schweizer Fernsehsendung offen und kontrovers das Thema Homosexualität. Eine ältere Dame aus dem Publikum spricht mit zitternder Stimme in die Kamera: «Wehe diesen eingebildeten Affen von Menschen, die meinen, nur sie seien richtig. Ich will, dass die Homosexuellen von der Gesellschaft akzeptiert werden ohne Bestimmung in ihre Persönlichkeit hinein. Sie sollen sich durchbeissen, an vorderster Front. Es gibt keinen Unterschied in der Sexualität.» Applaus brandet ihr entgegen. Manche Homosexuelle im Publikum tragen Masken, um anonym zu bleiben.

Der junge Mann im Türrahmen weiss, dass diese Frau auch für ihn gesprochen hat. Aber zwischen ihm und den Eltern auf dem Sofa baut sich diese Wand aus Angst auf. «An diesem Abend im April 1978 wurde in der Schweiz ein Tabu gebrochen», sagt Büchi rückblickend. Letztendlich gab diese Sendung den entscheidenden Schub, den ersten Zürcher «Christopher Street Day», wie die «Gay Pride» früher hiess, im Juni desselben Jahres auf dem Platzspitz zu organisieren. Während die Homosexuellenbewegung zu einem neuen Selbstbewusstsein fand, lamentierte die NZZ über «das zwiegesichtige, von mancherlei Ängsten geprägte Selbstverständnis der Homosexuellen», über das «trotzige ‹Ich bin nun mal so›» oder «das verklemmte Nichtannehmenkönnen der eigenen Persönlichkeit».

Aufklärung mit Rock ’n’ Roll

Trotzig mochte es manchem Passanten an der Bahnhofstrasse auch vorgekommen sein, wenn sie Anfang der 80er-Jahre diesen schrillen, jungen Mann mit knalligen Hosen, den bunten Socken, dem grünen Schuh links, dem blauen Schuh rechts, über den Boulevard flanieren sahen. Charly hatte sich emanzipiert, den Absprung aus dem Elternhaus geschafft, war vom Militär suspendiert worden, weil dort Schwule wie er von vornherein als untauglich eingestuft wurden. Zusammen mit einem Psychologen hatten er und seine Eltern einen gemeinsamen Weg der Akzeptanz gefunden. Sein Selbstbewusstsein trug Charly ostentativ zur Schau. Auf einem Aktenkoffer, den er immer bei sich trug, hatte er einen Kleber angebracht, auf dem stand: «Bisch au schwul oder wetsch drüber rede?», darunter seine Telefonnummer. «Die Leute konnten einfach anrufen. Einige taten das auch. Und die sagten dann natürlich nicht immer besonders schönes Zeug», schmunzelt Charly.

Es war gewissermassen Provokation und Aufklärung in einem, untermalt vom Sound von Rock ’n’ Roll und Jazz, der aus dem Kassettenrekorder auf seiner Schulter dudelte. «Überraschend waren diese Reaktionen damals nicht. Ich erinnere mich an unsere ersten Umzüge durch die Innenstadt am Christopher Street Day. Wir waren ein kleines Grüppchen. Vom Strassenrand her mussten wir uns öfters Beschimpfungen anhören. Zwei Männer, die sich in der Öffentlichkeit küssen, das war ein No-go.»

Zürich war damals, Anfang der 80er, eine Stadt, die erst langsam aus ihrer Beschaulichkeit aufwachte. Die schwule Szene traf sich im Club Hey beim Bellevue oder im Zabi, dem Clublokal der Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich (HAZ) an der Leonhardstrasse. «Halb legal als Memberclub wurde bis 4 Uhr morgens gefeiert mit damals illegalem Getränkeverkauf. Erst später gab es weitere Clubs», erinnert sich Charly. Wer schnellen Männersex suchte, der fand ihn in Parks oder öffentlichen Toiletten.

Für die politischen und gesellschaftlichen Anliegen der Zürcher Homosexuellen setzten sich die HAZ am Sihlquai ein. Büchi übernahm dort 1982 die Leitung der Jugend­gruppe «Spot 25». Jugendliche Homosexuelle fanden hier erste Ansprechpartner, einen Türöffner in ein glücklicheres Leben als Schwule oder Lesben. Über erkämpfte Inserate im «Züri Leu» oder in der Jugendzeitschrift «Musenalp-Express» konnten Hilfesuchende Kontakt mit Charly aufnehmen. Als Spot-Leiter organisierte er zusammen mit einem kleinen Team regelmässige Treffs und Diskussionen.

Es schien in diesen Jahren, als ob die Homosexuellenbewegung in kleinen Schritten ihren Platz in der Gesellschaft zu finden schien. Bis 1982 die ersten Zeitungsartikel in der Schweiz über eine «rätselhafte Homosexuellen-Krankheit» und eine «Lustseuche» zu berichten begannen. «Aids bedeutete für die Schwulenbewegung einen enormen Rückschlag», erzählt Charly. «Wir wussten zu Beginn nicht, wie wir auf diese neue Bedrohung reagieren sollten, wir waren wirklich ratlos. Niemand wusste Genaueres über diese Krankheit. Wir sahen nur, dass sich die Todesfälle in rasantem ­Tempo zu häufen begannen.» Die HAZ organisierten zusammen mit Spot 25 Infoabende, «an denen wir unter anderem auch darüber diskutierten, ob man Aids-Kranken tatsächlich nicht mehr die Hand reichen dürfe. Es klingt heute absurd, aber so war die Stimmung damals.»

Wenn Charly auf die heutige Schwulenszene blickt, dann erfüllt ihn das mit Genugtuung. «Es ist ganz anders als früher», sagt er. «Die Szene ist heute viel durchmischter, sie hat sich geöffnet, ist nicht mehr isoliert unter sich. Es gibt ja zum Beispiel nur noch wenige Partys oder Lokale in Zürich, die explizit nur für Männer offen sind.» Es ist eine Minderheit, die sich in die Mitte der urbanen Gesellschaft hineingekämpft hat. Und diese geschlossen auftretende Minderheit hat die Mehrheit massgeblich zu beeinflussen verstanden, für ihre Anliegen zum grossen Teil gewonnen. Gleichzeitig sei die Homosexuellenbewegung in der Schweiz viel weniger politisch als noch in den 80er- und 90er-Jahren, meint Charly. «Man sieht das auch an der Gay Pride. Das ist heute mehr ein Fest denn eine Demo.» Die Gay Pride sei aber nach wie vor notwendig, findet er. «Es ist immer noch wichtig, dass wir unsere Anliegen öffentlich vertreten.»

Ein grosser Meilenstein in Charlys Biografie wird im Herbst anstehen. Dann wird er seinem Partner das Ja-Wort geben. Sie werden dann genau 30 Jahre zusammen sein. Auch das ein Stück Zürcher Schwulengeschichte.

Alle Infos zur Gay Pride von kommendem Wochenende: www.zurichpridefestival.ch

Sind Sie bei Facebook? Werden Sie Fan vom Tagblatt der Stadt Zürich

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

3.9 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare