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Gut zu wissen

Die Seelenkräfte ins Lot bringen: Die Aufnahme zeigt das «Burghölzli» im Jahr 1875. Bild: Baugeschichtliches Archiv Zürich

Als über Zürich der «Stern der Nächstenliebe» leuchtete

Von: Jan Strobel

21. April 2020

Als die heutige Psychiatrische Universitätsklinik Zürich auf dem Burghölzli 1870 ihren Betrieb aufnahm, galt die Einrichtung als modernes Vorzeigeobjekt für ganz Europa.

Mitte des 19. Jahrhunderts fristeten psychisch kranke Menschen auch in der Stadt Zürich häufig ein tristes Dasein. Weggesperrt im Irrenhaus, waren sie mitunter vollkommen isoliert und den Launen ihrer Wärter ausgeliefert.

Allmählich setzte sich indessen in der Psychiatrie ein Umdenken zu Gunsten der «Geisteskranken» durch. Die Betroffenen waren nicht mehr unglückliche Menschen, die von irgendeinem Dämon besessen waren, sondern Patienten mit Würde, die einer wissenschaftlich fundierten und vor allem humanen Behandlung bedurften.

Einer der Vorreiter dieses Ansatzes war der deutsche Neurologe und Psychiater Wilhelm Griesinger, der die Psychiatrie als medizinische Wissenschaft etablierte und schliesslich 1860 in Zürich auch den entscheidenden Anstoss gab für den Neubau einer «psychiatrischen Anstalt».

Der Neubau sollte ein Zeichen der Modernität setzen, gleichsam als Leuchtturm des Fortschritts dienen. Das Burghölzli als Standort der Klinik hätte dabei nicht besser gewählt werden können. Er galt als einer der schönsten Punkte in der Umgebung Zürichs, lichtdurchflutet, weit, eine Idylle mit Blick über den See. Ideal also, um das Gleichgewicht der Seelenkräfte wieder ins Lot zu bringen. Allerdings diente die Anhöhe auch den Studenten des Polytechnikums als Ort ihrer männlichen Neurosen. Hier fochten sie ihre «Ehrenhändel» – Duelle – mit dem Degen aus.

Gärten und Gitter

Nach einer sechsjährigen Planungs- und Bauphase wurde am 4. Juli 1870 die neue «kantonale Anstalt für heilbare Geisteskranke» im Burghölzli eröffnet. Der Bau war tatsächlich ein Wurf. Mit dem Burghölzli bekam Zürich nun eine der modernsten und fortschrittlichsten Psychiatrischen Kliniken Europas. Erster ärztlicher Direktor wurde Bernhard von Gudden, eine Kapazität in der damaligen Hirnforschung und Psychiatrie.

Die neue Klinik war für Kranke bestimmt, welche Aussicht auf Heilung oder Besserung boten. Zudem sollten sie im Kanton Zürich wohnhaft oder Kantonsbürger sein. Patienten, die als unheilbar eingestuft wurden, kamen in der Rheinau unter.

Den Komplex auf dem Burghölzli  umschloss eine Ziegelmauer, um Fluchtversuche von Kranken zu verhindern. Innerhalb des Areals wurden Gärten und Spazierhöfe für die Patienten angelegt. Für zeitweilig «Unruhige und Tobsüchtige» verfügte die Klinik über 24 Zellen mit vergitterten Fenstern und mattgrau gestrichenen Wänden. In den Türen dienten verschliessbare Öffnungen der Beobachtung durch die Ärzte und das Personal. Für die Beleuchtung sorgten Gaslampen.

In den Schlafsälen waren die Patienten getrennt nach Geschlecht untergebracht. Hier spiegelten sich auch die Gesellschaftsklassen wider. Für wohlhabende «Pensionäre» standen elegant ausgestattete Zimmer zur Verfügung inklusive «Spezialwärter».

Daneben gab es in der Klinik auch eine neue Grossküche für die Verpflegung von 350 bis 400 Personen, eine eigene Waschanstalt mit Glätterei und Trockenstube, einen Betsaal mit Kanzel und weitere kleinere Säle für Billard oder Festlichkeiten. Dazukamen Stallungen und Werkstattgebäude. Für die Hygiene sorgten Duschen und Bäder.

Das «Burghölzli» folgte überdies – revolutionär – dem neusten Stand der Technik. Direktor Bernhard von Gudden, der in der Klinik selbst eine Wohnung besass, verkehrte mit dem Personal über einen telegrafischen Apparat von seinem Büro aus. Auf die jeweiligen Abteilungen abgestimmt, konnte er so seine Anweisungen bequem vom Schreibtisch weiterleiten. Angesichts all dieser Neuheiten und Errungenschaften umschrieb die NZZ nach einem Rundgang die neue «Irrenanstalt» vor den Toren Zürichs als einen «leuchtenden Stern der Nächstenliebe».

Das Schicksal des ersten ärztlichen Direktors indessen verlief tragisch. Zwei Jahre nach der Eröffnung des «Burghölzli» folgte er dem Ruf nach München, wo er neben seiner Professur in Psychiatrie die «Oberbayrische Kreisirrenanstalt» leitete. Als der exzentrische bayerische König Ludwig II. in den Verdacht geriet, psychisch erkrankt zu sein, verfasste von Gudden ein Gutachten, welches diese These untermauern sollte.

Der König wurde schliesslich tatsächlich als nichtregierungsfähig erklärt und ins Schloss Berg am Starnberger See  abgeschoben. Bei einem Spaziergang soll es am 13. Juni 1886 zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Monarchen und Bernhard von Gudden gekommen sein. Ihre Leichen wurden später im seichten Gewässer des Sees gefunden. Die genauen Umstände des Unglücks sind bis heute ungeklärt.

Weitere Informationen:
www.pukzh.ch

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