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Gut zu wissen

Aufgrund der Funde und Analysen konnten die Archäologen Lebensbilder der Keltin und des Kelten anfertigen. Bilder: Amt für Städtebau

Die Ur-Zürcher erhalten ein Gesicht

Von: Jan Strobel

09. Juli 2019

Bei der Instandsetzung der Schulanlage Kern im Kreis 4 wurde 2017 ein keltisches Frauengrab entdeckt. Jetzt liegen die Auswertungen der Funde vor – mit überraschenden Erkenntnissen.

Die Frau, die auf offenem Feld in einem Baumsarg aus einem längs halbierten Eichenstamm um 200 v. Chr. zu Grabe getragen wurde, musste ein überaus komfortables Leben geführt haben. Als sie starb, hatte sie mit 40 Jahren ein für die damalige Zeit respektables Alter erreicht. Sie trug kunstvoll gefertigten Schmuck, feine Schafwolle und Leder, dazu einen Mantel aus Schaffell. Körperliche Arbeit hatte sie zu Lebzeiten wenig verrichtet, dafür mit Vorliebe stärkehaltige und mit Honig gesüsste Speisen zu sich genommen. Zweifellos musste die Tote privilegiert gewesen sein.

Im März 2017 erblickte das Grab gleichsam wieder das Licht der Welt. Bei den Bauarbeiten zur Instandsetzung der Schulanlage Kern im Kreis 4 tauchten der Baumsarg, Skelettreste und wertvolle Grabbeigaben auf, die schliesslich von der Archäologie Stadt Zürich in einer interdisziplinären Auswertung untersucht wurden. Die Resultate wurden nun letzten Freitag den Medien vorgestellt. Bei der Präsentation sprach Stadtrat André Odermatt von einem «wahren Schatz» und einem «archäologischen Glücksfall». Tatsächlich ermöglichen die Funde ein relativ exaktes Bild dieser keltischen Ur-Zürcherin aus der jüngeren Eisenzeit.

Als einzigartig gilt insbesondere eine Kette aus Glas- und Bernsteinperlen, die zwischen zwei Fibeln befestigt war, ein Hinweis nicht nur auf den gesellschaftlichen Status der Frau, sondern auch auf den bereits damals vernetzten Handel in Europa. Rohglas etwa wurde aus dem Mittelmeerraum bezogen, während Bernstein aus dem Ostseeraum stammte. Hergestellt hatte die Kette dann vermutlich ein Kunsthandwerker im Raum Zürich, aus dem auch die Verstorbene selbst stammte. Eine Isotopen-Analyse verortete ihre Herkunft im Limmattal. 

Es ist nicht das erste Mal, dass in der Schulanlage Kern ein Grab aus der Eisenzeit gefunden wurde. 1903 legte der Archäologe Jakob Heierli das Grab eines keltischen Mannes frei mit Überresten eines Schildes, einer Lanzenspitze und eines Eisenschwerts. Die damalige Fundstelle befand sich nur 80 Meter vom 2017 gefundenen Frauengrab entfernt. Der Kelte und die Keltin wurden überdies in denselben Jahrzehnten bestattet. Die Archäologen halten es deshalb für durchaus denkbar, dass sich die beiden sogar gekannt haben könnten. Die Gräber sind noch einmal 100 Jahre älter als die erste Siedlung auf dem Lindenhof und gehörten wahrscheinlich zu einer von mehreren Siedlungen um Zürich, die aber bisher noch unentdeckt sind.

 Im Frauengrab wurden Schmuckstücke aus Glas oder Bernstein entdeckt.

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