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Interview

Flamingo-Betreiber Vito Macchia ist enttäuscht, dass viele Ausgangsfreudige die Coronakrise nicht mehr ernstnehmen. (Bild: Christian Saggese)

«Wir werden vom ‹Krisenherd› zum Musterknaben der Clubszene»

Von: Christian Saggese

07. Juli 2020

Der Flamingo Club an der Limmatstrasse steht seit Tagen in teils heftiger Kritik. Mehrere Gäste sollen sich wegen eines «Superspreaders» mit dem Coronavirus angesteckt haben. Da aber einige Besucher falsche Daten hinterliessen, erschwerte dies die Rückverfolgung. Clubbetreiber Vito Macchia nimmt Stellung. 

In der Schweizer Club- und Bar­szene sind in den letzten Tagen verschiedene Coronaerkrankungen registriert worden. Besonders schlimm traf es den Zürcher Flamingo Club. Dort soll laut der kantonalen Gesundheitsdirektion am 21. Juni ein sogenannter «Superspreader» die Party besucht haben. Bei einem Superspreader handelt es sich um einen erkrankten Menschen, der innert kurzer Zeit mehr Menschen ansteckt, als es gewöhnlich der Fall ist. So auch im Flamingo: Fünf Gäste zeigten kurz nach dem Clubbesuch Symp­tome und wurden positiv auf Covid-19 getestet. Rund 300 Gäste wurden in Quarantäne geschickt. Was besonders für Kritik sorgte: Etwa ein Drittel der Gäste hinterliess beim Einlass falsche Angaben, wie erfundene Mail­adressen. So wurde die Rückverfolgung einer möglichen Infektionskette erschwert. Gleichzeitig standen auch einige anwesende Besucher gar nicht auf der Liste. Als Konsequenz wurden nun durch die Behörden striktere Regeln ins Leben gerufen. So müssen in Clubs im Kanton Zürich künftig Ausweispapiere und Handynummern kontrolliert werden.

Für Vito Macchia, der den Flamingo betreibt, waren es schwierige Tage. Im Interview blickt er zurück und nach vorne.

Wie haben Sie die letzten Tage geschlafen?

Vito Macchia: In erster Linie nicht sehr viel. Mein Team und ich haben uns intensiv mit der ganzen Situation beschäftigt und am neuen Schutzkonzept gearbeitet, um zu verhindern, dass sich die Fehler, die tatsächlich auch geschehen sind,  wiederholen.

Einige Gäste haben falsche Angaben hinterlassen, beispielsweise Fake-Mail-Adressen. Wie konnte das passieren?

Da hat unser Kontrollsystem leider versagt. Zudem hätte ich nicht gedacht, dass es so viele Menschen gibt, die die Corona-Krise so grob unterschätzen. Dass sie keine Verantwortung für ihre Mitfeiernden tragen wollen. Ich kann es mir mit reiner Vernunft nicht erklären. Vielleicht sind die Lockerungen insgesamt zu schnell gekommen, sodass das Coronavirus nicht mehr als Gefahr wahrgenommen wird? So oder so: Für mich ist es umso bedauerlicher, weil wir neben den Namen und Telefonnummern auch noch die Mail­adressen verlangt haben; dies wäre aber gesetzlich gar nicht verlangt. Wir wollten also für mehr Transparenz sorgen – und das wurde uns nun zum Verhängnis, waren es doch insbesondere die falschen Mailadressen, die für Diskussionen sorgten.

Der Flamingo Club hat nun den Ruf, der «erste Corona-Hotspot der Schweizer Clubszene» zu sein. Im Internet sind teils wüste Beschimpfungen ausgebrochen, unter anderem, dass es nun wegen euch eine Maskenpflicht im Öffentlichen Verkehr gibt. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Mir ist die Kritik bekannt, doch ich sehe es realistisch. Wir hatten das Pech, der erste Club zu sein, bei dem die Erkrankungen an die Öffentlichkeit gelangt sind. Dadurch ist ein regelrechter Hype in den Medien entstanden. In diesen Tagen haben aber auch andere Clubs und Bars Infektionsfälle gemeldet. Sprich, es hätte auch viele andere treffen können. Zudem können wir wirklich nichts dafür, dass bei uns ein «Superspreader» gefeiert haben soll. Einige Erkrankte zeigen ja auch keinerlei Symptome.

Ist Ihnen der «Superspreader» bekannt?

Nein, mir wurde nicht gesagt, um wen es sich handelt.

Kritik wurde auch laut, weil Gäste im Club waren, die nicht auf der Liste standen.

Das stimmt, das war ein Fehler. Einige wenige Freunde des Hauses kamen ohne Registrierung hinein.

Welche Lektionen ziehen Sie daraus?

Es darf nicht mehr vorkommen. Punkt. Jeder, der reinläuft, muss angemeldet sein, egal ob es sich um Bekannte, DJs oder wen auch immer handelt.

Auch der Zürcher Influencer Reto Hanselmann war auf der Party. Er kritisierte den Flamingo Club im «Blick» in mehreren Artikeln, dass er seine Angaben hinterlassen habe, diese aber auf keiner Liste auftauchten.

Dazu sage ich nur so viel: Wir haben alle Daten weitergeleitet. Stand er nicht drauf, hatte er sich nicht registriert, und es scheint ihn an jenem Abend, als er bei uns feierte, auch nicht gekümmert zu haben. Aktuell geniesst er wohl einfach den Rummel um seine Person.

