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Interview

Energiegeladen: Stadtrat Michael Baumer setzt sich für eine zukunftsträchtige Stromversorgung in der Stadt Zürich ein. Bild: PD

«Nur auf neue Solaranlagen in Städten zu setzen, reicht nicht»

Von: Sacha Beuth

21. Mai 2024

URNENGANG Gleich zwei Vorlagen, eine städtische und eine eidgenössische, befassen sich bei der Abstimmung am 9. Juni mit dem Thema Energie. Beide sind laut Michael Baumer, Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe, wichtig für die künftige Stromversorgung der Stadt Zürich. Von Sacha Beuth

Am Abstimmungssonntag vom 9. Juni werden in der Schweiz und insbesondere in Zürich in Sachen Stromversorgung die Weichen für die Zukunft gestellt. Denn mit der nationalen Vorlage «Bundesgesetz vom 29. September 2023 über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» sowie der städtischen Vorlage «Rahmenkredit von 200 Millionen Franken für Energielösungen des EWZ» wird entschieden, inwieweit die Schweiz und EWZ selber ihre Energiepolitik bestimmen und rasch mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen können. Als Vorsteher des Departements Industrielle Betriebe und somit auch Chef des EWZ setzt sich Michael Baumer für die Annahme beider Vorlagen ein.

Der Stadtrat und sämtliche(!) abstimmenden Gemeinderäte haben dem 200-Millionen-Rahmenkredit des EWZ bereits grünes Licht gegeben und auch die nationale Vorlage zur sicheren Stromversorgung erhielt Zustimmung von Bundesrat und Parlament. Das sieht nach Selbstläufer aus. Warum weibeln Sie trotzdem für beide Vorlagen?

Michael Baumer: Erst einmal freut es mich sehr, dass die städtische Vorlage ohne Gegenstimme durch das Parlament gegangen ist. Das ist ein Beweis, dass das EWZ einen guten Job gemacht hat. Aber gerade weil es unumstritten war im Parlament, gab es kaum eine Debatte darüber. Ich aber finde es wichtig, dass bei einer solch wegweisenden Vorlage – die zudem noch den hohen Betrag von einer fünftel Milliarde enthält – die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger doch wissen, über was sie abstimmen. Bei der nationalen Vorlage ist es gerade für die Stadt Zürich als Wirtschaftsstandort wichtig, dass wir diese Versorgungssicherheit haben. Hier gab es ja auch ein Referendum und so ist es klar, dass man die Argumente öffentlich austauschen soll.

Seit 2003 wurden sechs Rahmenkredite für EWZ-Projekte in der Höhe von insgesamt 515 Millionen Franken bewilligt. Nun wird wegen der hohen Nachfrage wieder einer fällig. Hat EWZ den Bedarf beziehungsweise das Interesse unterschätzt?

Tatsächlich ist das Interesse an nachhaltigen Lösungen gross. Es geht hier aber mehr um einen Mechanismus. Das Geschäftsfeld, das das EWZ betreibt, braucht natürlich viele Investitionen. Und da schauen wir jeweils für fünf, sechs Jahre voraus, wie viel für die angedachten Projekte benötigt wird. Und weil das EWZ eine Dienstabteilung der Stadt Zürich ist, ist es von den Kompetenzen her immer wieder nötig, dass die Legitimation für diese Investitionen beim Volk eingeholt wird. Es wird also auch künftig neue Rahmenkredite brauchen.

Wie zuvor will EWZ den Rahmenkredit mit selber erwirtschafteten Mitteln stemmen, also ohne Steuergelder. Können Sie ausschliessen, dass dafür die Energiepreise angehoben werden?

Die Energiepreise für die gebundenen Kunden sind stark reguliert. Da ist eine Vermischung gar nicht erlaubt und das wird von den nationalen Behörden auch kontrolliert. Abgesehen davon erwirtschaftet EWZ mit diesem Geschäftsfeld einen Gewinn, weshalb eine Quersubventionierung auch gar nicht nötig wäre. Insofern kann ich eine derartige Massnahme tatsächlich ausschliessen.

Mit dem Kredit werden nicht nur Projekte für eine nachhaltige Energieversorgung von öffentlichen, sondern auch von privaten Liegenschaften unterstützt. Wieso profitieren Letztere auch vom Rahmenkredit?

Hier ist der Begriff Kredit vielleicht etwas missverständlich. Es handelt sich eigentlich mehr um eine Bewilligung. Nicht die Privaten erhalten Geld für den Bau beziehungsweise Ausbau von klimaneutralen Projekten, sondern EWZ baut und betreibt die Wärmeerzeugungsanlagen mit den dazugehörigen Leitungen und liefert dann gegen Entgelt die daraus gewonnene Wärme an die privaten wie städtischen Kunden. Das ist das Geschäftsmodell, vergleichbar mit einem Leasingvertrag.

Aber erhält EWZ mit dem Rahmenkredit nicht einen unfairen Vorteil gegenüber allfälligen Mitbewerbern?

Nein, denn EWZ hat das Geld ja bereits erwirtschaftet. Die Stadt muss es nicht zur Verfügung stellen. Der Unterschied ist, dass EWZ seine Investitionen vom Stadtrat, dem Parlament und dem Volk bewilligen lassen muss, während ein privates Energieunternehmen hierfür das Okay etwa vom Verwaltungsrat einholt.

