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Porträt

«In Altstetten könnte wieder ein Treffpunkt für Hündeler entstehen, aber um sich kennen zu lernen, braucht es Zeit.» Bild: Nicolas Y. Aebi

Der Rebell und sein Hund

Von: Clarissa Rohrbach

02. Dezember 2014

André Dubacher muss wegen einer Mietzinserhöhung den Kreis 4 mit seinem Tierhüüsli verlassen. Am kommenden Dienstag eröffnet der stadtbekannte Hündeler seinen neuen Tierladen in Altstetten.

Man nannte ihn «König der Langstrasse». Jeden Tag spazierte Timi durch das Rotlichtviertel. Er lief von Andys Tierhüüsli zum Hooters, wo ihn die grossbusigen Damen begrüssten, dann weiter, vom Casablanca zum Kiosk, wo Junkies ihre Zigaretten kauften. Doch eines Tages brachte ihn die Polizei auf den Posten. «Ein Kunde kam angerannt, man habe Timi für einen Streuner gehalten», sagt André Dubacher, dem sowohl Hund als Tierladen gehörten. Er holte Timi sofort wieder ab und gab ihm einen Happy Snack – ein Trockenwürstchen. Davon hat er in seinem Leben 70 000 verschlungen. Heute ist Timi tot, und Dubacher zieht nach Altstetten.


«Es stimmt einfach nicht, dass ich den Dialog verweigert habe.» Dubacher steht im Raum voller Schachteln und raucht. Morgen zieht er um. Seit 15 Jahren trafen sich die Tierliebhaber des Quartiers bei ihm. Jeder kannte seinen Hund Timi, das Aushängeschild, das immer vor dem Tierhüüsli lag. Doch dann erhöhte Swiss Life, die Besitzerin des Hauses, die Miete um 42 Prozent: Dubacher konnte nicht mehr bezahlen. Die Firma erklärte die Mietzinserhöhung als «Marktgegebenheit», Dubacher nannte es «nichts als Profitgier». Er sei bereit gewesen, eine ortsübliche Preiserhöhung zu akzeptieren, aber hier handle es sich nur um Gewinnmaximierung. Er stapelt Kisten vor der Tür, ein Bekannter grüsst ihn. Dieser meint, es sei eine Schweinerei, dass er gehen müsse, das seien Gauner, die würden die ganze Stadt kaputt machen, beim Manor an der Bahnhofstrasse sei es ja das gleiche Theater (Manor befindet sich im Rechtsstreit mit Swiss Life, weil diese dreimal mehr Miete verlangt, Anm. der Red.).


Dubachers Schicksal liess das Quartier im Juli aufschreien. Rund 1000 Empörte unterschrieben eine Petition mit dem Namen «Swiss Life, lass den Tieren ihren Napf». Als aber ein Grüppchen Anhänger samt 15 Hunden diese der Versicherung übergeben wollte, sei niemand gekommen. Man liess die Unterschriften beim Portier und zottelte enttäuscht ab.


Keine Zeit für Wehmut
Nun stehen im Schaufenster an der Molkenstrasse 17 einzelne Säcke mit Hundefutter, eine Leuchtschrift informiert: «Vielen Dank an meine Kunden. Am 9. 12. findet man mich an der Rautistrasse 75 in Altstetten. Ich freue mich.» Im Zollfreilager-Areal entstehen 800 Wohnungen für rund 2500 Personen, mitten drin Dubacher mit dem einzigen Tierfachgeschäft des Kreises 9. Eigentlich stehen seine Chancen gut. «Es könnte wieder ein Treffpunkt entstehen, aber um sich kennen zu lernen, braucht es eine Weile.» Er schaut zum Foto des verstorbenen Timi hoch. Er habe keine Zeit, um wehmütig zu sein, er sei den Fakten ausgeliefert und müsse jetzt handeln.


Dubacher lässt das, was er als ungerecht empfindet, nicht gern auf sich sitzen. Wie er vor zehn Jahren gegen den Leinenzwang kämpfte, machte Schlagzeilen. Es war ein regnerischer 2. Mai, Dubacher liess Timi für einen Schwumm am Zürichhorn frei. Da kamen zwei Polizisten hoch zu Ross, die «regelrecht nach einem Opfer suchten». Auf die Aufforderung, den Hund an die Leine zu nehmen, antwortete Dubacher, die Polizei solle lieber am 1. Mai besser auf den Kreis 4 aufpassen. Nachdem er die Busse nicht bezahlte, kam es zum Prozess. Den Dubacher verlor. «Die Gesellschaft bewegt sich Richtung Kontrollwahn.»


Der 50-Jährige schüttelt den Kopf und erzählt, wie er zum Tierladen kam. Als Bub führte er die Hunde der Nachbarn in Altstetten aus. Nach einer Fotoverkäuferlehre und einer Ausbildung zum Kinooperateur wurde er mit 24 Jahren Chauffeur bei den VBZ. Bis es zum Eklat kam. Timi, damals eine Welpe, fuhr nämlich immer in der Fahrerkabine des Trams mit. Die Geschäftsleitung drohte Dubacher mit einem Disziplinarverfahren: Er kündigte. Als er dann eines Tages vor dem leeren Tabak Loosli gleich bei ihm um die Ecke stand, wusste er, er würde sich selbstständig machen. «Ich war überzeugt, 200 Dosen Chappi pro Tag zu verkaufen.» So lukrativ war das Geschäft nie, während 15 Jahren nahm er eine Woche Ferien.


Auch im Rathaus vertrat Dubacher die Interessen der Hündeler. Er war von 2000 bis 2002 SP-Gemeinderat, bis ihn Min Li Marti übertrumpfte. «Als Jugendlicher schaute ich mir die Sitzungen von der Tribüne aus an. Das Parlament kam mir wie eine grosse, chaotische Schulklasse vor, in der man isst und Zeitung liest. Ich wollte immer schon dabei sein.» Doch gegen Ende der Amtszeit von Alt-Stadträtin Esther Maurer trat Dubacher aus der Partei aus. Er goutierte ihre «Law & Order»-Politik nicht. Sein Zürich sollte tolerant sein: Harmonie zwischen den Bewohnern, Harmonie zwischen Hundeliebhabern und Spaziergängern.


Dubachers bekanntester Beitrag zum Stadtleben waren wohl die Hunderennen während «Zürich multimobil». Am autofreien Aktionstag rannten Chihuahuas und Bernardiner am Utoquai um die Wette. Damit ihre Fifis die 80-Meter-Strecke schafften, lockten die Besitzer die Hunde mit Guetsli. «Aber einige rochen eine Fährte und kehrten wieder um, der Wirrwarr war der ganze Witz daran.»


Hundeleinen für Prostituierte
Dubachers Stammkunden haben versprochen, ihm nach Altstetten zu folgen. Von den Kundinnen aus dem horizontalen Gewerbe hat er sich verabschiedet. Er erinnert sich an ein Fräulein, das sich «vor dem Geschäft» Halsbänder und Näpfe für einen dreistelligen Betrag von ihren Freiern bezahlen liess. «Wahrscheinlich versorgte sie so ein Dutzend Hunde in Polen oder brauchte die Sachen für Sex­spiele.» Dubacher verlässt den geliebten Kreis 4 und seine schrägen Geschichten. Timis Asche hingegen schwimmt in der Nähe, im Schanzengraben, so frei wie bei Lebzeiten.

Andys Tierhüüsli ist ab Dienstag an der Rautistrasse 75 geöffnet.

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