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Porträt

Urban Federer, der neue Abt des Klosters Einsiedeln, spricht zu Gott wie mit einem Freund. Bild: PD

Ein Leben mit Gott

Von: Anna Kappeler

27. Oktober 2015

Urban Federer ist seit rund zwei Jahren Abt des Klosters Einsiedeln. Wer ist dieser Mann, der die Stadt Zürich gegen das Klosterleben getauscht hat? Eine Begegnung.

Dass er im Kloster gelandet ist, damals mit 16, sei Zufall. Abt Urban, wie er sich heute nennt, lacht herzhaft. Seit rund zwei Jahren ist der Stadtzürcher Urban Federer der 59. Abt des Klosters Einsiedeln, gewählt für zwölf Jahre. An diesem Oktobernachmittag sitzt er im Besucherteil des Klosters, gekleidet in der bodenlangen schwarzen Kutte, dem Erkennungsmerkmal der Benediktiner. Um den Hals trägt er ein grosses Kreuz. «Als mich mein Vater fragte, ob ich die Matur in Zürich oder in einem Internat machen wolle, lockte mich die Vorstellung, auf mich alleine gestellt zu sein», erinnert er sich. Der Vater zählte mögliche Internate auf, darunter dasjenige im Kloster Einsiedeln. «Ich hatte keine Ahnung, was ein Kloster war. Doch Einsiedeln kannte ich von Skiausflügen, das klang gut», sagt er, und etwas von jener jugendlichen Unbekümmertheit ist für Augenblicke im 47-Jährigen erkennbar. Sein Blick ist wach und neugierig, er mag Menschen, wie er später sagen wird, das ist offen­sichtlich.


Aufstehen vor Tagesanbruch
Seit 5 Uhr morgens ist Abt Urban auf den Beinen, wie jeden Tag. So will es der klösterliche Rhythmus, der von Gebet, Lesung, Arbeit und Stille geprägt ist. Ist das nicht ermüdend auf die Dauer? Er schüttelt den Kopf: «Alles, was der Mensch will, kann er. Dafür verzichtet er. Gern.» Abt Urban ist einer, der sucht, aber keiner, der grundsätzlich hadert. Der Umzug vom Elternhaus am Zürichberg «in das karge Klostereinzelzimmer, das wir nach 22 Uhr nicht mehr verlassen durften», sei ein Schock gewesen. Doch schnell und «ganz natürlich» sei er hineingewachsen in die neue Welt. Nach der Matur tritt er ins Kloster ein – «das war keine schwierige Entscheidung» – und wird, da hier Benediktiner leben, Benediktinermönch. Ein Jahr dauert die Probezeit, die sogenannte Kandidatur, danach ist er Novize, später legt er das Mönchsgelübde ab. Nach fünf Jahren, mit der ewigen Profess, verschreibt er sein Leben «mit Haut und Haar Gott».


Doch wie geht das, mit Gott zu leben? «Ich habe tief in mir eine Sehnsucht, ein Reissen gespürt.» Nicht er habe Gott gewählt, sondern Gott ihn. Heute spreche er mit Gott wie mit einem Freund. Wenn Abt Urban persönlich betet – als Benediktiner tut er das zudem sechsmal täglich mit der Gemeinschaft –, zieht er sich in die Stille zurück. Doch da er als Abt viel unterwegs ist, trifft man ihn auch einmal betend im Zug an. «Die meisten Pendler merken bloss nicht, dass ich bete», sagt er schmunzelnd. Er lese dann etwa eine Stelle in der Bibel. «Anschliessend höre ich in mich hinein, was der Text in mir auslöst. Und ich frage Gott: Was willst du mir damit sagen?» Und Gott antwortet? Der Abt lacht. «Ja, es kommt etwas zurück. Aber Beten ist nicht wie eine Geldmaschine, in die man oben zwei Franken wirft, damit unten fünf herauskommen.» Die Beziehung mit Gott sei wie die Beziehung mit einem Partner. «Es gibt gute und schlechte Tage. Das muss man aushalten.»


Mönche nicht sexlos
Auch wenn er den Vergleich mit einer Partnerschaft zieht, Abt Urban lebte bis auf eine Freundin im Jugendalter nie in einer Beziehung. Sein Leben im Zölibat könne man sich wie einen Tisch voller Esswaren vorstellen. «Als Mensch, der alles gerne isst, ist der Verzicht nicht einfach. Doch kann man nun einmal nicht alles essen, ohne dass einem übel wird.» Er wehrt sich gegen die Vorstellung, dass Mönche sexlos leben würden. «Ich bin ein Mann», stellt er klar. «Mit dem Unterschied, dass ich die sexuelle Energie nicht mittels Sex auslebe, sondern sie auf andere Ebenen wie die Meditation umlenke.»


Flüchtlinge im Kloster
Abt Urban ist, wie sein Vorgänger Martin Werlen, ein politischer Mensch und auf Twitter aktiv. Daran haben «natürlich nicht alle Freude». Doch habe die katholische Kirche schon immer kommuniziert, in Gemälden, Gesängen und Schriften. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise bezieht das Mitglied der Schweizerischen Bischofskonferenz Stellung. Das Kloster Einsiedeln nehme seit den 80er-Jahren Flüchtlinge auf, «eine Selbstverständlichkeit, schliesslich soll die Kirche Nächstenliebe nicht nur predigen, sondern auch leben». Ob die Kirche und die Schweiz jedoch genug für diese Menschen täten, sei schwierig zu beantworten. «Klar ist: Steht ein Flüchtling vor mir, ist er für mich zuerst einmal ein Mensch, mit gleicher Würde wie alle anderen. Und kein Schmarotzer.» In der weltweiten katholischen Kirche gebe es per se keine Ausländer, alle seien gleich. Und wie steht der Abt zu Nicht-Katholiken, etwa zum Islam? Unterstützt er ein Minarett- und ein Burkaverbot? «Ich habe Verständnis für die Ängste angesichts der globalen Probleme, aber kein Verständnis für eine Politik, die Ängste schürt.» Angst sei ein schlechter Ratgeber, sie lähme.


Durchgetaktete Tage
Abt Urban, auch Chef über 240 Mitarbeitende, muss los. Sein Zeitplan ist dicht, die Zeit knapp. Frühabends um 20.20 Uhr könnte er ins Bett, theoretisch, da das letzte Gebet, die Komplet, auf 20 Uhr angesetzt ist. «Doch wenn für den Mönch die Nacht beginnt, warten auf mich noch einige Stunden Arbeit.» Weltliche Hobbys, Musik, Schwimmen, Wandern, kommen schon mal zu kurz. Auch das Tennisschauen – schliesslich ist er entfernt mit Roger Federer verwandt – ist ein seltenes Vergnügen. Bleibt die Verwandtschaft; die ist ihm wichtig. Seinen Bruder und seine Schwester, die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer, sowie deren beide Kinder sieht er gerne. Auch ist er ein Genussmensch und einem guten Tropfen Wein selten abgeneigt. «Doch stets mit Mass, wie es den Regeln des heiligen Benedikts entspricht.»


In Zürich ist er ein- bis zweimal monatlich, sieht aber «meist bloss den HB und irgendein Sitzungszimmer». Trotzdem, Abt Urban, Ehrenbürger von Zürich, hat den richtigen Vornamen: «Das Urbane in mir kann ich nicht leugnen», das Multikulturelle und Offene der Zürcher gefalle ihm. Im Kloster vermisse er gleichwohl nichts an Zürich, sagt er, bevor er mit schnellen Schritten in einem Gang verschwindet.

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