Die Gesundheitsdirektion lobte Sie zuerst für die kooperative Zusammenarbeit, am Tag darauf folgte aber Kritik. So seien Sie für die Behörden lange nicht erreichbar gewesen.

Es war für alle Involvierten eine neue und angespannte Situation. Die Gesundheitsdirektion hatte bisher vermutlich vor allem mit Einzelfällen zu tun, nun musste sie gleich um die 300 Quarantänen anordnen. Dennoch ist es schon nicht so fair, zu kommunizieren, ich sei fast nicht erreichbar gewesen. Es ist nunmal so, dass sich das Leben von Clubbetreibern in der Nacht abspielt und tagsüber geschlafen wird. Als ich aufgewacht bin, hatte ich gefühlt 1000 unbeantwortete Anrufe auf dem Handy, oft von unbekannten Nummern. Es dauerte eine Weile, bis ich diese alle runtergearbeitet hatte.

Hand aufs Herz, haben Sie die Corona-Pandemie unterschätzt?

Ganz im Gegenteil! Die Clubszene war die Erste, die damals die Türen schliessen musste; und wir waren mit die Letzten, die wieder öffnen durften. Das Coronavirus und die daraus resultierenden, auch wirtschaftlichen Konsequenzen beschäftigen unsere Branche also schon sehr lange.

Wie verhindern Sie, dass sich diese Fehler beim Einlass wiederholen?

Wir werden jetzt vom sogenannten Krisenherd zum Musterknaben der Clubszene! Unser neues Sicherheitskonzept geht deutlich über die Auflagen und Forderungen der Gesundheitsdirektion hinaus. Besucherströme werden kanalisiert, die Temperatur aller Gäste gemessen und Personendaten sowie Natelnummern überprüft. Nur wer eine verifizierte Nummer hat, und dies wird am Eingang mittels einer SMS getestet, darf rein. Wer also keinen Akku mehr hat oder sein Handy zu Hause liess, kommt nicht rein.

Und im Club selbst?

Die Mitarbeitenden tragen neu Schutzmasken und Handschuhe. Es gibt noch mehr Desinfektionsstationen. Zudem haben die Gäste die Möglichkeit, im Club kostenlos Masken zu beziehen; diese Option bieten wir, können aber niemanden dazu zwingen. Zudem wurde am letzten Wochenende das Personal nochmals auf die aktuelle Situation geschult und es liegt im Club mehr Material des Bundesamts für Gesundheit auf, das zeigen soll: «Leute, ihr dürft feiern! Aber wir befinden uns noch immer in der Corona-Zeit!»

Haben die Clubs zu früh geöffnet?

Das ist ein Thema, das mich aus zwei Gründen ärgert. Erstens: Aktuell hört man oft, das Virus verbreite sich nur im Ausgangsleben. Es gibt aber ausserhalb davon Massenaufkommen ohne Maskenpflicht. Zweitens: Es wirkt momentan so, als hätten die Ausgangslokalitäten darum gebettelt, möglichst rasch wieder zu öffnen. Dem war aber nicht so. Viele von uns waren überrascht, dass die Lockerung so schnell gekommen ist. Dadurch waren wir fast gezwungen, die Türen zu öffnen.

Inwiefern?

Ich finde, der Staat hat die Kulturbranche zu lange vertröstet und Diskussionen beiseitegeschoben. So sehen es auch viele Branchenkollegen. Wir konnten zwar Kurzarbeit beantragen, aber um unser Hauptproblem, die Mieten, musste jeder lange für sich selbst kämpfen. Erst im Juni wurde der 60:40-Deal beschlossen, sprich, dass uns bei Mieten bis 20 000 Franken 60 Prozent erlassen werden. Das ist ein erster Schritt, aber noch lange keine Lösung, da viele Clubs eine viel höhere Miete zahlen müssen. Deswegen müssen Einnahmen generiert werden. Die Vermieter können nun damit argumentieren, dass der Bund ja den Betrieb erlaubt und somit auch Zahlungen möglich sein müssen. Deswegen ist eine längere freiwillige Schliessung für viele, wie auch für uns, keine Option.

Wie lange hätten Sie persönlich mit der Öffnung gewartet?

Einst hiess es, frühestens Ende August dürften die Clubs wieder öffnen. Wären die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür da gewesen, hätte ich das unterstützt. So hätte man noch länger beobachten können, wie sich die Zahl der Infizierten entwickelt.

Sollte es zu einem zweiten Shutdown kommen, würde dies das Flamingo überleben?

Das kann ich nicht sagen. Je nachdem, ob der Bund nochmals Hilfe gibt und wie die Vermieter reagieren. Es gibt noch viele offene Fragen. Es wäre aber finanziell ganz sicher eine Katastrophe.

Wie lautet Ihr Fazit der letzten Tage?

Im Flamingo Club haben wir das Coronavirus zu jedem Zeitpunkt ernst genommen und die Auflagen vom Bund konsequent umgesetzt. Es ist bedauerlich, dass sich einige Gäste einen für die Allgemeinheit gefährlichen «Scherz» erlaubt haben. Wir haben aber daraus unsere Lehren gezogen und können künftig verhindern, dass dies wieder vorkommt. Den Erkrankten wünschen wir gute Besserung.

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Leserkommentare

Lisa Meier - "... um zu verhindern, dass sich die Fehler, die tatsächlich auch geschehen sind, nicht mehr wiederholen."
Die Tücken der doppelten Verneinung;-)

Vor 3 Jahren 9 Monaten  · 
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