Interview
CO₂-Gesetz: Teuer und unnütz oder nötig und zukunftsweisend?
Von: Sacha Beuth
URNENGANG Am 13. Juni entscheidet das Stimmvolk über das «Bundesgesetz über die Verminderung von Treibhausgasemissionen», kurz CO₂-Gesetz. Bund und Kantone wollen damit den Ausstoss von Treibhausgasen reduzieren. Im Vorfeld des Urnengangs hat das «Tagblatt» GLP-Kantonsrätin Franziska Barmettler (38) und SVP-Kantonsrat und Swissoil-Geschäftsführer Ueli Bamert (41) zu einem Rededuell geladen. Barmettler wirbt für ein Ja, weil das Gesetz angesichts des rasanten Klimawandels dringend nötig und zudem verursachergerecht sei. Bamert dagegen fordert ein Nein, da nach seiner Ansicht in erster Linie der Mittelstand die Zeche zahle und der Nutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten stehe.
Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in der Schweiz bemerkbar. Dass als Gegenmassnahme Treibhausgase reduziert werden müssen, stösst darum in unserem Land auf allgemeine Akzeptanz. Gesteuert werden soll dies mit dem revidierten CO₂-Gesetz vorab über finanzielle Anreize. Ist das der richtige Weg?
Franziska Barmettler: Ja, ganz klar. Das CO2-Gesetz sorgt dafür, dass Investitionen in klimafreundliches Heizen, Autofahren und Reisen zukünftig belohnt werden. Mit einem Teil der Abgaben werden Innovationen unterstützt und es werden etwa bei der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien und auf Gebäude, die weniger Energie brauchen, in der Schweiz neue Arbeitsplätze geschaffen.
Ueli Bamert: In der Theorie klingt das gut mit den finanziellen Anreizen, nur sind sie im konkreten Fall falsch gesetzt. Man setzt die Anreize bei Personen, die ihr CO₂-Ausstoss-Verhalten unter Umständen gar nicht ändern können. Ein Pendler, der wegen marginaler ÖV-Verbindungen auf das Auto angewiesen ist und sich nicht einfach so schnell ein teures E-Auto kaufen kann. Oder ein Mieter, der in einem Haus wohnt, das mit einer Ölheizung beheizt wird. Hinzu kommt, dass, so das eigentliche Ziel – also eine deutliche Verminderung des CO₂-Ausstosses – kaum erreicht wird, denn wer es sich leisten kann, wird nicht weniger fliegen und nicht auf ein verbrauchsstarkes Auto verzichten. Heisst: Der Mittelstand zahlt und schränkt sich ein, Wohlhabende machen weiter wie bisher.
Ist jetzt angesichts der Coronakrise und der wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Bürger und Firmen im Land nicht der falsche Zeitpunkt, über ein Gesetz abzustimmen, das noch mehr aufs Portemonnaie drückt?
Bamert: Absolut. Zwar gibt es ein paar wenige Branchen, die profitieren und neu Subventionen erhalten würden. Aber die Mehrzahl der Unternehmen, gerade die KMUs, stehen durch Corona massiv unter Druck. Da ist jeder zusätzliche Rappen Mehrbelastung ein Problem. Kommt hinzu, dass von der erwarteten Milliarde, die in den Klimafonds fliessen soll, insgesamt nur etwas mehr als die Hälfte zurückerstattet wird. Und von der Preiserhöhung auf Benzin und Diesel etwa wird nichts zurückbezahlt.
Barmettler: Das ist viel zu kurzfristig gedacht. Wenn wir nichts machen, sind die langfristigen Kosten viel höher! Natürlich werden einige Firmen zusätzlich investieren müssen, namentlich in neue Technologien. Aber das ist auch eine Chance für die Zukunft. Abgesehen davon spricht Ueli Bamert nur für einen kleinen Teil der Wirtschaft. Die Mehrzahl der Wirtschaftsverbände ist klar für das Gesetz. Sie sind also davon überzeugt. Wenn wir die allfälligen Mehrkosten für Private anschauen, müssen wir auch anschauen, wer genau durch die Lenkungsabgaben unter dem Strich zur Kasse gebeten wird. Das sind vor allem Vielflieger und die mit dem «fetten» Auto und nicht «Büetzer» und Bauern. So unterstützt denn auch der Bauernverband das Gesetz.
Fakt ist aber, dass Reise- und Gastrobranche jetzt schon leiden und noch mehr unter Druck geraten würden. Die Swiss hat gerade angekündigt, 780 Stellen abzubauen. Auch in vielen anderen Branchen würden sich die Produkte und Dienstleistungen verteuern. Man wäre gegenüber dem Ausland noch weniger konkurrenzfähig. Wie gross ist die Gefahr, dass mit dem Gesetz Arbeitslosigkeit und Firmenschliessungen stark zunehmen?