Nun wollen Sie aber mit dem Rahmenkredit Parlament und Volk bei der Frage, welches jeweilige Projekt damit inwieweit finanziert werden soll, aussen vor lassen. Der Stadtrat soll allein darüber entscheiden. Ist das nicht undemokratisch?

Nein, der Stadtrat ist ja auch vom Volk, als demokratisch, gewählt. Der Grund für die gewünschte selbständige Handlungsfähigkeit ist dem Geschäftsfeld, dem Strommarkt, geschuldet. Wenn man darin tätig ist, muss man rasch handeln, verbindliche Angebote abgeben und Entscheidungen treffen können. Das wäre nicht möglich, wenn wir erst jedes Projekt von Parlament und Volk absegnen lassen müssten. Ich glaube auch nicht, dass die Mehrzahl der Stadtzürcher Bürgerinnen und Bürger sich um jede einzelne Offerte kümmern will, die wir Privaten für eine Energieanlage unterbreiten. Hingegen kann sich die Stimmbevölkerung jetzt dazu äussern, ob es dem Stadtrat weiterhin die Kompetenz geben will, Projekte in diesem Bereich im Gesamtwert von 200 Millionen Franken zu bewilligen.

Kommen wir zur nationalen Vorlage. Könnte ein Ja zum Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung tatsächlich dazu führen, dass wir künftig – insbesondere im Winter – weniger abhängig vom Ausland wären?

Das ist das erklärte Ziel und ich bin auch überzeugt, dass eine Annahme der Vorlage die Unabhängigkeit vom Ausland stärkt. Wenn wir die Speicherseen – an denen teilweise das EWZ beteiligt ist – wie angedacht ausbauen und auch vermehrt alpine Solarparks erstellen, die in der kalten Jahreszeit mehr Energie produzieren als jene im Flachland, dann werden wir auch im Winter weniger Strom aus dem Ausland beziehen müssen. Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass wir beim Strom nie vollständig autark sein werden. Aber wir werden die Mindestversorgung aus eigenen Mitteln sicherstellen können.

Nun steigt aber der Energiebedarf in der Schweiz stetig, auch weil die Bevölkerung stetig wächst. Kann dieser sowohl heute wie künftig allein mit erneuerbaren Energien gedeckt werden?

Das muss das Ziel sein. Die Schweiz hat heute schon einen sehr guten Strommix und kommt ohne eigene Kohle- und Gaskraftwerke aus. Es braucht aber selbstverständlich den Ausbau der Stromproduktion und des -netzes mit CO₂-neutralen Energien in der Schweiz und in Europa, zumal wir die Dekarbonisierung in der Mobilität und im Wärmebereich ebenfalls vorantreiben.

Gegen das Gesetz wurde von Landschafts- und Umweltschützern das Referendum ergriffen, dem sich später die SVP anschloss. Die Referenden befürchten wegen des Baus von Produktionsanlagen massive Eingriffe in die Landschaft und fordern darum, zuerst das Potenzial für Solaranlagen auf bestehenden Gebäuden auszuschöpfen. Was spricht gegen diesen Weg?

Nur auf neue Solaranlagen in Städten zu setzen reicht nicht, schon gar nicht im Winter. Es braucht darum sowohl Photovoltaik im Mittelland wie neue Grossanlagen – namentlich Solarparks und Speicherseen – in den höheren Lagen.

Wie die letzten Abstimmungen etwa im bündnerischen Surses Anfang Jahr zeigten, haben Solarparks einen schweren Stand bei der lokalen Bevölkerung. Auch neue Wasserkraftwerke sind unbeliebt. Wie will also die Schweiz und EWZ im Speziellen künftig zu neuen Quellen mit erneuerbarer Energie gelangen?

Wir treiben Projekte mit verschiedenen Produktionsmethoden voran. So sind wir etwa an zwei Windprojekten im Waadtland beteiligt und diskutieren mit Graubünden über die Erhöhung des Staudammes in Marmorera, um mehr Strom für den Winter speichern zu können. Die Widerstände sind mit ein Grund, warum wir auch in Europa tätig sind, weil es dort Gegenden gibt, wo etwa Windanlagen in der Bevölkerung besser akzeptiert sind. Wir wollen nicht Anlagen gegen den Willen der Bevölkerung bauen. Aber grundsätzlich ist es schon so: Man kann nicht zu allem Nein sagen. Das Volk hat ja seinerseits Netto-Null zugestimmt, dann muss man auch bereit sein, die entsprechenden Anlagen zu bewilligen.

Seit dem Ja zum Ausstieg aus der Kernenergie hat sich diese Sparte massiv weiterentwickelt. Vielen erscheint die Kernfusion nun als zukunftsträchtige Lösung. Erfolgte der Beschluss zum Ausstieg verfrüht beziehungsweise müsste man den Ausstieg rückgängig machen?

Als ETH-Ingenieur bin ich allen technologischen Fortschritten gegenüber offen. Ich finde, man soll auch die Fortschritte in der Atomkraftgewinnung laufend prüfen. In der aktuellen eidgenössischen Abstimmung geht es jetzt aber darum, kurzfristig, also innert der nächsten 15 Jahre, die Energieproduktion auszubauen. Da es heute noch keinen marktreifen Fusionsreaktor gibt und würde sich der Ausbau der Energieproduktion um Jahrzehnte nach hinten verschieben, wenn wir warten, bis wir einen solchen bauen und betreiben können. Was sicher richtig ist, ist die bestehenden Kernkraftwerke so lange zu nutzen, wie sie sicher betrieben werden können.

Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch

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