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Kultur

Die Menschen sollen an der Kunst teilhaben können: Christoph Blocher in seinem Herrliberger Privatmuseum. Bild: Christian Lanz

Weitblicke und Durchblicke

Von: Jan Strobel

23. August 2023

Christoph Blocher und seine Ehefrau Silvia besitzen die bedeutendste Privatsammlung von Schweizer Kunst des 19. Jahrhunderts. Ein Teil davon ist auf ihrem Herrliberger Anwesen in einem imposanten unterirdischen Bau zu besichtigen. Ein Rundgang mit dem alt Bundesrat. 

In ihrem Blick liegt etwas Nachdenkliches, Träumerisches, noch ist die Zukunft ungeformt, die weite, unbekannte Welt ein Ozean von Möglichkeiten. Ihre weizengoldenen Haare sind zu einem Zopf geflochten, um den Hals trägt sie ein akkurat geknüpftes Tuch. «Das ist meine Mona Lisa», sagt Christoph Blocher, der jetzt an das Porträt herangetreten ist, um es seinen Besuchern zu erklären, ihnen profund die Augen für den Detailreichtum zu öffnen, den Albert Anker für sein «Bildnis eines Mädchens» 1886 in Öl auf Leinwand geschaffen hat. Die Haare und Härchen zum Beispiel, welche die kindliche Stirn des Mädchens umspielen; Albert Anker benutzte dafür einen Pinsel, gefertigt aus den Wimpern von Rehaugen. «Ich habe da Vincis Mona Lisa im Pariser Louvre gesehen. Ich würde sie um keinen Preis in der Welt mit diesem Porträt tauschen», lächelt Christoph Blocher, alt Bundesrat, Doyen der Schweizer Politik, Unternehmer und – zusammen mit seiner Frau Silvia – auch Kunstsammler.

Wobei sich das Ehepaar Blocher selbst eigentlich lange nicht als Sammler verstand. Erst als 2014 das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft und das Winterthurer Reinhart-Museum für eine Ausstellung auf Christoph Blocher zukamen, änderte sich das Selbstverständnis. Die Experten nahmen die Gemälde in Augenschein, liessen wortreich und komplex ihr Fachwissen über die Definition von Kunstsammlungen spielen. «Davon verstand ich eigentlich nichts, das war mir zu abgehoben», erzählt Christoph Blocher, der die Expertise vereinfacht so zusammenfasst: «Eine Sammlung hat man, wenn man mehr Bilder hat als Wände.»

Mittlerweile befinden sich 660 Gemälde im Blocher-Privatbesitz. Der Fokus der Sammlung liegt dabei auf Schweizer Kunst von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er-Jahre. Rund 200 dieser Werke sind seit zwei Jahren in einem imposanten, unterirdischen Bau zu sehen, der einen Teil des weitläufigen Herrliberger Anwesens bildet. Er ist ein eigentliches Privatmuseum, Christoph Blocher spricht lieber von einem «Schaulager». Entworfen wurde der Bau von Silvia Blocher mit ihrem Faible für Mathematik und Geometrie, in Zusammenarbeit mit dem Bündner Architekturbüro Maurus Frei.

Das Leben in der Kunst

Dieser von aussen unsichtbare Kunsttempel geht dabei mit der Topographie eine Symbiose ein. Die Säle schmiegen sich in jenen Hügel, der einst während der letzten Eiszeit eine Moräne des Linthgletschers gebildet hatte. Eine stärkere Verwurzelung mit dem Zürcher Boden kann es also kaum geben. Und auch keine unmittelbarere Betrachtung der Kunst.

Die Gemälde unter sanftem Kunstlicht, für deren Hängung und Inszenierung Christoph Blocher selbst verantwortlich zeichnete, sind ohne mitunter störende Verglasung ausgestellt, der Besucher kann ganz nah heran, es gibt kein Personal, das einen autoritär zurechtweisen würde. Die Kunst präsentiert sich hier nicht wie in einem Schrein, entrückt vom Menschen, sondern lädt zum offenen Zwiegespräch, zu einer direkten Beziehung, ein. Denn immerhin, sagt Christoph Blocher, ist «das Leben ausgedrückt in der Kunst. Genau das ist es, was mich fasziniert».

Zweimal in der Woche führt das Ehepaar Blocher persönlich Besuchergruppen durch sein Museum und erläutert die Hintergründe zu den Werken. Die Blochers sind sozusagen Kunstsammler zum Anfassen. Die Menschen sollen an der Kunst teilhaben können. «Und ich verlange auch kein Geld, wenn ich Bilder für Ausstellungen ausleihe», so Christoph Blocher. Werke aus seiner Sammlung hingen zuletzt etwa in Tokio oder in Paris. Im Februar wird sich die Fondation Gianadda in Martigny Albert Ankers Kinderporträts widmen.