Barmettler: Die Gefahr besteht überhaupt nicht. Nochmals: Weil es sich bei den Kosten vorab um Lenkungsabgaben handelt. Weil ein Teil der Abgaben an die Bevölkerung rückerstattet wird, bleibt jenen, die wenig CO₂-Ausstoss verursachen, unter Umständen sogar noch mehr im Portemonnaie. Zudem ist ja vorgesehen, dass durch den durch die Abgaben finanzierten Klimafonds Unternehmen bei der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien – zum Beispiel von synthetischem Kerosin – unterstützt werden. Heute geben wir jedes Jahr 8 Milliarden Franken für Erdöl und Gas aus. Dieses Geld wollen wir hier in der Schweiz behalten.
Bamert: Ob es wegen dem Gesetz zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird, lassen wir mal offen. Klar ist jedenfalls, dass es zu einer riesigen Umverteilung käme und gerade die Flugbranche darunter leiden würde. Auch würde es dazu führen, dass Personen, die die Flugabgabe vermeiden wollen, statt von Kloten einfach von Stuttgart, München oder Basel-Mulhouse abfliegen.
Barmettler: Moment, die umliegenden Länder kennen solche Abgaben jetzt schon.
Bamert: Nur betragen diese gerade mal um die zehn Euro. Das ist vernachlässigbar. Das ist übrigens ein gutes Stichwort: Die Schweiz hat schon jetzt die höchste CO₂-Abgabe weltweit und in den letzten zehn Jahren den CO₂-Pro-Kopf-Ausstoss um ein Viertel gesenkt. Das ist ein äusserst rapider Rückgang. Es ist also nicht so, dass wir untätig waren.
Barmettler: Und wieso sind wir da, wo wir heute sind? Weil die Massnahmen des bestehenden CO2-Gesetzes wirken! Klimaschutz mit Massnahmen, die so wirtschaftsfreundlich wie möglich sind – auf diesem bewährten, schweizerischen Weg müssen wir weitergehen.
Bamert: Das ist doch ein Widerspruch. Wenn es nützt, warum müssen wir dann ein Gesetz erlassen, das der Bevölkerung und der Wirtschaft jedes Jahr eine Milliarde Franken wegnimmt. Hauptsache wir erreichen die Klimaneutralität. Das Tempo ist weniger relevant?
Warum ist der Zeitpunkt zum Erreichen des Klimaziels weniger wichtig?
Bamert: Weil es praktisch keinen Einfluss auf das Klima hat, solange die grossen CO₂-Verursacher wie China und die USA nicht mitziehen.
Barmettler: Man kann doch nicht sagen, die Schweiz ist so klein und darum nützen unsere Anstrengungen nichts. Alle Nationen tragen in Sachen Klimaschutz eine gemeinsame Verantwortung und jeder trägt dazu etwas bei. Und gerade die Schweiz hat dank ihrer finanziellen Stärke die Möglichkeit, voranzugehen und zu zeigen, wie man eine solche Herausforderung meistert. Wer, wenn nicht wir, sollen das schaffen?
Laut Gesetzestext soll derjenige stärker zur Kasse gebeten werden, der viel CO₂ verursacht, während der, der wenig verursacht, finanziell profitiert. Werden hier Landbewohner gegenüber Städtern und Familien gegenüber kinderlosen Singles nicht benachteiligt, wenn man ÖV-Infrastruktur und Pro-Kopf-Ökoabgaben vergleicht?
Bamert: Einen klaren Trennstrich kann man hier nicht ziehen. Beim Benzin ist es sicher die Land- und Bergbevölkerung, weil diese nun mal nicht vor jedem Haus ein Tram oder einen Bus zur Verfügung hat wie die Stadtbevölkerung. Ansonsten ist es der Einzelfall, gerade was den grössten Kostentreiber, die Heizkosten, anbelangt. Künftig dürften Öl- und Gasheizungen ja nicht mehr mit ihresgleichen ersetzt werden. Das heisst, auf Eigenheimbesitzer kommen enorme Kosten zu, wenn ein Wechsel hin zu einem klimafreundlicheren Heizsystem vorgenommen wird. Das dürfte gerade für ältere Mittelstands-Hausbesitzer nur schwer zu stemmen sein. Und klar ist dann auch, dass Vermieter diese Kosten möglichst auf die Mietenden abwälzen werden. Ausserdem ist es beispielsweise nicht überall möglich, auf ein Erdwärme-Heizsystem zu wechseln.
Barmettler: Das sind aber Ausnahmen. Ausserdem sind für Härtefälle Sonderregelungen vorgesehen. Wir aber brauchen ein Gesetz für die Mehrheit. In den allermeisten Fällen lohnt sich eine Umrüstung der Heizung über die Lebenszeit wegen den tieferen Betriebs- und Unterhaltskosten. Vor allem aber müssen wir zum Schutz des Klimas weg von den Ölheizungen. Tun wir es nicht, ist der langfristige Schaden und damit die Kosten etwa im Bereich Landwirtschaft – Stichwort Unwetter – oder Tourismus – Stichwort: Schneemangel – um ein Vielfaches höher. Wie bereits erwähnt, basiert das Gesetz auf dem Verursacherprinzip. Ein gutes Prinzip, das wir auch in unserer Verfassung haben.
In zwei, drei Sätzen zusammengefasst: Warum ist das Gesetz unbedingt anzunehmen beziehungsweise abzulehnen?
