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Porträt

«Gerne wäre ich gelassener, aber ich verbringe so viel Zeit mit meiner Rolle, dass es schwer ist loszulassen.» Bild: Nicolas Y. Aebi

Der bescheidene Theaterstar

Von: Clarissa Rohrbach

17. September 2013

Das Stück «Der Prozess» hat die Theatersaison im Schauspielhaus eröffnet. Darin brilliert Markus Scheumann als Josef K. Das Geheimnis des gefeierten Hauptdarstellers: seine Selbstzweifel.

Josef K. klammert sich an seine Akten­tasche. Der unscheinbare Bürokrat, eine graue Maus im Bankwesen, wird aufgrund eines rätselhaften Verbrechens verhaftet. Er beteuert leise und mit gekrümmtem Rücken seine Unschuld, während eine undurchdringbare Wand von Aktenschränken und Gesetzesvertretern ihn immer mehr davon überzeugen, dass er sich tatsächlich schämen muss. Das geordnete Leben des bescheidenen Mannes gerät aus den Fugen. Markus Scheumann versucht sich in Kafkas «Prozess» in einem ungewohnt reduzierten Spiel. Zum Schluss klatscht das Publikum, er lächelt erleichtert.

Das war eine Woche vor der Premiere anders. Scheumann sitzt in der Kantine des Pfauen, trinkt ein Wasser und runzelt die Stirn: «Ich habe doch ein wenig Panik.» Das Gefühl, es nicht zu schaffen, hat ihn bei jeder seiner bisherigen 90 Rollen begleitet. Trotz fast 20-jähriger Erfahrung auf der Bühne bedeutet der Auftritt vor dem Publikum für ihn immer noch Stress. Das müsse so sein. «Wenn ein Schauspieler kein Lampenfieber mehr hat, dann ist er in der Routine gefangen und wird nichts mehr erreichen.»

Scheumann hingegen sucht immer noch. Und hat keine Antworten auf viele Fragen. Er hätte zum Beispiel gerne ein Rezept, wie man eine Rolle angehe, aber das stehe nirgends geschrieben. Lieber probiert er Dinge aus: Gesten, Tonfälle, Blicke. Würde sich seine Figur so bewegen? Würde sie so sprechen? Er versucht und irrt sich, immer und immer wieder. «Ich arbeite nach dem ‹Trial and Error›-Prinzip, wenn etwas nicht geht, muss ich es verwerfen: Das ist oft mühsam.»

Lächerliche Macker

Im Gegensatz zum verklemmten Josef K. blieb Scheumann in der letzten Saison mit den Darstellungen nicht so ganz hartgesottener Machos in Erinnerung. Da war der Fleischfabrikant Mauler in Brechts «Heilige Johanna der Schlachthöfe». Ein Bösewicht mit Cowboyhut und erloschenen Augen, der die Armen ausbeutet und danach bloss im Hemd und mit nackten Beinen seine eigene Dekadenz feiert. Oder Brick in Tennessee Williams’ «Die Katze auf dem heissen Blechdach». Das Sexsymbol, die Obsession für eine unbefriedigte Frau, das aber seine Libido lieber im Whisky ertränkt. Protzig wirkt er mit seiner goldenen Uhr und doch so verletzlich mit seiner Beinprothese. Diese Macker scheinen zu stolz zu sein, um zuzugeben, dass sie Stützen brauchen. Scheumann stellt die Dominanz nicht nur dar, sondern auch bloss, sodass sie brüchig, verzweifelt und auch lächerlich daherkommt.

«Dieses Mackerhafte ist mir total fremd, ich bin überhaupt nicht so, sonst könnte ich diese Typen gar nicht spielen», meint Scheumann. Die interessantesten Rollen seien genau diejenigen, die er sich gar nicht erst vorstellen könne. Er habe ohnehin oft das Gefühl, er sei als Schauspieler nicht gut genug. «90 Prozent der Zeit leide ich unter Selbstzweifeln, wenn ich sie schliesslich überwinde, dann entsteht etwas Interessantes.» Obwohl ein Leben ohne Zweifel wohl leichter wäre, führe die Selbstsicherheit ihn nicht ans Ziel. «Mich nie zufrieden zu geben, mir nie ­sicher zu sein, das treibt mich an.»

