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Kultur

Die festen Mitglieder von Krokodil 2021, v. l.: Erich Strebel, Terry Stevens, Düde Dürst, Adrian Weyermann.

Das Krokodil schnappt wieder zu

Von: Christian Saggese

31. August 2021

Nach über 50 Jahren veröffentlicht die Zürcher Progrock-Band Krokodil wieder ein Album mit völlig neuem Material. Die Plattentaufe findet am 10. September in der Alten Kaserne Zürich statt. Bandgründer Düde Dürst blickt zurück auf eine wilde Zeit, als «Sex, Drugs and Rock’n’Roll» nicht nur ein cooler Slogan war. 

Als die Rolling Stones am 14. April 1967 zum ersten Mal in der Schweiz spielten, gerieten die Fans dermassen in Ekstase, dass sie in ihrer Euphorie mutwillig das Mobiliar des Hallenstadions zerstörten – so steht es zumindest in alten Zeitungsberichten. «Dem war aber nicht so», sagt Düde Dürst. Und er muss es wissen. Als die angeblichen Krawalle begannen, stand der heute 75-Jährige nämlich auf der Bühne, als Drummer der Band Sauterelles. «Die Wahrheit ist», sagt Dürst, «dass es damals schlicht eine Schnapsidee war, ein Rockkonzert vor einem sitzenden Publikum zu organisieren. Die Leute wollten tanzen. Bereits während unseres Gigs standen sie dann auf und drängten nach vorne. Dabei fiel so mancher Stuhl um, okay. Doch eine mutwillige Zerstörung konnte ich nicht beobachten.» Vielmehr, so erinnert er sich, «war die Polizei den ganzen Abend heiss darauf, sich mit den langhaarigen Rockfans anzulegen. Dann ist es ausgeartet».

Noch heute steht ein Originalstuhl dieses Konzerts im Niederdorf, in der Wohnung von Düde Dürst. Wobei es sich nicht wirklich um eine Wohnung handelt. Vielmehr ist es ein Museum, mit zahlreichen Gegenständen, die an das über 50-jährige Musikschaffen des Zürchers erinnern. Viele dürften Düde Dürst als Drummer und Backgroundsänger von Les Sauterelles kennen. Es war aber Krokodil, die erste Schweizer Progrock-Band überhaupt, mit der er nationale Musikgeschichte schrieb.

So hängen in seinem «Museum» auch zahlreiche Konzertplakate an der Wand, die für legendäre Gigs von Krokodil in den 60er und 70er-Jahren werben. Ob als Support von Pink Floyd, Deep Purple oder Uriah Heep: Düde Dürst hat mit den grössten Namen der Prog­rock-Szene die Bühne geteilt. Krokodil war auch eine der ersten Schweizer Bands überhaupt, die nicht nur fernab der hiesigen Landesgrenze Platten verkaufte, sondern auch Konzerte geben durfte. Trotz dieses Erfolgs löste sich die Gruppe 1975 auf. Vor zwei Jahren ist es nun aber zur Reunion gekommen, ja gar eine neue Platte wurde eingespielt, die am 10. September in der Alten Kaserne Zürich getauft wird.

Ein Blick zurück

Doch dazu später mehr. Blicken wir nochmals zurück auf die Zeit, als Sex, Drugs and Rock’n’Roll mehr als nur ein cooler Slogan war. «Ja, wir haben das alles ziemlich ausgelebt», sagt Dürst grinsend, und man könnte seinen Geschichten aus dieser wilden Zeit stundenlang zuhören. So erzählt er von einem seltsamen Labelchef, der bei der Vertragsunterzeichnung plötzlich eine Pistole zog und Dürst ermahnte, seine Band müsse unbedingt Erfolg haben. Danach tranken sie gemeinsam Cognac. Absurd wirkt aus heutiger Sicht auch ein Konzert in München. 6000 Leute seien vor der Bühne auf ihren Schlafsäcken gelegen und hätten sich zugekifft, während Krokodil ihre psychedelischen Klänge durch die Boxen dröhnen liessen.

Apropos kiffen: Düde Dürst gibt unverblümt zu, dass er und die Bandkollegen während der damaligen Krokodil-Ära so manche Substanzen konsumierten. «Dies führte durchaus dazu, dass bei Livegigs ein Song über eine halbe Stunde dauerte. Was heute unvorstellbar erscheint, hat das Publikum früher locker hingenommen.» Gang und gäbe sei es auch gewesen, «dass ab und an eine Besucherin nach dem Gig noch in den Backstage eingeladen wurde».

Doch diese wilden Drogen- und Groupie-Zeiten sind schon lange vorbei. Seit über 40 Jahren ist Düde Dürst verheiratet, hat drei Töchter und zwei Enkelkinder.

Musiker anstelle Clown

Die gesamte musikalische Karriere von Düde Dürst hier festzuhalten, würde den Platz sprengen. Daher eine Kurzfassung: Der Musiker, der seit der Geburt ununterbrochen in der Stadt Zürich lebt, wurde in eine musikalische Familie hineingeboren, weshalb er schon früh davon träumte, eines Tages auf der Bühne zu stehen. «Mein alternativer Berufswunsch war Clown.» 1963 schloss er sich der Beat-Band The Starlights an und brachte sich in dieser Zeit selbst das Schlagzeugspielen bei. «The Starlights» nannten sich später «Counts» und durften unter anderem als Support für die heute legendären The Kinks auftreten. In dieser Zeit wurde auch Toni Vescoli auf den aufstrebenden Künstler aufmerksam und bot ihm an, Teil von Sauterelles zu werden. Düde Dürst nahm das Angebot an. «Vier Jahre war ich dort dabei und entwickelte mich in jener Zeit zum Profimusiker. 1968 kam die Zeit des Progressive Rock. Das war, was mich interessierte. Die Beat-Ära war am Ende, ich wollte musikalisch weiterkommen und gab bei den Sauterelles den Austritt.»

