Interview
Das Latein überlebt
29. November 2016Immer mehr Fächer an der Uni schaffen das Latein ab. Für die Latinisten Ulrich Eigler und Lucius Hartmann ist das nicht das Ende.
Das Deutsche Seminar hat das Latein abgeschafft, weil die Studentenzahl angeblich rückgängig war. Geht es hier ums Geld?
Ulrich Eigler: Je mehr Studenten, desto mehr Geld. Das ist keine falsche Annahme. Seit die Universitäten in Basel und Bern das Latein abgeschafft haben, herrscht in Zürich die Angst, dass Studenten abwandern. Doch die ganze Problematik hat mit der Bologna-Reform begonnen. Wenn das Latein auch Kredit-Punkte erhält, konkurriert es mit den eigenen Fachinhalten.
Wie hilft das Latein, ein Fach besser zu bewältigen?
Wir sind alle Europäer. Das klassische Gedankengut bildet die Basis unserer Kultur. Deswegen ist Latein eine Grundlage, die im Studium unglaublich viel erleichtert. Denken Sie nur daran, dass nach der Bibel die meisten Motive in Kunst und Literatur von Ovid stammen.
Lucius Hartmann: Latein war vom Mittelalter bis in die Neuzeit die Wissenschaftssprache. Wer es beherrscht, kann Quellen selbstständig übersetzen und ungefiltert an Wissen gelangen. Denn jede Übersetzung ist bereits eine Interpretation.
Dafür genügt der einjährige Latinum-Kurs wohl kaum.
Eigler: Klar, nach dem Kurs kann man nicht einfach so in der S-Bahn Vergil lesen. Aber er ist eine solide Basis.
Viele Studenten sind erleichtert, dass sie das Latein nicht nachholen müssen. Ist das Obligatorium eine Schikane?
Als ich Student war, musste ich das Französisch nachholen. Ich sah das als Zeitverlust. Aber kaum hatte ich es gelernt, konnte ich es brauchen. Es geht doch darum, was man aus den sogenannten Schikanen, die ja die eigenen Kompetenzen vermehren, macht.
Fallen viele durch?
Nein, der grösste Teil schafft es. Wir haben auch sehr gute Dozierende.
Gäbe es ohne Latein an der Uni mehr Studenten?
Das kann man nicht beweisen. Hauptsächlich ist es das Niveau der Universität Zürich, das Studierende anzieht. Viele wählen das Fach, das sie interessiert, Latein hin oder her. Studierende wollen ein anspruchsvolles Studium, nicht den minimalen Standard. Deswegen kommt der grösste Widerstand gegen die Abschaffung des Lateins von den Studierenden selbst. Das war auch bei der Germanistik so.
Werden jetzt weniger Gymnasiasten Latein wählen?
Hartmann: Latein ist immer noch das drittbeliebteste Schwerpunktfach in den Gymnasien des Kantons Zürich. Rund 20 Prozent der Schüler wählen es. Doch wenn die Medien den Nutzen des Lateins hinterfragen, kann das einen negativen Einfluss haben. Latein wird in den Schulen der Schweiz tendenziell weniger angeboten, weil man aus Kostengründen kleine Klassen vermeidet. Dabei beweisen Studien, dass das Latein die Gymnasiasten am besten auf jedes Studium vorbereitet.
Wie?
Latein trainiert analytisches und strukturiertes Denken, erfordert eine akkurate Arbeitsweise und dass man hartnäckig dranbleibt. Zudem fördert es die Lesefähigkeit. Die Lateinnote sagt ziemlich genau voraus, ob jemand ein guter Schüler sein wird. Das heisst: Es schult die Fähigkeiten, die am Gymi und an der Uni gefragt sind.
Haben wir es mit dem Ende des Lateins zu tun?
Eigler: Nein. Eher mit einem Neuanfang. Die Lateinpflicht wurde immer von oben herab diktiert. Jetzt aber sind es eher die Schüler und Studierenden, die entscheiden, es zu lernen. Denn die Sprache verbindet uns mit der Tradition und prägt unsere Identität. Latein mag uns im Alltagsleben nichts bringen, doch es trägt dazu bei, kulturell zu überleben. Wer kulturell gefestigt ist, kann sich auch in schwierigen Situationen helfen.
Mal ehrlich, ärgert Sie die Entscheidung des Deutschen Seminars?
Ich bin enttäuscht, denn es ist nicht nötig. Aber ich respektiere die Entscheidung meiner Kollegen.
Ulrich Eigler ist Professor für Klassische Philologie an der Universität Zürich.
Dr. Lucius Hartmann unterrichtet an der Kantonsschule Zürcher Oberland Latein.
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