Dieses Teilhabenlassen entspricht ganz der Philosophie eines Albert Anker, dessen Porträts und Stillleben bekanntermassen eine besondere Passion Christoph Blochers sind und auch im Museum in Herrliberg eine Herzkammer der Sammlung bilden. Anker selbst hielt in seinem Atelier in Ins im Berner Seeland eine Ehrlichkeit, eine Abwesenheit jedes Gemachten, jedes schauspielerischen Scheins hoch, dazu kam eine Urwüchsigkeit, ein tiefes Verständnis der Menschen und ihres Seelenlebens um ihn herum. «Öl zu riechen, das macht mir das Herz fröhlich, die Gipsmodelle, die Staffelei, der Pinsel und alles Ateliergerät gelten mir mehr als die tiefsinnigen Spekulationen pedantischer Professoren», meinte der Künstler. Das lokale Bernerische verschmolz er mit einer universalen Menschlichkeit.

Besondere Zuneigung
Dass Albert Ankers Werke heute gern aufs Volkstümliche, aufs Konservative reduziert werden, lässt Christoph Blocher nicht gelten. Anker sei für seine Zeit äusserst weltläufig gewesen, zwar tief verwurzelt mit seiner Heimat, gleichzeitig habe er sich bestens vernetzt, auch auf dem Pariser Künstlerparkett bewegt.

Er steht jetzt vor dem Gemälde «Der Geltstag» von 1891, in dem Anker die Versteigerung eines Hausrats abbildet. Es zeigt einen Lebenszyklus in einem Bild, erzählt von Jugend und Alter, Abschied und Trauer, von Hoffnung und Neubeginn. Und besonders Ankers Kinder-Porträts haben für Christoph Blocher eine ergreifende Bedeutung. In einem Kind vereint sich für ihn stellvertretend die ganze Welt und ihrer Zeitläufe. «Albert Anker war ein Realist mit Weitblick und Durchblick, ein Optimist», sagt Christoph Blocher und zitiert einen Anker-Ausspruch, der für ihn zu einem Leitsatz geworden ist: «Siehe, die Welt ist nicht verdammt.»

Mit einer kleinen Anker-Skizze nahm im Übrigen auch die Sammelleidenschaft der Blochers ihren Anfang. Das Werk ist ebenfalls im Privatmuseum zu sehen. Mitte der 1970er-Jahre kauften sie das Bild für 700 Franken, «mehr konnten wir uns damals nicht leisten», erzählt Christoph Blocher.

Das wuchtige, wilde Gegenstück zu Albert Anker bilden in der Sammlung die Werke von Ferdinand Hodler, des energiegeladenen und unerbittlichen Berner Kunst-Kämpfers und Schöpfers unter anderem der Fresken in der Ruhmeshalle des Landesmuseums in Zürich. Im Herrliberger «Schaulager» ist beispielsweise Hodlers «Der Mäher» von 1912 zu sehen, ein kraftvolles Werk, das Christoph Blocher neben das Gemälde eines Ackers von Félix Vallotton gehängt hat, das um dieselbe Zeit entstand. «Zu einem Mäher gehört ein Acker», meint der Kunstsammler.

Solche Spielereien und Vernetzungen gehören zum Konzept, sie erzählen eine Geschichte wie in einem Drehbuch. Viele der gezeigten Künstler – ob Hodler, Segantini oder Giovanni Giacometti – standen immerhin zu ihren Lebzeiten miteinander in regem Austausch. Eine besondere Zuneigung empfindet Christoph Blocher zu einem Aussenseiter in dieser illustren Gruppe: Adolf Dietrich. Der Thurgauer Maler, Maschinenstricker, Waldarbeiter und Bahnarbeiter hatte nie eine akademische Ausbildung genossen und war ein absoluter Autodidakt. «Solche Menschen wie Adolf Dietrich gefallen mir», sagt Christoph Blocher. Im Museum hängen Dietrichs Ansichten des Bodensees ebenso wie seine Tierporträts. Neben einem seiner Gemälde ist ein Werk Ferdinand Hodlers zu sehen. «Ich habe sie bewusst nebeneinander platziert. Adolf Dietrich muss sich vor einem Hodler nicht verstecken.»

Wenn es um die Auswahl und den Ankauf von Kunstwerken geht, dann gibt es für das Sammler-Ehepaar ein Kriterium: «Wir kaufen nur Bilder, die uns auch persönlich gefallen. Deshalb sehen Sie hier auch keine avantgardistische oder moderne Kunst. Sie hat natürlich ihre Bedeutung, aber sie spricht uns einfach nicht an», sagt Christoph Blocher.

Auch die Konzentration auf die Schweizer Malerei, beständig wie Hodlers Berglandschaften, bleibt ein festes Fundament der Sammlung, sieht man von den zwei Werken Vincent van Goghs ab, die ebenfalls in Herrliberg zu sehen sind. Neulich meldete sich in Herrliberg auch das New Yorker Metropolitan Museum of Art. Man interessierte sich dort besonders für die seltenen Stillleben von Albert Anker. Christoph Blocher lächelt verschmitzt. «Es stellte sich heraus, dass sie mir die Werke abkaufen wollten. Da waren sie natürlich an der falschen Adresse.»

Weitere Informationen: Termine für Gruppenführungen durch die Sammlung des Ehepaars Blocher sind im laufenden Jahr bereits ausgebucht. Für 2024 sind sie möglich unter Voranmeldung:
kunst@blocher.ch

Mit einer Anker-Skizze (links) begann die Kunstsammler-Leidenschaft.

Christoph Blochers «Mona Lisa»: Albert Ankers «Bildnis eines Mädchens».

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