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Interview

Hat noch ein paar (wenige) Lehrerstellen zu besetzen: Filippo Leutenegger, Vorsteher des Schul- und Sportdepartements. Bild: PD

Kontinuität sorgt für Qualität

Von: Sacha Beuth

16. August 2022

LEHRERMANGEL Am 22. August beginnt im Kanton Zürich wieder die Schule. Allerdings fehlt es in vielen Gemeinden an Lehrkräften. In der Stadt Zürich ist der Mangel nicht ganz so akut. Trotzdem setzt man laut Schulvorsteher Filippo Leutenegger auch hier auf Lehrer ohne Diplom – ohne dass deshalb ein Qualitätsverlust befürchtet wird.

Im Kanton Zürich herrscht Lehrermangel. Zwei Wochen vor Schulbeginn gab es noch immer 245 offene Stellen. Wie sieht die Situation in der Stadt Zürich aus?

Filippo Leutenegger: Aktuell sind gemäss Ausschreibung auf unserer Jobseite noch 5 Stellen offen, 2 davon für Schulleitungen, eine für eine Klassenlehrperson und zwei Stellen für Kleinpensen.

In welchen Schulstufen fehlen am meisten Lehrkräfte?

Auf der Kindergartenstufe war die Stellensituation bis anhin besonders angespannt.

In einigen Gemeinden wird versucht, diesen Mangel durch Personen ohne Lehrdiplom zu beheben. Ist dies auch in Zürich der Fall?

Aufgrund einer kantonalen Regelung dürfen wir neu Personen direkt einstellen, die noch kein Lehrdiplom oder eine Ausbildung als Quereinsteiger haben, zum Beispiel eine Spielgruppenleiterin oder Fachperson Betreuung als Kindergartenlehrperson. Per 1. August 2022 sind rund 145 anders qualifizierte Personen von insgesamt rund 3800 Lehrpersonen an einer der 100 Schulen in der Stadt Zürich angestellt. Von diesen 145 werden 29 als Klassenlehrperson, hauptsächlich im Kindergarten und der Primarstufe (7 in der Sek), und die anderen primär als Fachlehrpersonen tätig sein. An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass von Quereinsteigern nur dann gesprochen wird, wenn Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung die Aufnahme für eine berufspraktische und -begleitende Lehrpersonenausbildung bestanden haben und in diesen Studiengang aufgenommen sind.

Was sind die Voraussetzungen für eine Anstellung als Lehrkraft an der Volksschule der Stadt Zürich?

Grundsätzlich wird ein kantonales Lehrdiplom verlangt. Der Kanton hat aufgrund der kritischen Stellensituation die Bedingungen nun für ein Jahr gelockert. Die allermeisten der 145 anders qualifizierten Personen verfügen über eine höhere Berufsausbildung auf Tertiärstufe, zum Beispiel in Pädagogik oder Psychologie, und/oder eine Ausbildung und Erfahrung in der Kinderbetreuung beziehungsweise Sozialpädagogik. Einige bringen eine Ausbildung als Lehrperson mit, allenfalls stufenfremd oder ohne EDK-Anerkennung (etwa Lehrdiplome aus anderen Ländern), einige studieren noch an einer Pädagogischen Hochschule und beginnen jetzt vorzeitig mit dem Unterrichten. Die Entscheidung für eine Anstellung liegt bei den Schulleitungen und den Kreisschulpräsidien.

Sind Lehrpersonen ohne Diplom und / oder Quereinsteiger gegenüber Lehrpersonen mit herkömmlichem Ausbildungsweg in Sachen Unterricht prinzipiell im Nachteil oder ergeben sich auch Vorteile?

In vielen Funktionen in der Berufswelt arbeiten Leute mit unterschiedlichster Qualifikation, denn die Aufgaben lassen sich auch mit einer anderen Aus- oder Weiterbildung meistern. Es ist durchaus möglich, dass gewisse Kompetenzen in einem anderen Beruf erworben wurden und sich in der Schule anwenden lassen. Eine Lehrtätigkeit erfordert soziale und kommunikative Kompetenzen, die Fähigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Auch Führungserfahrung sowie Belastbarkeit sind wichtig. Dies kann auch in einem anderen oder ähnlichen beruflichen Umfeld erworben werden.

Einige Schulexperten befürchten durch die vermehrte Einstellung von Lehrkräften ohne Diplom einen Qualitätsverlust der Schule. Wie sehen Sie dies?

Einen Qualitätsverlust sehe ich gegenwärtig vor allem in der mangelnden Kontinuität, wenn Kinder einen häufigen Wechsel von Vikarinnen oder Vikaren erleben. Kontinuität in der Beziehung zur Lehrperson ist insbesondere bei kleineren Kindern sehr wichtig. Sollte eine Lehrperson ihren Job nicht gut machen, ergreifen die Schulleitungen passende Massnahmen – vom Coaching bis zur Kündigung. Dies gilt auch für Lehrpersonen mit Diplom.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den generellen Lehrermangel?

Die Babyboomer-Generation geht in Rente. Und viele junge Lehrpersonen geben nach einer gewissen Zeit ihren Job zugunsten der Familiengründung, für eine lange Reise oder eine weitere Ausbildung auf. Zudem sind etwa 90 Prozent der Lehrpersonen nicht Vollzeit, sondern nur in einem Teilzeitpensum tätig. Dies verschärft die Mangellage erheblich. Ein weiteres Problem ist, dass im Schulbereich kein offener Arbeitsmarkt besteht. Anders qualifizierte Fachkräfte oder Personen mit nichtschweizerischem Lehrdiplom werden kaum oder nur befristet zugelassen.

Eine Lehrperson aus Schwamendingen nannte in der «NZZ» als Hauptgründe für ihren frühzeitigen Rücktritt die mangelnde Unterstützung vorgesetzter Stellen sowie ein Übermass an administrativen Aufgaben. Wie ist allgemein der Tenor dazu in den Stadtzürcher Schulen?

Der administrative Aufwand wird immer wieder zu Recht kritisiert. Ich erhalte aus den Schulen viele direkte Zuschriften mit konkreten Störmeldungen. Mit dem Schulamt gehe ich jedem einzelnen Fall nach, um Verbesserungen in den Abläufen zu erreichen. Im Rahmen des Spielraums auf Gemeindeebene haben wir in der Stadt Zürich schon einiges beitragen können, um die administrative Belastung zu reduzieren. Auf kantonale Vorgaben und Regelungen haben wir hingegen kaum Einfluss.

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