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Interview

Die anspruchsvollste Aufgabe überhaupt: Kindererziehung. Bild: PD

Zeit statt Spielzeug schenken

Von: Sacha Beuth

15. September 2020

Mit der neuen Kampagne «Erziehungsmythen» will die Stiftung Elternsein Müttern und Vätern einen Anreiz liefern, sich näher mit dem Thema Kindererziehung zu befassen. Geschäftsführer Thomas Schlickenrieder (62) zeigt auf, dass die meisten Mythen nichts taugen, es aber auch keine Patentrezepte gibt.

Warum befasst sich die Stiftung Elternsein in ihrer neusten Kampagne mit Erziehungsmythen?

Thomas Schlickenrieder: Zwar erreichen wir mit unserem bisherigen Angebot schon sehr viele Eltern. Aber es gibt immer noch viele, denen wir unbekannt sind respektive denen die Bedeutung der elterlichen Kompetenzen nicht klar ist. Diese wollen wir mit der aktuellen Kampagne auf uns neugierig machen und zugleich direkt für typische Probleme in der Kindererziehung sensibilisieren – möglichst bevor diese in der Familie akut werden. Ein Kind zu erziehen, ist in der heutigen Gesellschaft die anspruchsvollste Aufgabe überhaupt. Zugleich aber gibt es keine Ausbildung dazu. Das heisst, es braucht Hilfe, um der Aufgabe gerecht zu werden, und hier wollen wir mit Tipps und Hinweisen Unterstützung bieten.

Die Kampagne beinhaltet 15 Erziehungsmythen. Es dürfte aber noch deutlich mehr geben.

In der Tat ist die Zahl der Erziehungsmythen enorm. Es ging uns darum, die weitverbreitetsten Erziehungsirrtümmer anzusprechen. Darum haben wir uns auf die nach unserer Meinung 15 häufigsten und / oder schrillsten Mythen konzentriert und diese analysiert.

Und? Sind die gängigen Erziehungsparolen ein taugliches Mittel oder tatsächlich nur Mythen?

Die meisten sind klar Mythen. Generell sollte man sich darum in Sachen Kindererziehung an die heutigen Erkenntnisse halten. Leider gehen Letztere oft unter. Sei es aus Bequemlichkeit, weil man sich nicht vertieft mit der Materie befassen will. Oder wegen eines anderen Mythos, der da heisst: «Früher war alles besser». Leute mit dieser Sichtweise sagen sich oft: «Ich bin nach den alten Parolen erzogen worden und trotzdem ist etwas aus mir geworden. Für was braucht es da Erziehungsratgeber?» Dabei wird ausser Acht gelassen, dass sich die Kindererziehung wie alles andere weiterentwickelt und neue Erkenntnisse sowohl Kindern wie Eltern weiterhelfen können.

Was sind die drei meistgenannten Erziehungsmythen und was wäre der jeweils richtige Weg in einer solchen Situation?

Da wäre erstens «Mit viel Spielzeug fühlt sich ein Kind geliebt». Das ist falsch. Stattdessen sollten Eltern weniger Spielzeug, dafür umso mehr von ihrer Zeit schenken. Nummer zwei lautet «Frühgeförderte Kinder werden erfolgreich». Diese Ansicht ist leider weit verbreitet. Aber Eltern sollten die Entwicklung ihres Nachwuchses nicht beschleunigen, sondern vielmehr herausspüren, was ihr Kind bewältigen kann und wo es Unterstützung braucht. Auch Mythos drei – «Gute Noten sollte man mit Geld belohnen» – schiesst am Ziel vorbei. Wenn Eltern das tun, dann belohnen sie nur messbare Werte. Das Kind lernt: Eine gute Note lohnt den Einsatz, einem Kameraden bei den Hausaufgaben zu helfen, jedoch nicht. Besser ist, das Kind für Einsatz und Engagement zu belohnen.

Ich hätte gedacht, «Handyentzug als Strafe ist sinnvoll» unter den Top 3 zu finden.

Davon ist ebenfalls meist abzuraten, denn damit bekommt das Handy eine viel zu grosse Bedeutung. Unser Lösungsvorschlag hier ist, dem Kind statt dem Handy etwas «Besseres» zu bieten, bevorzugt eine gemeinsame Unternehmung. So wird das Kind freiwillig auf das Handy verzichten. Einschränkungen in der Handy-Nutzung sind eigentlich nur in direktem Zusammenhang mit dem Handy angebracht. Also etwa, wenn das Kind ein Zeitlimit zur Handynutzung nicht eingehalten hat, aber nicht, wenn es seine Hausaufgaben nicht erledigt hat.

Was ist, wenn man aus der aktuellen Gefühlslage heraus trotzdem nach den alten Mythen und somit meist falsch handelt?

Das ist in der Regel meist nicht so schlimm, denn Kinder können gut verzeihen. Ausserdem müssen sie auch lernen, dass Eltern ihren eigenen Alltag haben und nicht immer bestens aufgelegt sind. Es gibt bei der Kindererziehung kein Patentrezept und eigentlich nur ein No-Go: Selbst wenn man als Elternteil auf 180 ist, darf man sich nicht zu Gewalt hinreissen lassen, sondern sollte sich zurückziehen und das Thema erst wieder angehen, wenn der schlimmste Ärger verraucht ist. Womit wir auch gleich die Frage nach einem weiteren Mythos «Eine Ohrfeige hat noch keinem Kind geschadet» beantwortet hätten.

Weitere Infos: www.elternsein.ch und www.fritzundfraenzi.ch

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