Zweifelhafte Verträge

Kurz darauf gründete er mit Hardy Hepp Krokodil, die erste Schweizer Progressive Rock Band. Ein weiteres Originalmitglied war Walty Anselmo, und ihm ist auch der Name der Gruppe zu verdanken: So musste Anselmo auf ein kleines Krokodil eines verreisten Kollegen aufpassen. Das war die Inspiration.
Die Musiker von Krokodil waren nicht nur sehr talentiert, sondern in ihrer siebenjährigen Existenz auch äusserst produktiv. Sie gaben unzählige Konzerte, viele in Deutschland, und veröffentlichten im Jahrestakt neue Alben, fast immer in kompletter Eigenregie. Als gelernter Grafiker designte Düde Dürst auch sämtliche Plattencover seiner Projekte.

Als ihr Magnum Opus, also als ihr erfolgreichstes Werk, bezeichnet der Drummer «An Invisible World Revealed» von 1971. «Danach zeigten sich erste Ermüdungserscheinungen in der Band. Uns ging das Geld aus und ich, als unser damaliger Manager, ging zweifelhafte finanzielle Deals mit teils gierigen Labelleuten ein. So manche Verträge dürften nach heutigem Massstab gar nicht existieren.»
Auch wenn im Hintergrund nicht mehr alles ganz glatt lief, dem Erfolg tat es keinen Abbruch. «In Zeiten ohne Internet kannten wir zum Glück die richtigen Leute, die uns nicht nur die neusten Hits aus Übersee organisieren konnten, sondern im Gegenzug auch unsere Platten auf der ganzen Welt vermarkteten.» Dennoch zog Dürst 1975 den Schlussstrich.

Keine Kompromisse

Nach der Krokodil-Ära schaltete Dürst erstmal einen Gang zurück. Er reiste mit seiner Ehefrau durch die USA und Mexiko, verkaufte danach in Zürich Fotos, die er in New York schoss, und designte für andere Künstler ihre LP- und CD-Covers. Ganz von der Musik löste er sich aber nie. Als sich «Les Sauterelles» 1993 wiedervereinten, stieg er als Drummer und Background-Sänger wieder mit ein und ist noch heute mit der Gruppe unterwegs. Auch sonst gab es vereinzelte kleinere Engagements, wie das Rocktrio «Smile!» oder sein Soloprojekt «Back To the Groove». Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch das Krokodil wieder zuschnappen würde.

2016 war es schliesslich so weit. Über die Jahre fragten immer wieder Fans und Plattenläden an, ob Dürst nicht ihr vergriffenes Meisterwerk «An Invisible World Revealed» neu auflegen könnte. Das war Düde Dürst allerdings zu wenig. Er wollte sehen, welches Potenzial Krokodil auch in der heutigen Zeit noch hat. Gemeinsam mit den Originalmitgliedern Walty Anselmo und Terry Stevens sowie Adi Weyermann und Erich Strebel als neue Bandmembers nahm er 2019 «An Invisible World Returns» auf. Ein Album, das ältere Stücke neu interpretiert und neue Eigenkompositionen beinhaltet. Das Originalalbum «An Invisible World Revealed» und das neu eingespielte wurden als Doppelalbum veröffentlicht. Die Fans zeigten sich vom Ergebnis begeistert. Sie spürten, dass Krokodil, trotz neuer Besetzung und einigen grauen Haaren mehr, noch immer den Drive der Siebziger transportieren können. «Im Studio hatten wir auch schnell das familiäre Zusammenspiel, das unsere Gruppe schon früher ausmachte. Wir sind eine Einheit, unsere Musik das Ergebnis aller Talente, die perfekt ineinanderfliessen.»

Die Motivation war da, ein völlig neues Album aufzunehmen. Dieses heisst «Another Time» und knüpft nahtlos an die alten Werke an. Hier wurden keine Kompromisse gemacht, um dem Musikwandel der letzten Jahre gerecht zu werden. Noch immer ist es bester psychedelischer Prog­rock, der sich Zeit nimmt, auch einmal ein langes Intro zulässt, und kaum ein Lied hat eine Laufzeit von weniger als fünf Minuten. Nun freut sich Dürst, nach der Corona-Ära das Material endlich live präsentieren zu können. Und er verspricht: «Wir werden die damalige Zeit wiederaufleben lassen. Das heisst, unsere neuen Shows werden ebenso unberechenbar und einen Jam-Charakter haben». Nur die Drogen, die bleiben diesmal weg.

Plattentaufe am 10.9. in der Alten Kaserne Zürich; Türöffnung 19.30 Uhr. Tickets: www.eventfrog.ch (es wird das Covid-Zertifikat benötigt!)

«Another Time» ab 10.9. als CD; Vinyl-Version
erscheint voraussichtlich im November.

www.duededuerst.ch


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