Barmettler: Wer Ja sagt zumKlimaschutz, sagt Ja zu diesem Gesetz. Das Gesetz ist die aktuell beste Lösung. Es führt mittels wirtschaftlicher Anreize zu mehr Klimaschutz und Investitionen, was wiederum zu mehr Innovation und Arbeitsplätzen in der Schweiz führt. Und es ist gerecht, da es auf dem Verursacherprinzip beruht.
Bamert: Das Gesetz ist teuer und es wird die Bevölkerung mit neuen Abgaben und neuen Verboten belasten. Sein Kosten-/Nutzenverhältnis ist schlecht, weil es auf den weltweiten Klimawandel praktisch keinen Einfluss hat. Und es ist ungerecht, weil Leute für ihren Lebensstil bestraft werden, den sie unter Umständen gar nicht ändern können.
Die wichtigsten Infos zum CO₂-Gesetz
Ausgangslage:
Der Klimawandel lässt die Temperaturen weltweit ansteigen. In der Schweiz bekommen vor allem die Landwirtschaft und der Tourismus dessen Folgen stark zu spüren. Hitzetage, Trockenheit und Überschwemmungen nehmen zu, Schneemangel und Erdrutsche häufen sich. Verursacht wird der Klimawandel vorab durch den Ausstoss von CO₂. Mit der Totalrevision des CO₂-Gesetzes sollen diese Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 halbiert werden, damit das Ziel des von der Schweiz mitunterzeichneten Pariser Klimaabkommens erreicht werden kann.
Die Vorlage zusammengefasst / geplante Umsetzung:
Umgesetzt werden soll das revidierte «Bundesgesetz über die Verminderung von Treibhausgasemissionen» mit einer Mischung aus finanziellen Anreizen, Inves- titionen und neuen Technologien. Drei Viertel der CO₂-Einsparungen haben im Inland zu erfolgen, ein Viertel über das Ausland (Emissionshandel). Bei den finanziellen Anreizen stehen neue beziehungsweise höhere Lenkungsabgaben sowie die Rückerstattung für CO₂-sparsame Personen im Mittelpunkt. Die CO₂-Abgaben auf Heizöl, Gas und Kohle werden von heute 96 Franken pro Tonne CO₂ auf 140 Franken steigen, wenn die Emissionen 2022 mehr als 60 Prozent der Emissionen von 1990 betragen. Maximal sind jedoch 210 Franken pro Tonne möglich. Zwei Drittel der Einnahmen aus dieser Abgabe werden an die Bevölkerung und die Wirtschaft zurückverteilt. Jede Person erhält dafür den gleichen Fixbetrag (gem. Berechnungen des Bundes circa 80 Franken) über die Krankenkasse rückvergütet. Ein Drittel der CO₂-Abgaben fliesst in den Klimafonds zur Realisierung klimafreundlicher Massnahmen bei Gebäuden. Neu wird für Abflüge aus der Schweiz eine Flugticketabgabe erhoben. Je nach Klasse und Reisedistanz liegt sie zwischen 30 (Kurzstrecke, Economy) bis 120 (Long Distance, Business oder First) Franken pro Person. Von diesen Abgabe-Erträgen sollen 51 Prozent über die Krankenkasse an Bevölkerung und Wirtschaft zurückverteilt werden, während 49 Prozent in den Klimafonds fliessen. Importeure von Treibstoffen werden verpflichtet, einen höheren Anteil an CO₂-Emissionen zu kompensieren. Diese Mehrkosten dürfen sie auf die Autofahrer in Form eines Aufschlags auf Benzin und Diesel abwälzen. Allerdings darf der Aufschlag bis 2024 maximal 10 Rappen und ab 2025 maximal 12 Rappen betragen. Wie hoch die Mehrausgaben für eine Person beziehungsweise einen Haushalt bei Annahme des Gesetzes ausfallen, ist je nach Familienstand, Fahrzeugtyp und dessen Nutzung, Flugverhalten und der vorhandenen Wärmeerzeugungsanlage unterschiedlich. Fachleute des Bundes gehen gehen bei einer durchschnittlichen, 4-köpfigen Familie von Mehrkosten von total 100 Franken aus. Die Gegner rechnen mit bis zu 1000 Franken Mehrkosten.
Das sagen die Befürworter:
Bundesrat, Parlament und alle Parteien mit Ausnahme der SVP setzen sich für ein Ja ein. Ihrer Meinung nach ist das revidierte Gesetz sozial verträglich, verstärkt den Klimaschutz, reduziert die Abhängigkeit von ausländischen Ölfirmen, löst Aufträge für KMU aus und schafft Arbeitsplätze.
Das sagen die Gegner / das sagt das Referendumskomitee:
Das Referendumskomitee «Nein zum CO₂-Gesetz», die SVP, der HEV sowie einige Verbände (insbesondere aus der Automobil-, Reise- und Treibstoffbranche) lehnen die Vorlage ab, da sie teuer sei, unnötige Bürokratie mit sich bringe und Menschen in Randregionen benachteilige. Zudem sei der Einfluss auf das globale Klima unbedeutend, da die Schweiz nur für 1 Promille aller weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich sei.
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