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Lifestyle

Mörderische Geschichten

Von: Isabella Seemann

08. August 2013

Zürich ist ein Hort des Verbrechens und vieler spannender Geschichten. Das «Tagblatt» stellt sie und ihre Autoren vor.

Stephan Pörtner: «Mordgarten», Applaus-Verlag, Juni 2013, 24 Fr.

«Heda, aufstehen, Gopfertami!», schreit der Hausabwart. «Das ist hier kein Campingplatz und keine Notschlafstelle.» Null Reaktion. Was Wunder. Der Mann, der im Hof der Genossenschaftssiedlung Moorgarten liegt, ist tot. Erschlagen mit einer Weinflasche. «Mordgarten» raunen die Leute fortan; Journalisten von «Blick», «20 Minuten» und VJs vom Lokal-TV belagern ihn. Der coole Kriminalbeamte Dan Stahl glaubt, leichtes Spiel zu haben, und verhaftet schon bald den Säufer und Genossenschafter Wirz. Doch als Edi Zingg, der liebenswerte Hausabwart mit abgeschlossenem Geschichtsstudium, die Wohnung des Toten aufräumt, wird er stutzig. Wie kann ein Sozialhilfebezüger sich die neuste und teuerste Unterhaltungselektronik leisten? Stehen diese Nebeneinkünfte gar im Zusammenhang mit seinem Tod?

Beherzt macht sich Zingg auf Spurensuche. Der Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz hat den «Genossenschaftskrimi» herausgegeben und beschreibt Stephan Pörtner als Krimiautor, der seine Ermittler «mit präziser Gesellschaftskritik den Zuständen der Schweiz nachspüren» lasse. Aber wer sich davon abschrecken lässt, verpasst die Bekanntschaft mit einem schillernden Hausabwart. Und er verpasst ausserdem das neuste Werk eines preisgekrönten Krimischriftstellers, der uns über Jahre begeistert wie kaum ein zweiter. «Mordgarten» ist ein besonders gelungenes Beispiel der pörtnerschen Kunst: Meisterlich sind seine Charaktere gezeichnet, die Dialoge sind knapp und pointiert, der Schwung des Buches wird den Leser schier davontragen.

Marcus Richmann: «Engelschatten», Gmeiner-Verlag, Juli 2013, 18.90 Fr.

«Wie viel Leid erträgt der Mensch?», fragt der Bordellbesitzer, bevor er in der Unterstrasser Liebfrauenkirche stirbt. Nackt. Der Leib zu einem Kreuz ausgebreitet. Mit den Insignien der heiligen Sakramente versehen. Ein Ritualmord? Maxim Charkow, Chefermittler der Mordkommission Zürich mit russisch-melancholischer Seele, wird mit einer Serie mysteriöser Mordfälle in katholischen Kirchen konfrontiert. Die Spuren führen zu einer Organisation, deren Chefs vor nichts zurückschrecken, um Schaden von ihrer weltweit agierenden, mächtigen Glaubensgemeinschaft abzuwenden. In seinen zweiten Charkow-Krimi hat der nahe Zürich lebende Autor Marcus Richmann seine Recherchen zum bizarrsten Fall der Schweizer Kriminalgeschichte verwoben: das Drama der Sonnentempler. 1994 starben bei einem Massenselbstmord insgesamt 74 Menschen, 48 davon in Cheiry FR und Salvan VS. «Feinstofflicher Transit zum Sirius» hiess das bestialische Ritual.

Franz Hohler: «Gleis 4», Luchterhand-Verlag, Juli 2013, 25.90 Fr.

Schon auf der vierten Seite stirbt der Protagonist des Buches. «Darf ich Ihnen den Koffer tragen?», hatte er die fremde Dame beim Bahnhof Oerlikon noch gefragt. Kaum war der Gentleman oben auf Gleis 4 angekommen, brach er tot zusammen. An Ferien war nun nicht mehr zu denken. Isabelle fühlt sich für den Tod verantwortlich und versucht herauszufinden, wer der papierlose Mann ist. Seine Mappe mit dem Handy bleibt versehentlich in ihrem Besitz, und als wenig später Drohanrufe eintreffen, wird die Sache immer geheimnisvoller. «Marcel?», sagt ein anonymer Anrufer und verkündet barsch, man wolle ihn an diesem Morgen auf dem Zürcher Friedhof Nordheim nicht sehen. Ein solcher Anfang könnte einen tiefgründigen, durchdringenden Thriller ergeben. Doch Franz Hohler bleibt sich auch im Jahr seines 70. Geburtstags treu und produziert weiterhin nette und bemühte Literatur, geisselt die Schweiz, moniert die Engstirnigkeit und prangert die Selbstgerechtigkeit der anderen an. Die Böslinge sind männliche Schweizer Spiessbürger; die Guten sind weiblich, feministisch, links und öko engagiert wie die Altenpflegerin Isabelle, ihre dunkelhäutige Tochter Sarah, von Beruf Menschenrechtlerin, und die kanadische Ehefrau des Verstorbenen.

Allmählich kommen die drei Frauen der Geschichte von Marcel auf die Spur. Er war ein Verdingkind, der vom Bauern nicht nur mies behandelt, sondern fälschlicherweise eines Mordes bezichtigt und in einer Erziehungsanstalt verlocht wurde. Aber selbst dieser Teil der Geschichte, der das schlimme Schicksal der Verdingkinder aufnimmt, wirkt holzschnittartig und trivial. Für Freunde des parfümierten Sozialkitsches ist das Buch aber durchaus lesenswert.

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