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Porträt

Fotograf Ingo Albrecht: "Ich wollte die Kinder nicht als Opfer darstellen." Bild: PD

"Mister Ingos" Augen für Burma

Von: Clarissa Rohrbach

24. Juni 2014

Fotograf Ingo Albrecht lebt für das Reisen. Mit seinen Bildern von burmesischen Schulkindern könnte er als einer der besten Fotografen Europas ausgezeichnet werden.

Was von ihrem Leben bleibt, steckt in einem Köfferchen. 300 Waisenkinder schlafen auf dem Boden einer Klosterschule in Yangon (Burma). Nach dem Zyklon, der 2008 im südostasiatischen Land rund hunderttausend Tote forderte, setzten sich  buddhistische Mönche für die kleinsten der Opfer ein. Sie nahmen die Kinder auf, versorgten sie mit Nahrung und brachten ihnen Lesen und Schreiben bei. Die Militärjunta, welche bis vor drei Jahren das Leben im abgeschotteten Staat bestimmte, kümmerte sich nicht im Geringsten um die Bedürftigen. Die Diktatoren ver­boten gar internationalen Non-Profit-Organisationen (NGO) zu helfen. Heute ist Burma auf dem Weg zur Demokratisierung, aber noch immer eines der ärmsten Länder der Welt; es gibt kaum Geld für das Gesundheitswesen und für die Bildung. Die Kinder leiden am meisten darunter.

«Dieser Anblick hat mich tief berührt», sagt Ingo Albrecht. Der Zürcher Fotograf verbrachte vergangenes  Jahr zwei Monate in Burma. Eine Freundin hatte es trotz strengem Regime vor Ort geschafft, eine NGO zu gründen, welche zusammen mit den lokalen Klöstern Menschen im Land hilft. Und so besuchte der 37-Jährige mit seiner Frau Dörfer aus Strohhütten, wo der Reis auf Holzfeuer gekocht wird und die Menschen sich auf Ochsenwagen fortbewegen. Er hielt den Alltag in den Klosterschulen fest. Die Fotos zeigen Kinder, die die Felder entlang im Morgengrauen zum Unterricht gehen, die dankbar eine Schale Gemüsecurry essen und die, in Schriften vertieft, lernen. Mit diesen Bildern wurde Albrecht nun von der Zunft der Fotografen unter die besten Europas gewählt und als einer von zehn nominiert für den renommierten Titel «European Professional Photographer of the Year 2014» im Bereich Reportage.

Der studierte Historiker stand nicht nur hinter der Kamera, sondern stellte Fragen, lernte die Leute kennen und packte auch an. «Ich hätte die Menschen nie einfach nur so schnell fotografieren können», sagt Albrecht. Über die Lehrer, welche Englisch sprachen, erfuhr er, wie viel Mühe sich die Kinder bei den Hausaufgaben geben, weil sie nicht wie andere 10-Jährige gezwungen werden wollen, auf Äckern, in Läden und Restaurants zu arbeiten. Und wie katastrophal die gesundheitliche Versorgung ist: das nächste Spital liegt 45 Minuten entfernt und bietet nur verrostete Betten an. Er traf junge Regierungskritiker, die es gewagt hatten, für die Demokratie zu demonstrieren, und deswegen Jahre im Gefängnis verbrachten. Oder erfuhr einfach nur von den ganz normalen Vorlieben der Kinder: Fussball bei den Jungs und Haarschmuck bei den Mädchen.

Bald bekam Albrecht einen Longyi zum Anziehen, einen traditionellen Wickelrock für Männer, und wurde liebevoll «Mister Ingo» genannt. Der Fotograf erfuhr, wieso trotz der Regierung, die immer noch hauptsächlich aus Militärs besteht, die Mönche Spielraum haben, um selbstständig zu handeln. «Keiner wagt es, die Arbeit der Klöster zu kritisieren, denn die Menschen fürchten sich um ihr Karma.» Dank der vielen Spenden konnte das Kloster in Kyauktan, wo Albrecht und seine Frau stationiert waren, mehr als 400 Kinder kostenlos unterrichten. An Samstagen behandelten dort Ärzte auch Kranke und Schwangere. Und manchmal, da genügte das Geld sogar für eine Glace für alle.

In der Migros Regale füllen
Trotz schwieriger Lebensbedingungen sind Albrechts Fotos keine mitleiderregende Drittweltklischees. «Ich wollte die Kinder nicht als Opfer darstellen, sondern als Menschen mit Würde.» Seine Kamera ist nah dran, auf die Protagonisten fokussiert, die manchmal auch ein Schatten verschluckt. «Das Raue transportiert mehr Stimmung, meine Bilder sind  nicht perfekt.»
Albrecht hat sich das Fotografieren selbst beigebracht. Mit 15 Jahren füllte er einen Sommer lang Regale in der Migros in Altstetten, um sich mit dem Geld eine Spiegelreflexkamera zu kaufen. Zuerst lichtete er Zürich, Familie und Freunde ab. Dann packte ihn seine grösste Leidenschaft: das Reisen. Nach der Matura fuhr er bereits mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland, bis heute hat der Abenteurer mehrere Fotoausbildungen belegt und rund 50 Länder besucht. 2013 fand Albrechts romantischste Reise statt: In der Silvesternacht begaben seine Frau und er sich auf eine 12-monatige Hochzeitsreise. «Es gab so viele Orte, die wir sehen wollten, sogar ein ganzes  Jahr schien uns zu kurz.» Und so entdeckte das Paar neben Burma, wo die Reportage entstand, auch Thailand, Laos, Indien,  Japan, den Westen der USA, Argentinien, Uruguay, Brasilien und Bolivien.

Immer wieder haben die beiden volontiert, auch bei der erwähnten schweizerisch-burmesischen NGO. Denn die Klosterschule in Kyauktan soll in Zukunft Bildung bis in die Mittelstufe anbieten können, wie auch ein 24-Stunden-Spital und ein Ausbildungszentrum für Frauen, welche am meisten unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen leiden. Albrecht, der in Zürich als Marketingmanager tätig ist, half, die Expansion zu planen und Dossiers für neue Sponsoren zusammenzustellen.

Die Bilder von Burma hängen nun bei ihm zu Hause an einer Wand. «Sie erinnern mich an die Gerüche und die Geräusche von dort.» Erinnerungen aufleben zu lassen, das ist der Grund, weswegen Albrecht fotografiert. Dafür nun nominiert zu werden, bestätigt den Fotografen auf professioneller Ebene. Ob er gewinnen wird, erfährt Albrecht im Herbst, dann wird er auch Vater. «Das ist eine ganz neue Reise.» Und sollte doch wieder Routine entstehen, dann brechen die Albrechts sicher wieder auf, mit der Kamera im Rucksack.

Ingo Albrechts Fotoserie «An Uncertain Future – Kindheit in Burma» wird vom 31. Juli bis zum 10. August in der Photobastei ausgestellt.
ingoalbrecht.photography


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