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Interview

Behinderte spielen sich selbst: Das Theater Hora landete einen Welterfolg. Bild: Michael Bause.

"Unsere Schauspieler sind Profis"

Von: Clarissa Rohrbach

21. Mai 2013

Mit dem Festival «Okkupation» feiert das Theater Hora seinen 20. Geburtstag. Die geistig behinderten Schauspieler sind gefragter denn je. Julia Häusermann hat gar den begehrten Alfred-Kerr-Darstellerpreis gewonnen. Geschäftsführer Giancarlo Marinucci spricht über das neue Stück und den Erfolg.

Tagblatt der Stadt Zürich: Giancarlo Marinucci, Sie waren gerade in Berlin und vorher in Südkorea, die ganze Welt will das Stück «Disabled Theater» sehen. Warum ist dieses Stück so erfolgreich?

Marinucci: Dieses Stück ist so erfolgreich, weil der Choreograf Jérôme Bel in unseren Künstlern genau das gefunden hat, wonach er schon lange gesucht hat: professionelle Schauspieler, die das herkömmliche Konzept des Theaters unterlaufen und die sich um keine Konventionen kümmern. Die Rolle, welche die Hora-Schauspieler einnehmen, ist, sich selbst zu spielen.

Einige Kritiker behaupten, die Behinderten seien so ausgestellt. Darf man das?

Marinucci: Das Interessanteste an diesem Stück ist das Zusammenspiel von den Zuschauern und den Darstellern auf der Bühne. Die Spannbreite der Publikumswahrnehmung ist unglaublich breit, da jeder Mensch einen anderen Rucksack an Erfahrungen im täglichen Umgang mit geistig behinderten Menschen mitbringt. Das kann zu einer Eigendynamik an Reaktionen und Emotionen führen. Obschon die Schauspieler nicht improvisieren, sondern ihre Rolle immer gleich spielen, ist jede Vorstellung anders. Auf die Frage, ob man Behinderte so ausstellen dürfe, kann ich nur sagen, dass das Spielen den einen näher geht als den anderen. Wir hoffen mit unserer Arbeit, dass diese Fragestellung überflüssig wird. Das Geschehen auf der Bühne soll bewegen und nicht peinlich berühren.

Wie bewusst sind sich die Schauspieler, dass sie vor einem zahlenden Publikum spielen und keine Laiendarsteller sind?

Marinucci: Unsere Schauspieler sind Profis, sie kennen ganz genau den Unterschied zwischen Leuten, die sie auf der Strasse anstarren, und jenen, die sie auf der Bühne sehen. Das Erste ist ihnen unangenehm, das Zweite macht sie stolz.

Kein anderes Stück löst so heftige Reaktionen aus. Zuschauer laufen weg, schimpfen oder klatschen laut. Wieso?

Marinucci: Die meisten Menschen wissen nicht wie mit Behinderten umgehen. Je nach Lebenserfahrung entstehen im Zuschauerraum Scham oder eine Anspannung, die dann abgelassen werden muss. Sogar die Eltern der Schauspieler hatten zu Beginn Mühe damit. Ein Vater meinte später glücklich, wenn er gewusst hätte, dass sein Sohn einmal Schauspieler am Theater Hora würde, hätte er sich nicht 20 Jahre lang Sorgen um ihn ­machen müssen.

Was braucht ein Mensch, um Schauspieler im Theater Hora zu werden?

Marinucci: Eine unwiderstehliche Bühnenpräsenz und die Bestätigung einer geistigen Behinderung.

Morgen beginnt das von euch organisierte Festival «Okkupation». Was erwartet den Zuschauer?

Marinucci: Viele spannende internationale Produktionen, berührende, unerwartete und grosse Theatermomente, die unter die Haut gehen. Wir okkupieren die grossen Theaterhäuser mit unserem Programm und zeigen: Der Mensch ist zum Glück noch nicht perfekt!

www.hora-okkupation.ch

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