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Porträt

Michelle Cueni: «Unsere Stärke sind die Wechsel». Bild: Nicolas Y. Aebi

Die schnellste Kaffeetante von Zürich

Von: Sacha Beuth

01. Juli 2014

Als Mitglied der 4-mal-100-Meter-Frauenstaffel will Michelle Cueni an der EM in Zürich für ­Furore sorgen. Abseits der Tartanbahn beschäftigt sich die 31-Jährige mit Chinesischer Medizin – und Kaffee.

Mindestens Achte hätten sie werden müssen, um sich direkt für die Leichtathletik-WM nächstes Jahr in Peking zu qualifizieren. Gereicht hat es der Schweizer 4-x-100-m-Frauenstaffel an den World Relays in Nassau, Bahamas, nur zu Rang 11. Trotzdem ist Michelle Cueni nicht übermässig enttäuscht. «Es war ein sehr hochgestecktes Ziel. Ausserdem waren von den europäischen Teams nur Deutschland, Frankreich und Grossbritannien schneller als wir. Auch wenn die Niederlande und die Ukraine auf den Bahamas gefehlt haben, so sind das doch gute Vorzeichen im Hinblick auf einen möglichen Medaillengewinn an der am 12. August beginnenden EM in Zürich.» Wirklich zu schaffen machte der 31-Jährigen etwas ganz anderes. «Weder auf den Bahamas noch zuvor im Trainingslager in Florida gab es einen guten Kaffee – ziemlicher Horror.» Das Getränk ist für sie zugleich Lebenselixier und Lebensart. Morgens oder nachmittags ein Cappucino («Schön cremig, mit Schaumkrone»), nach der Arbeit ein Espresso. Kein Wunder, hat sie im Nationalteam und in ihrem Klub, dem LCZ, den Ruf als Kaffeetante.

Geboren in Bern, wächst Cueni die ersten 10 Jahre in Oberwangen bei Bern auf. Schon als kleines Kind hat Michelle Freude an sportlichen Aktivitäten. «Ich gehörte beim Turnen auch immer zu den Besten». Trotzdem versucht sie sich erst mit Tanzen und nimmt knapp 5-jährig Ballettunterricht. 1993 zieht die Familie ins freiburgische Bösingen, und zwei Jahre darauf meldet sich Michelle beim lokalen Turnverein an. «Ob Weitsprung oder Ballwerfen – gefallen hat mir eigentlich alles. Am liebsten mochte ich aber schon damals den 60-m-Sprint.» Ihr läuferisches Talent fällt auch einem Leichtathletik-Trainer aus dem Nachbardorf Düdingen auf, der für die Juniorenmeisterschaft eine Sprintstaffel aufstellen will. Er holt Cueni in seine Gruppe, was in eine zehnjährige und ziemlich erfolgreiche Zusammenarbeit mündet. Anschliessend verbringt sie zweieinhalb Jahre im Leistungszentrum in Bern, gewinnt 2005 ihre erste Medaille an einer Schweizer Meisterschaft (Bronze über 200 m), ehe sie 2007 nach Zürich zum LCZ wechselt. «Hauptsächlich der Liebe wegen», erzählt Cueni lachend. Ihr Freund, Hürdenläufer Andreas Schelbert, wohnte und trainierte bereits in Zürich.

Seither wird sie von Sprintcoach Luzio di Tizio betreut. Zwar gibt es im Einzel über 100 bzw. 200 m eine weitere Bronze- und zwei Silbermedaillen an Schweizer Meisterschaften, der Knoten platzt allerdings erst 2012 so richtig. Cueni wird in diesem Jahr nicht nur Schweizer Meisterin über 60 m (Halle), sondern schafft mit 11,60 Sekunden auch über 100 m eine nationale Jahresbestleistung. In der 4-x-100-m-Staffel läuft es ebenfalls hervorragend. Mit 43,51 Sekunden gelingt ein Schweizer Rekord, in Helsinki bei den Europameisterschaften resultiert ein 6. und an den Olympischen Spielen in London ein 13. Platz. Die Auszeichnungen und Platzierungen an sich haben für Cueni nicht so eine grosse Bedeutung. «Meine Medaillen hatte ich lange einfach in einer Kiste verstaut. Wichtiger ist mir im Moment, eine gute Zeit zu laufen respektive eine gute Leistung abzuliefern». Eine Ausnahme bildet die EM in Zürich. «Hier ist mir eine gute Zeit mit der Staffel nicht genug. Es soll wenn möglich schon eine Medaille werden.» Allerdings müsste dafür alles stimmen. «Ich denke, wir brauchen für unser Ziel mindestens eine Zeit unter 42,9 Sekunden. Wir haben leider keine, die die 100 m in 11,0 oder weniger laufen kann. Unsere Stärke sind die Wechsel. Darum haben wir zuletzt vor allem daran intensiv gearbeitet, damit die optimal klappen.»

Kräuter mixen und akupunktieren

Bis auf den Donnerstag begibt sich Cueni jeden Nachmittag mit der LCZ-Sprintgruppe auf die Tartanbahn. An den Wochenenden finden meist die Wettkämpfe statt, sodass für alles andere nicht allzu viel Zeit übrig bleibt. «Selbst der Beruf kommt gegenwärtig etwas zu kurz. Zum Glück bin ich selbstständige TCM-Therapeutin und kann mehr oder weniger allein über mein Pensum entscheiden. Allerdings: Bin ich weg, verdiene ich auch nichts.» TCM? «Traditionelle Chinesische Medizin», erklärt Cueni.

Zu dieser Tätigkeit gelangt die Spitzenläuferin eher zufällig. Nach der Grundstufe weiss sie nicht, welchen Weg sie einschlagen soll. «Eigentlich wäre ich gern noch länger zur Schule gegangen, aber meine Eltern befürchteten, ich würde zur ewigen Studentin und legten mir eine KV-Ausbildung nahe.» Dem kommt Michelle Cueni nach, macht sogar die Berufsmatura, weiss aber hernach immer noch nicht weiter. «Ich habe dann gemerkt, dass mich Medizin interessiert, hatte andererseits aber Mühe mit der unpersönlichen Spitalatmosphäre und konnte auch kein Blut sehen.» Dann erzählt ihr eine Freundin von ihrer TCM-Ausbildung. Cueni ist fasziniert und beschliesst, es ihrer Freundin gleichzutun. Seit September 2013 ist sie nun in diesem Beruf an der Sportclinic Sihlcity tätig, macht Akupunktur und erstellt Rezepte aus chinesischen Kräutern gegen verschiedene Krankheiten und Sportverletzungen. Nach der EM will sie sich dem wieder vertieft widmen. «Und auch mal grillieren gehen, Ferien machen oder in Ruhe die administrativen Arbeiten erledigen.»

Letzteres natürlich am liebsten bei einer Tasse richtig gutem Kaffee. n Wollen Sie gratis an die EM? Dann nehmen Sie teil an der grossen Ticketverlosung auf www.sportamt.ch.

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