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Interview

Sportschützen beim Training im Albisgüetli. Symbolbild: ZHSV

Mehr Sicherheit für weniger Freiheitsrechte?

Von: Sacha Beuth

09. April 2019

WAFFENGESETZ Die Abstimmung über die Teilrevision des Waffenrechts am 19. Mai sorgt sowohl bei Gegnern wie Befürwortern für Emotionen. Das «Tagblatt» lud Min Li Marti (44) und Lukas Joos (35) zu einem Pro-und-Kontra-Gespräch ein. Während die SP-Nationalrätin findet, die Revision bringe mehr Sicherheit, sieht der Historiker als Mitglied der Kam­pagnenleitung Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz darin die Beschneidung eines Grundrechts.

Sind Sie im Besitz einer Schusswaffe?

Min Li Marti: Nein. Und ich wüsste auch nicht, wozu ich eine bräuchte.
Lukas Joos: Ja. Sie symbolisiert für mich ein Stück Verantwortung und ein Stück Freiheit. Verantwortung im Sinne des Umgangs mit einer Waffe und Freiheit im Sinne eines Willkür verhindernden Instruments. Man hat als unbescholtener Bürger das Recht, eine Waffe zu besitzen, und damit die Möglichkeit, die Demokratie und deren Werte zu verteidigen.
Marti: Ich sehe es als grossen zivilisatorischen Fortschritt, dass die Gewalt nicht mehr bei jedem Einzelnen, sondern beim Staat liegt. Zudem gibt es viele Länder, die restriktivere Waffengesetze haben als die Schweiz und trotzdem demokratisch sind.

Und welchen Fortschritt würde das revidierte Waffengesetz mit sich bringen?

Marti: Seit 2004 bzw. 2008 der Waffenerwerb restriktiver gehandhabt wird, hat sich die Zahl der Schusswaffen-Todesopfer halbiert. Schusswaffenbesitz fordert Menschenleben – sei es durch Unfall, Suizid oder Mord. Je leichter Schusswaffen verfügbar sind und je mehr davon im Umlauf sind, desto grösser ist die Gefahr. Nur schon deshalb sind Einschränkungen sinnvoll.
Joos: Die Revision verbessert die Sicherheit überhaupt nicht. Wer sich oder jemanden anderen töten will, findet immer einen Weg, auch ohne Schusswaffe. Die Attentate, auf die sich die EU in ihrer Richtlinie bezieht, wurden alle mit illegal beschafften Waffen verübt. Das Ganze bringt nichts ausser Einschränkungen und administrativen Mehraufwand für Schützen und Waffenbesitzer.
Marti: So viel Mehraufwand ist das Registrierenlassen jetzt nicht, zumal es ja auch nicht alle müssen (siehe Box unten, die Red.).
Joos: Das ist eine Ungleichbehandlung und alles andere als demokratisch. Abgesehen davon, wird nun das Gesetz umgekehrt. Bislang hatte man grundsätzlich das Recht, eine halbautomatische Waffe zu erwerben, nur in Ausnahmefällen nicht – z. B. wenn man straffällig geworden ist. Bei Annahme der Revision wäre es umgekehrt. Dann ist der Erwerb einer halbautomatischen Waffe nur im Ausnahmefall, als Abweichung zum Verbot, erlaubt.

Bei einem Nein ist die weitere Mitgliedschaft im Schengen- Sicherheitsabkommen und im Dubliner Asylabkommen gefährdet. Ein Preis, den es zu bezahlen gilt?

Marti: Es wäre ein zu hoher Preis. Die Schweiz profitiert stark von der Zusammenarbeit mit der EU in Sachen Reisefreiheit, Polizeiarbeit und Asylwesen. Fakt ist, dass wir seinerzeit Schengen/Dublin zugestimmt haben. Damit sind wir auch verpflichtet, Änderungen zu übernehmen.
Joos: Es gibt keinen vernünftigen Grund zur Annahme, dass Schengen in Gefahr ist. In der Botschaft zur Genehmigung der bilateralen Abkommen von 2004 zwischen der Schweiz und der EU schrieb der Bundesrat: «Im Falle der Nichtübernahme einer Weiterentwicklung (des Schengen-Dublin-Abkommens) sind die Vertragsparteien verpflichtet, nach pragmatischen Lösungen zu suchen. Im äussersten Fall hätte die Ablehnung der Übernahme eines neuen Erlasses die Kündigung der Abkommen zur Folge.» Das heisst, der Normalfall bei der Ablehnung ist der Verbleib in Schengen, und die EU ist verpflichtet, eine pragmatische Lösung mitzusuchen. Eine abstimmungsrelevante Information, die der Bundesrat dem Volk vorenthalten hat.
Marti: Wobei aber nicht zu erwarten ist, dass eine pragmatische Lösung so einfach umgesetzt werden kann. Es müssten nämlich alle EU-Staaten innerhalb von 90 Tagen einstimmig beschliessen, der Schweiz entgegenzukommen. Das ist unrealistisch.

Das neue Waffenrecht sieht unter anderem die Einführung der Bedürfnisklausel und die Einführung der Nachregistrierung vor. Zwei Punkte, die das Volk am 13. Februar 2011 abgelehnt hatte.

