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Interview

Jürg Wiler hilft Männern, die Teilzeit arbeiten wollen. Bild: PD

Auch die Partnerin kann auf die Jagd gehen

Von: Jan Strobel

18. November 2014

Jürg Wiler (53) ist Co-Leiter des Projekts Teilzeitmann, das Männer für das Modell der Teilzeitarbeit motivieren will und sie unter anderem mit einer Teilzeit-Stellenplattform unterstützt. Doch Teilzeit zu arbeiten, diese Vorstellung bereitet manchem Mann immer noch Mühe. Wiler, der sich selbst als «Vollblut-Teilzeitvater» bezeichnet, wird am 24. November im Volkshaus aus seinem Buch «Der Teilzeitmann» lesen. Wir sprachen mit ihm über die Chancen und Risiken dieses Lebensmodells.

Tagblatt der Stadt Zürich: Jürg Wiler, der Begriff «Teilzeitmann» ist einigermassen verwirrend. Sind solche Männer nur zu einem Teil Mann und zu einem anderen nicht?

Jürg Wiler: Dieser Name ist spielerisch gemeint. Aber er bringt in der Tat das Dilemma auf den Punkt, in dem sich Männer, die Teilzeit arbeiten wollen, unter Umständen wieder-finden. Denn dieses Lebensmodell kann wirklich am klassischen Verständnis von Männlichkeit rühren. Unsere Erfahrungen und unsere Botschaft sind dabei eindeutig: Auch als Teilzeitmann kann man ein ganzer Mann sein.

Ihre Lesung trägt den Titel «Wie es Teilzeitmänner geschafft haben und wie es ihnen geht». Können Sie uns in aller Kürze sagen, wie es diesen Männern heute geht?

Praktisch alle dieser Männer sind immer noch absolut von ihrer Entscheidung überzeugt. Sie haben gemerkt, dass sich ihre Lebensqualität verbessert hat, dass sie ein ganzheitlicheres, selbstbestimmteres Leben führen. Als Väter nehmen sie erst jetzt richtig teil am Familienleben, sie fühlen sich abgerundeter und erwerben sich dadurch ganz nebenbei auch eine hohe Sozialkompetenz.

Gibt es für Männer einen Königsweg zum Teilzeitglück?

Die Entscheidung muss unbedingt immer aus eigenem Antrieb erfolgen. Die Partner sollten sich dann fragen: Auf was wollen und können wir verzichten? Was gewinnen wir in unserem Alltag? Wichtig ist es, das Gespräch mit dem Chef gründlich vorzubereiten und ihm Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Zudem hilft es, wenn Männer, die Teilzeit arbeiten wollen, sich mit anderen Männern, die diesen Weg eingeschlagen haben, vernetzen.

Was sind die Gründe, weshalb sich ein Mann für das Teilzeitmodell entscheidet?

An erster Stelle steht die Weiterbildung. Danach kommen die Familie, die Erholung. Ein immer wichtigerer Faktor spielt aber auch die Pflege von Angehörigen. Gerade dieses Thema wird uns in Zukunft noch stark beschäftigen.

Wenn wir die Zahlen in der Schweiz betrachten, fällt das Bild etwas getrübt aus. Laut Bundesamt für Statistik geht nur einer von sieben Männern Teilzeitarbeit nach. Was schreckt Männer am Teilzeitmodell ab?

Als wir mit dem Projekt «Teilzeitmann» Ende 2012 starteten, arbeiteten in der Schweiz 13,8 Prozent der Männer Teilzeit. Zwei Jahre später sind es bereits 16,5 Prozent. Die meisten unter ihnen dürften sich freiwillig zu diesem Schritt entschieden haben. Aber natürlich muss ein Mann einige Schwellen und Ängste abbauen, wenn er sich für den Teilzeitweg entscheidet. Denn viele definieren ihre Identität durch die Arbeit. Sich am Sandhaufen eines Spielplatzes einen neuen Status zu erarbeiten, das ist für viele nicht einfach. Bei unseren Referaten, die wir in Unternehmen oder Verwaltungen halten, stellen wir fest, dass es für manche Männer bereits heikel ist, die Veranstaltung zu besuchen, weil sie nicht sicher sind, wie ihre Arbeitskollegen oder der Chef reagieren werden.

