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Kultur

Max Frisch zerstückelte und analysierte 1990 seine Fiche. Bild: Julia Kuster

Heisse Worte, Kalter Krieg

Von: Clarissa Rohrbach

13. Juni 2017

Frischs Fiche: Die Hetze gegen die Kommunisten hat auch die Schweiz stark geprägt. Im Museum Strauhof erzählen zehn Schriftsteller von Überwachung, Polizeigewalt und der atomaren Auslöschung.

«Verräter-Kartei» nannte sie Max Frisch. Gemeint waren die 900 000 Fichen, welche die Bundesanwaltschaft an der Taubenstrasse 16 in Bern lagerte. Der Kalte Krieg war beendet, die Empörung über den Schnüffelstaat riesig. Seit 1946 beobachtete der Staatsschutz verdächtige Linke und hielt jeden ihrer Schritte fest. Denn: Kommunisten waren Staatsfeinde. Als Frisch erfuhr, dass man auch ihn ausspioniert hatte, meinte er: «Ich bekenne, dass ich dieser Regierung kein Vertrauen mehr schenke.» Am 19. Februar 1990 schrieb er Bundesrat Kaspar Villiger höchstpersönlich an und verlangte die Aushändigung seiner Fiche. Was darauf folgte war rabiate Handarbeit. 

Frisch holte sich Schere und Leim, zerschnitt seine Fiche und klebte die holprigen Sätze auf leeres Papier, das er mit der Schreibmaschine volltippte. Er stellte die Fehler der tollpatschigen Überwacher bloss, mokierte sich mit pingeligen Nachträgen über ihre Borniertheit. Voller Wut fragte sich Frisch in «Ignoranz als Staatsschutz», wie dieses Unwissen die Schweiz hätte retten sollen. 

Beobachtete Beobachter

Mit Max Frisch beginnt im Museum Strauhof eine Schau, die von Misstrauen, Polizeigewalt und Angst vor der atomaren Zerstörung erzählt. Zehn Werke von 1980 bis heute behandeln die Auswirkung des Kalten Krieges auf das Individuum. Die Texte ertönen in Kabinen, lebendig von Schauspielern gesprochen und schön von Julia Kuster illustriert. Friedrich Dürrenmatt jagt etwa in seiner Novelle «Der Auftrag» die der Filmemacherin F. durch ein Horrorszenario der ständigen Überwachung, um einen Todesfall zu lösen. Aus den Kopfhörern ertönt ein Satz, der heute aktueller ist denn je: «Wer nicht beobachtet wird, fühlt sich verlassen.» 

Im oberen Stock begegnen die Besucher einem dystopischen, ­alternativen Verlauf der Geschichte. Urs Zürcher fabuliert vom 31. März 1985: Sowjetische Panzer rollen ein, der Krieg hat Basel erreicht. Der Protagonist schreibt in seinem Tagebuch: «Wir sind noch alle am Leben, das ist das Wichtigste.» In Zürich herrsche Aufbruchstimmung, wer könne, gehe nach Süden. 

Schliesslich lässt Lukas Hartmann einen alten Mann – die Miene schwankt zwischen Stolz und Grimm – sein Geheimnis erzählen. Zwanzig Jahre lang habe er ein Doppelleben geführt, seiner Familie verschwiegen, dass er bei der P26 war, die Geheimarmee, welche die Schweiz hätte vor einer kommunistischen Attacke retten sollen. Nun endlich redet er: «Wir haben es für eure Freiheit getan.» Nur fühlt sich Freiheit anders an. 

«Frischs Fiche und andere Geschichten aus dem Kalten Krieg», Museum Strauhof, Augustinergasse 9, 8001 Zürich, bis 20. August. 

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