Es geht so weit, dass sich Scheumann richtig in seine Rollen hineinbohrt. «Gerne wäre ich gelassener, aber ich verbringe so viel Zeit damit, dass es schwer ist loszulassen.» Permanent beobachtet der Schauspieler seine Umwelt, er sucht nach Ausdrücken, Reaktionen, Haltungen, auf die er alleine nicht kommen würde. «Die Dinge, die ich jeden Tag sehe, bilden einen Pool, aus dem ich mich dann für meine Rollen bediene.» Er lässt Gesten und Worte durch sich fliessen und gibt sie dann in einer Kombination von Fremd und Selbst wieder.

Wenn die Rolle sitzt, kommt eine neue Herausforderung: sie lebendig zu halten. Acht Wochen lang reagiert Scheumann gleich überrascht oder zermürbt auf die gleichen Sätze. Da ist das Risiko gross, alles automatisch herunterzuspielen – eine Horrorvorstellung. «Nichts ist trostloser für das Publikum, als Leute auf der Bühne zu sehen, die nichts mehr erleben.» Deswegen strengt er sich an, die Gefühle, die er glaubt zu kennen, bei ­j­eder Aufführung neu wahrzunehmen.

Auch am Pfauen gibts Hausaufgaben

Aber auch Schauspieler haben ihren Alltag. Die Proben für eine Produktion dauern sechs bis acht Wochen. Zuerst liest man zusammen das Stück, dann probt man Szene für Szene: Fünf Stunden morgens und drei Stunden abends. Den Text müssen die Schauspieler alleine ­zu Hause lernen. «Mit 44 Jahren ist das nicht mehr so einfach wie früher. Aber jetzt habe ich einen Trick: mir nicht mehr Satz für Satz zu merken, sondern ins Ganze reinzuspringen, mich mit der Textmasse zu überfordern, dann bleibt vieles hängen», erklärt Scheumann. Gegen Ende der Proben verdichtet sich der Arbeitsprozess, Szenen werden aneinandergereiht oder auch gestrichen. Eine Woche vor der Premiere verlagern sich dann die Proben auf die Originalbühne. Wenn Scheumann das Bühnenbild und sein Kostüm sieht, denkt er oft, er könne doch gar nicht der raffinierten Technik gerecht werden. «Als Schauspieler ist man so selbstfixiert, ich möchte oft den guten Leuten hinter den Kulissen mehr Aufmerksamkeit schenken.»

In seiner Freizeit geht Scheumann am liebsten joggen. Oder er besucht seine Frau, eine Literaturprofessorin in Berlin, wo sie mit dem gemeinsamen zweijährigen Sohn lebt. In den Sommerferien waren sie am Lago Maggiore. Als Bub war das sein Sehnsuchtsort, das lang ersehnte Ziel, das er mit seinen Eltern nach einer langen Reise vom Ruhrgebiet über den Gotthard erreichte. Dass er nun von Zürich in nur drei Stunden dort ist, findet er grandios.

Scheumann kam in der Saison 2009/10 ins Ensemble des Schauspielhauses. Gerade als Barbara Frey die Intendanz übernahm. «Es bedeutete einen Neuanfang für das Haus, das fand ich spannend.» Er wurde gefragt, ob er nach Zürich kommen wolle. «Da muss man nicht zweimal bitten, das Schauspielhaus Zürich ist oberste Theaterliga.» Der Schauspieler musste sich nie für eine Anstellung bewerben, er wurde stets abgeworben. Oder wie er es nennt: verführt.

Auch sein erstes Engagement nach dem Studium an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bekam er durch Zufall. «Ich hatte kaum Vorsprechen. Als dann eine Freundin vorsprach, nahmen sie mich auch.» Scheumann habe anfangs gar nicht gewusst, dass er gut schauspielern könne. Doch schon sein Grundschullehrer legte ihm diesen Beruf nahe. Am Ende des Gymnasiums, wo er in einer Schülertheatergruppe mitspielte, überlegte er sich dann, auf welchen Job er Lust habe. Auf der Bühne, das war klar. «Gott sei Dank war das die richtige Entscheidung», sagt Scheumann.

Er muss jetzt zur Maske, eine Probe steht bevor. Sobald er aussieht wie sein Charakter, braucht er noch eine Stunde, um sich zu sammeln. «Genau wie die Zuschauer steige ich aus dem Tram und bringe alltägliche Sorgen mit. Ich muss wie durch einen Tunnel, der mich davon entfernt.» Mental geht er das Stück nochmals durch, konzentriert sich, atmet tief ein. Und dann geht der ­Vorhang auf.

«Der Prozess» lauft bis Dezember im Schauspielhaus Pfauen. 

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