Wie profitiert ein Arbeitgeber von Teilzeitangestellten?

Untersuchungen zeigen, dass Teilzeitangestellte produktiver sind. Betriebswirtschaftlich ist das Teilzeitmodell also sinnvoll. Wenn jemand ein Teilzeitpensum hat, will er die zur Verfügung stehende Zeit effizienter nutzen. Grundsätzlich gehört flexiblen Arbeitszeitmodellen, wie zum Beispiel dem Home Office, die Zukunft. Gerade bei jungen Jobsuchenden ist das Interesse an Teilzeit sehr stark. Sie fordern sie explizit. Das erhöht den Druck auf die Arbeitgeber.

Was auffällt: Viele Teilzeitmänner sind Ärzte, Juristen, Banker oder Führungskräfte. Ist Teilzeit ein Privileg von Besserverdienern?

Natürlich hängt Teilzeitarbeit vom Einkommen ab. Und von der allgemeinen wirtschaftlichen Situation, welche momentan in der Schweiz ziemlich stabil ist. Sollte sie sich aber verschlechtern, sieht es auch für die Teilzeitarbeit nicht gut aus. Andererseits spielt auch die jeweilige Branche eine Rolle. In der Industrie oder im Baugewerbe zum Beispiel findet Teilzeit kaum Anklang. Auffällig ist auch, dass in ländlichen Gebieten bei den Männern das Interesse an Teilzeitarbeit geringer auszufallen scheint als in Städten.

Wären hier nicht die Frauen in der Pflicht? Ohne ihre Mitwirkung ist ein Teilzeitmann schliesslich unmöglich.

Je mehr Männer Teilzeit arbeiten, desto mehr können dies auch Frauen tun. In den meisten Berufsfeldern können Frauen die Lücken gut füllen, in anderen ist der Frauenmangel tatsächlich ein Problem. Zum Beispiel in der Informatik, im Ingenieurswesen oder in Handwerks­berufen. Das sind noch klassische Männerdomänen. Für einen Mann hier zu reduzieren, ist dann doppelt schwer. Zudem ist es meiner Meinung nach für Frauen oft anspruchsvoll, Kontrolle abzugeben, wenn es um die Kinder oder das soziale Netzwerk geht. Nötig ist, dass Männer hier mittragen wollen. Als ich als Teilzeitvater begann, fühlte ich mich die ersten Monate lediglich als Zudiener, weil unsere zwei Kinder das Mami als erste Bezugsperson wahrnahmen. Das hat sich dann erst mit der Zeit eingependelt. Und das war ein wunderschönes Erlebnis.

Das klingt so, als ob die archetypischen Rollenmuster bewusst oder unbewusst immer noch sehr stark wirken.

Männer haben das archaische Rollenbild des Ernährers noch stark verinnerlicht. Als Männercoach erlebe ich aber gleichzeitig, dass es nicht einfach ist, um als Mann in der Balance zu bleiben. Denn der Anforderungskatalog ist gewachsen. Das alte Männerbild verlangt, leistungsstark und erfolgreich zu sein. Dazu sind neue Anforderungen gekommen: Wir sollten zu Hause aktive Väter sein, präsent und leidenschaftlich. Für einen Mann kann es daher sehr entlastend sein, wenn im übertragenen Sinn auch seine Partnerin auf die Jagd gehen und Beute nach Hause bringen kann. 

Die Veranstaltung von «Teilzeitmann» findet am kommenden Montag ab 17.30 Uhr im Volkshaus, Gelber Saal, statt. www.teilzeitkarriere.ch/teilzeitmann/afterwork2014

Das Buch «Der Teilzeitmann. Flexibler zwischen Beruf und Familie» von Jürg Wiler und Claudio Zemp ist im Zytglogge-Verlag erschienen. 

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