mobile Navigation

Porträt

Carlos Schönhärl: «Es geht bei der Pride um mehr als nur Party.» Bild: JS

Ein gelüftetes Geheimnis veränderte sein Leben

Von: Jan Strobel

28. Mai 2019

Der 18-jährige Berufsschüler Carlos Schönhärl ist einer der Leiter der diesjährigen Demonstration am Zurich Pride Festival. Sein Coming-out fand allerdings unfreiwillig statt.

Der 25. Juni 1994 war ein sonniger Samstag, und für einen Moment beherrschte das Rosarot unzähliger Luftballone die frühlingshaften Farben in der Zürcher Innenstadt. Durch die Bahnhofstrasse marschierten zwischen 1000 und 1500 Schwule und Lesben, die mit diesem Zug ihr Selbstbewusstsein in der Gesellschaft demonstrieren wollten. «Toleranz allein genügt nicht», hiess es auf den Transparenten, «wir wollen gleiche Rechte». Es war die erste Gay-Parade dieser Art in Zürich und gleichzeitig der 25. Jahrestag der New Yorker «Stonewall»-Krawalle, als es zu blutigen Zusammenstössen zwischen der Polizei und Homosexuellen in Manhattan gekommen war. Mochten die Farben am jenem ersten Zürcher Christopher Street Day (CSD) noch so kräftig sein; die Zeiten für Homosexuelle waren düster: 1994 hatte die Zahl der Aidsfälle in der Schweiz einen Höhepunkt erreicht. Eine offene Diskussion fand kaum statt, Personen des öffentlichen Lebens schwiegen mehrheitlich zum Thema.

Eine neue Generation
Fast genau 25 Jahre nach der ersten Zürcher Demonstration und 50 Jahre nach Stonewall gehört das Zurich Pride Festival, wie der CSD heute heisst, zu den festen Grössen unter den Zürcher Anlässen. Allein an der Demonstration nahmen letztes Jahr rund 19 000 Menschen teil. Und dieses Jahr soll anlässlich der beiden Jubiläen am 14. und 15. Juni repräsentativ auf dem Sechseläutenplatz und der Stadthausanlage gefeiert werden.

Carlos Schönhärl blickt zufrieden hinüber Richtung Opernhaus. «Wir haben in all den Jahren zusammen unglaublich viel erreicht», sagt er, «und das bei allen Unterschieden, die es unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transmenschen gibt. Das soll auch einmal gefeiert werden. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Pride Festivals, dass wir keine spezifische Forderung stellen.»

Stand 2018 noch die «Ehe für alle» im Zentrum, heisst das Motto diesen Juni «Strong in Diversity» – «stark in der Verschiedenheit». Zum ersten Mal übernimmt auch eine ganz neue Generation von Homosexuellen zumindest teilweise das Ruder. Carlos Schönhärl ist gerade einmal 18 Jahre alt und dieses Jahr einer der Leiter der wichtigsten Parade für Lesben, Schwule, Trans- und Bisexuelle (LGTB) in der Schweiz.

Dabei ist es nicht einmal zwei Jahre her, seit sich der Berufsschüler bei seiner Familie als schwul geoutet hat – und das erst noch unfreiwillig. «Dass ich eigentlich auf Jungs stehe, realisierte ich erst so richtig mit 13», erzählt Carlos Schönhärl. «Ich habe das zu Beginn versucht zu verdrängen und konzentrierte mich auf Mädchen, was natürlich ein aussichtsloses Unterfangen bleiben musste.» Über eine Webserie lernte er mit 16 Jahren die App «Grindr» kennen, eine Dating-Plattform für Homosexuelle. «Damit tat sich für mich endgültig ein Tor auf, und ich traf mich zum ersten Mal mit anderen schwulen Jungs», sagt Carlos Schönhärl. Die Dates fanden selbstredend im Geheimen statt, noch wussten seine Eltern nichts von der Homosexualität des Sohnes.  Nur den engsten Freunden vertraute sich der Teenager an. «Dabei verstehe ich im Rückblick nicht, warum ich bei meinen Eltern, die eigentlich sehr offen sind, so zögerte. Vielleicht war es der Respekt vor dem bayerisch-konservativen Hintergrund, dem mein Vater entstammt».

Als er im Sommer 2017 während Ferien in Italien den 18-jährigen Yannik aus Hamburg kennenlernte und sich mit der Zeit eine Fernbeziehung über Whatsapp und Facetime entwickelte, nährte das die Liebeseuphorie, die Carlos Schönhärl irgendwann auch auf den sozialen Netzwerken nicht mehr verbarg. Das wiederum fiel einem engen Freund der Familie auf, der den 16-Jährigen auf einer gemeinsamen Motorrad-Tour zur Rede stellte. «Wir kamen direkt auf meine Homosexualität zu sprechen und darauf, wie schwer ich mich damit tat, es meinen Eltern mitzuteilen. Ich dachte, ich hätte ihm das im Vertrauen erzählt – bis zur Feier seines 50. Geburtstags, zu welchem auch meine Eltern eingeladen waren.»

Zum Fest hatten sich Familie und Freunde auf Sylt zusammengefunden. Es wurde viel geredet. «Um 2 Uhr morgens nahm unser Bekannter meinen Vater zur Seite und berichtete ihm von unserem Gespräch. Dass ihr Sohn schwul ist, nahmen meine Eltern zu meiner Überraschung ohne Probleme auf. Die Wut auf unseren Bekannten, der mir schliesslich mein persönliches Outing genommen hatte, legte sich wieder. Am Ende hatte er mich schliesslich von einer Last befreit.» Nun konnte Carlos Schönhärl endlich auch seinen Freund Yannick der Familie vorstellen, mit dem er heute noch zusammen ist.

«Letztes Jahr», erzählt er, «besuchte ich das zweite Mal die Gay Pride in Zürich und schrieb in der Berufsschule eine Arbeit über die Geschichte des Anlasses. So lernte ich die Organisatoren kennen. Ich fühlte mich als Teil einer grossen Familie und wollte mich engagieren. Denn schliesslich ist die Pride mehr als bloss Party und Fun. Das geht leider oft vergessen, gerade bei meiner Generation von Homosexuellen. Viele wissen nichts mehr von den Kämpfen, die ausgefochten werden mussten, damit wir heute unsere Erfolge feiern können.»

Weitere Informationen:
Zurich Pride Festival, Fr, 14.6. und Sa, 15.6. auf dem Sechseläutenplatz und der Stadhausanlage. Demonstration: Sa, 15.5., Startpunkt: Helvetiaplatz. Reden: 13 Uhr, Start des Umzugs: 13.45 Uhr.
Gesamtes Rahmenprogramm der Festivalwochen ab 1. Juni:

www.zurichpridefestival.ch

zurück zu Porträt

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare