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Album

Es ist immer zu früh

Von: Rita Angelone

16. Mai 2017

Die Angelones.

Man sagt, dass Kinder im Kindergartenalter damit anfangen, sich Gedanken über den Tod ihrer Eltern zu machen. Auch bei mir war das in diesem Alter der Fall. Gross war jeden Tag die Erleichterung, als ich um halb zwölf vom Chindsgi nach Hause gerannt kam, ins Haus stürmte und meine Mutter wie immer in der Küche am Herd stehend sah und kurz darauf mein Vater von der Arbeit zum Essen nach Hause kam. Damals hatte ich nur einen Wunsch an Gott: «Bitte, bitte, mach, dass sie nicht zu früh sterben, dass sie noch so lange leben, bis ich wenigstens achtzehn bin. Nachher schaffe ich es dann schon irgendwie alleine!»

Ich wurde achtzehn, zwanzig und auch mehr, und meine Eltern waren gottlob immer noch gesund. Meine Verlustängste wurden aber nicht kleiner. Im Gegenteil. Die Beziehung zu ihnen wurde mit meinem Austritt aus der Adoleszenz von Jahr zu Jahr entspannter. Bei jedem meiner Lebensabschnitte waren sie dabei, immer haben sie mich begleitet, jeden Ausrutscher aufgefangen, jede erdenkliche Hilfe geboten und mir einfach nur immer Verständnis und Liebe entgegengebracht. Und nun wünschte ich mir: «Bitte, bitte, lass sie wenigstens noch so lange leben, bis ich eine eigene Familie habe. Dann bin ich sicher stark genug, um ihren Verlust zu verkraften!»

Ich habe tatsächlich auch meine eigene Familie gründen und das grosse Glück geniessen dürfen, meine Eltern auch in diesen Lebensabschnitt ganz intensiv miteinbeziehen zu können. Ich weiss, ich bin gesegnet, dass es so ist. Dass es bis vor ein paar Tagen so war. Bis mein Vater, der innigst geliebte Nonno unserer Buben, uns verlassen hat und mir klar wurde, dass ich auch mit bald fünfzig immer noch das kleine Mädchen von damals bin, das einfach nur Angst hatte, seine Eltern zu verlieren und über all diese Jahre alles andere als stark genug dafür geworden ist.

Rita Angelone (49)  hat zwei Kinder (11 und 9).
www.dieangelones.ch

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