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Porträt

Tatort Shop-Ville am 19. November 1979: Hier kam es zur Schiesserei mit der RAF. Bild: PD

"Ich will wissen, wer geschossen hat"

Von: Jan Strobel

14. März 2007

Stadtpolizist Bernhard Pfister kämpft bis heute mit der Erinnerung: Bei einer Schiesserei mit den RAF-Terroristen Christian Klar und seinen Komplizen wurde er 1979 im Shop-Ville angeschossen.

Bernhard Pfister, 59, sitzt im Restaurant Imagine in der Halle des Hauptbahnhofs. Am Nebentisch plaudern junge Frauen angeregt über das bevorstehende Wochenende, Geschäftsleute treffen sich zum Lunch und diskutieren die neusten Entwicklungen an der chinesischen Börse. Langsam krempelt Pfister den linken Ärmel seines Hemdes hoch. «Ein glatter Durchschuss», sagt er und zeigt auf seinen Oberarm, auf die weisse Narbe, die bis hinunter zum Ellenbogen verläuft. Die anderen zwei Kugeln durchschlugen seinen Rücken und den linken Fuss. Die Spuren jenes Montags im November 1979 lassen sich nicht mehr tilgen. Pfister lächelt sanft, als hätte er mit den Ereignissen vor 28 Jahren längst seinen Frieden geschlossen. Er hatte damals nur das Pech, eine Polizeiuniform zu tragen.

«Ich hatte keine Chance»
Wäre an diesem Morgen die Ampel auf dem Bahnhofplatz nicht auf Rot gesprungen, Pfister hätte noch ein paar Aufträge in seinem Revier erledigt und später den Geburtstag seiner Frau mit der kleinen Tochter und den Schwiegereltern gefeiert. «Über Funk wurden alle Streifenwagen von der Einsatzzentrale über einen Überfall in der Volksbank an der Bahnhofstrasse orientiert. Wir wurden aufgefordert, in die Nähe des Tatorts zu fahren. Ich dachte mir, dass das eine ziemlich grosse Sache sein musste», erinnert sich Pfister. Zuerst habe er an die Alfa-Bande gedacht, Italiener, die damals im ganzen Land für ihre Raubüberfälle auf Post- und Bankfilialen berüchtigt waren.

Plötzlich klopfte jemand aufgeregt an die Scheibe des Wagens. Ein Taxichauffeur hatte die Täter auf ihrer Flucht beobachtet. Sie seien hinunter ins Shop-Ville gerannt. «Also bin ich ausgestiegen, um mir das genauer anzusehen und Passanten zu befragen.» Dass sich die Verbrecher tatsächlich noch in der Ladenpassage aufhalten würden, daran glaubte der 31-jährige Polizist nicht. Die mussten längst über alle Berge sein. Die Pistole liess er im Halfter.

Im Shop-Ville herrschte wie jeden Morgen reger Betrieb. Im Strom der Passanten war niemand auszumachen, um so mehr, als Pfister kaum wusste, wie die Flüchtigen aussahen. Verschwommen im Gedächtnis waren lediglich die Fahndungsfotos, die damals überall in den Schweizer Polizeiwachen an den Wänden hingen.

Bernhard Pfister war auf sich allein gestellt. Die Schüsse kamen aus der Menge, ohne Vorwarnung, einer nach dem anderen. Pfister fiel zu Boden und feuerte zurück, bis sein Magazin leer war. «Ich nahm nichts mehr wahr, sah nur noch diesen Mann vor mir, der auf mich schoss, immer und immer wieder.» Sieben Schüsse gab er selber ab, doch kein einziger traf. «Ich konnte es einfach nicht glauben.» Schliesslich glitt ihm die Waffe aus der verletzten Hand. Der letzte Schuss durchbohrte Pfisters Rücken. «Ich dachte mir, warum schiesst er noch weiter. Was bringt das noch. Ich habe doch sowieso keine Chance mehr.» Pfister hatte keine Ahnung, wer da vor ihm stand. Der Kontakt zu seinen Kollegen und der Einsatzzentrale war nicht möglich. Funkgeräte gehörten damals nicht zur mobilen Ausrüstung eines Stadtpolizisten.

Passanten trugen den blutüberströmten Mann in Sicherheit. Pfister schloss mit seinem Leben ab. «Erst als jemand von der Sanität sprach, wusste ich, dass ich gerettet sein würde.» Einige Meter weiter lag eine Frau regungslos am Boden. Edith Kletzhändler, die im Shop-Ville ihre Einkäufe machen wollte, hatte die Schiesserei nicht überlebt.

Pfisters furchtbare Stunden
Doch davon, was an diesem Montag wirklich geschehen war, erfuhr Pfister erst im Spital. Dass hinter der Tat nicht die Alfa-Bande, sondern die RAF stand, dass sein Kollege Werner Bodenmann ebenfalls schwer verletzt wurde beim Versuch, die Terroristen zu stellen. Man erzählte ihm auch von Edith Kletzhändler und von einer anderen Passantin, die man aus ihrem Auto gezerrt hatte. Die Frau lag mit einem Lungendurchschuss im Krankenhaus. «Es war ein Schock. Es überkam mich die furchtbare Ungewissheit, dass ich vielleicht Edith Kletzhändler im Kugelhagel getötet hatte», sagt Pfister. Erst die Untersuchungen zeigten, dass die tödlichen Schüsse nicht aus seiner Waffe stammen konnten. Wer wirklich geschossen hatte, blieb dennoch unklar. Immerhin konnte ein Terrorist an der Tramhaltestelle Bahnhofquai beim Restaurant Küchliwirtschaft gefasst werden. Das Unfassbare bekam nun endlich ein Gesicht, einen Namen: Rolf Clemens Wagner. Seinen drei Komplizen Christian Klar, Silke Maier-Witt und Peter-Jürgen Boock gelang die Flucht aus Zürich, zurück in die verhasste Bundesrepublik.

Es verging ein ganzes Jahr, bis Pfister wieder einigermassen arbeitsfähig war. Noch immer kann er seine linke Hand nur beschränkt bewegen. Der Stadtpolizei blieb er treu. Heute kümmert sich Bernhard Pfister um Ausländerbelange. Was damals im Shopville passierte, kann er noch immer nicht verstehen. «Mit Peter-Jürgen Boock und Silke Maier-Witt würde ich heute an einen Tisch sitzen und darüber reden, warum sie so etwas Schreckliches getan haben.» Pfister mag es nicht, wenn man ihn als Opfer bezeichnet. Verletzungen gehörten eben zum Berufsrisiko eines Polizisten. «Es ging den RAF-Terroristen nicht um den Menschen, sondern um das System. Ich verkörperte dieses System.»

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