Joos: Ein weiterer Grund, Nein zu stimmen. Was setzen wir denn sonst für ein Zeichen? Andere Länder denken doch dann: Egal, was die Schweizer vorher abgestimmt haben, wenn wir nur ordentlich Druck machen, bekommen sie Angst vor möglichen Konsequenzen und knicken ein.
Marti: Es ist bei uns nicht selten, dass mehrmals über das gleiche Thema abgestimmt wird. Über den Inhalt der Steuer-AHV-Vorlage, die ebenfalls im Mai zur Abstimmung kommt, haben wir auch schon einmal abgestimmt. Das ist ja das Gute an unserer Demokratie, dass gegen Regierungsentscheide das Referendum ergriffen werden kann. Nun ist es am Volk, eine Güterabwägung zu machen und zu entscheiden.

Neben den Schusswaffenbesitzern sind auch Armbrust- und Pfeilbogenschützen mehrheitlich gegen das neue Waffengesetz. Sie befürchten, dass in einem nächsten Schritt auch ihre Sportgeräte weiter reglementiert oder gar verboten werden. Zu Recht?

Marti: Ob das Waffenrecht in fünf oder zehn Jahren restriktiver oder gar liberaler gestaltet wird, ist heute schwer vorherzusagen. Grundsätzlich halte ich es nicht für zu viel verlangt, wenn man gewisse Anforderungen zu erfüllen hat, wenn man Umgang mit etwas potenziell Gefährlichem hat.
Joos: Dann müssten sich Besitzer von Tausenden anderer Utensilien ebenfalls registrieren lassen. Aber zurück zur Frage: Ja, die Gefahr besteht, wenn man etwa bedenkt, dass der Bundesrat die Möglichkeit des Besitzes halbautomatischer Waffen nur «in extremis» sichern konnte. Doch selbst wenn Armbrust und Pfeilbogen auch in Zukunft nicht betroffen sind, zeigt für mich die Haltung der Armbrust- und Pfeilbogenschützen eine wohltuende Solidarität unter Gleichgesinnten.

Im Gesetzestext wird zwischen Besitzern von halbautomatischen Waffen mit grossen Magazinen und Sammlern unterschieden. Erstere müssen ihre Waffen registrieren lassen, Letztere hingegen nicht.

Joos: Das ist nur ein kleiner Teil der Absurdität dieser Teilrevision. Man versucht offensichtlich, die einzelnen Gruppen gegeneinander auszuspielen.
Marti: Ich denke, man verband damit die Hoffnung, dass so weniger Eingriffe nötig sind. Wie auch immer: Ginge es nach mir, hätte das Waffengesetz durchs Band verschärft werden können.

Teilrevision des Waffenrechts

Darum geht es:
Gemäss dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) hat das Schweizer Waffenrecht zum Ziel, die missbräuchliche Verwendung von Waffen zu bekämpfen. Damit es à jour bleibt, muss das Gesetz bei Bedarf angepasst werden. Mit den aktuellen Anpassungen will die Schweiz als Mitglied im Verbund der Schengen- und der Dublin-Staaten eine Änderung der EU-Waffenrichtlinie umsetzen. Die Teilrevision bringt eine konsequente Pflicht zur Markierung von Waffen und Waffenbestandteilen, was es der Polizei erleichtert, eine Waffe zu identifizieren. Zudem wird der Informationsaustausch mit den anderen Schengen-Staaten verbessert. Das traditionelle Schweizer Schiesswesen kann jedoch unverändert fortbestehen. Ohne die Anpassung würde die Schweiz laut Fedpol die Zusammenarbeit mit den Schengen- und Dublin-Staaten und damit die Vorteile für unsere Sicherheit, unser Asylwesen, den Tourismus, unsere Reisefreiheit und unsere Volkswirtschaft aufs Spiel setzen. Gegen diese Teilrevision hat die «Interessengemeinschaft Schiessen Schweiz» das Referendum ergriffen, weshalb nun am 19. Mai in einer Volksabstimmung darüber entschieden wird.

Was ändert sich, was nicht:
Für Soldaten, welche die Ordonnanzwaffe bei Dienstende direkt übernehmen wollen, Besitzer von halbautomatischen Waffen mit grossem Magazin, die schon in einem kantonalen Waffenregister verzeichnet sind, Besitzer von ehemaligen Ordonnanzwaffen, die direkt von der Armee übernommen wurden, sowie Jäger und Jungschützen ändert sich nichts. Besitzerinnen und Besitzer von halbautomatischen Waffen mit grossem Magazin, die nicht in einem kantonalen Waffenregister verzeichnet sind, können ihre Waffe behalten, müssen den Besitz aber innerhalb von drei Jahren dem kantonalen Waffenbüro melden. Sammler können halbautomatische Waffen mit grossem Magazin weiterhin erwerben, müssen künftig aber nachweisen, dass sie ihre Waffen sicher aufbewahren und ein Verzeichnis führen. Waffenhändler und -hersteller können ihr Gewerbe weiterbetreiben. Erstere müssen jedoch künftig dem kantonalen Waffenbüro sämtliche Transaktionen mit Waffen und wesentlichen Bestandteilen innerhalb von 20 Tagen elektronisch melden. Letztere haben die Pflicht, alle Waffenbestandteile einer Feuerwaffe zu markieren.

Weitere Infos: www.fedpol.admin.ch-> sicherheit -> waffen -> Teilrevision Waffenrecht

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