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Lifestyle

Vom Streiten, Streicheln und Trösten

Von: Isabella Seemann

14. Januar 2014

NEUE ZÜRCHER BÜCHER: Drei preisgekrönte Zürcher Autoren erzählen Geschichten vom ganz normalen unglücklichen Leben.

Jens Steiner: Carambole, Dörlemann-­Verlag, Aug. 2013, 28.90 Fr. Carambole ist eine Art Fingerbillard: «Mit einem kleinen runden Stein schubst man andere kleine runde Steine in ein Loch in der Ecke des Spielfelds. Manchmal schubst man den falschen Stein an. Manchmal ist der falsche Stein der richtige.» Analog zum titelgebenden Spiel hat Jens Steiner ein vielschichtiges, dramatisches Erzählspiel in zwölf Runden geschaffen. Dafür ist der 1975 in Zürich geborene Autor mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet worden. Das Spielfeld ist ein nicht näher ­benanntes Schweizer Dorf, ein überschaubarer Kosmos, wo die Zeit ­stillsteht und samt und sonders ­beschädigte, manchmal verzweifelte Menschen hausen. Wartend hängen die Jugendlichen Igor, Fred und Manu in Freysingers Garten ab, fürchten ihre ereignislosen Sommerferien, ringen mit ihren sexuellen Regungen und fantasieren eine Entführung zusammen, «weil endlich einmal etwas passieren muss». Von Schorsch, der behauptet, aus Korsika zu stammen, lassen sie sich abwegige Geschichten aus einem erfundenen Leben erzählen. Allesamt suchen sie ein rettendes Ufer, die Jungen voll verzweifeltem Optimismus, die Alten mit leiser Resignation. «Die Geschichte der Welt setzt sich zusammen aus lauter Ewigkeitsaugenblicken», heisst es einmal, und es ist diese unheimliche Stille, die diesen Roman von der ersten bis zur letzten Seite prägt.

Urs Widmer: Reise an den Rand des ­Universums, Diogenes-Verlag, Sept. 2013, 32.90 Fr.
Der einzige Gewinn des Altwerdens sei zu fühlen, dass man das Leben tatsächlich gelebt hat, nicht in einem Luftschloss, von einem eingebildeten Zimmer ins nächste stolpernd, sondern so lustvoll wie möglich und so schmerzhaft wie nötig. Das ist das lebenskluge Resümee des 75-jährigen Schriftstellers Urs Widmer. In seiner ­Autobiografie «Reise an den Rand des Universums» erzählt er allerdings nur von den ersten dreissig Jahren seines Lebens. Widmer, der in Zürich lebt, wuchs in Basel auf; auf das Glück der frühen Jahre folgt bald familiäres Unglück. Von dem kann sich das Kind noch keinen Begriff machen, aber es sickert in ihn ein, wird zu einer Lebenshypothek. Literatur ist die kleine Flucht, die es dem Schulbuben erlaubt, die familiären Bedrückungen für kurze Zeit hinter sich zu lassen. Aber noch für den jungen Mann ist es sehr schwer, wirklich fortzu­kommen. Er leidet unter Ticks, dann unter Panikattacken. Enormer Verantwortungsdruck lastet auf ihm. Schliesslich kommt er doch noch ins Freie – räumlich zumindest: Er lebt eine Weile in Frankreich. Er reist, nach Italien, nach Griechenland. Er verliebt sich, er macht Erfahrungen mit Frauen. Er arbeitet als Lehrer, promoviert über die deutsche Nachkriegsliteratur, wird Lektor und dann – klappernd auf einer himmelblauen Olivetti – schreibt er seinen ersten literarischen Text, wie verzaubert, wie in Trance. Seinen «Urknall» nennt er dieses Ereignis. Das Leben wirklich zu leben, zunehmend bewusst und bisweilen glücklich – Urs Widmer scheint das leidlich gelungen zu sein. Wie wenig selbstverständlich das ist, davon erzählt er – mal traurig, mal ironisch in seinem klaren und eleganten Stil.

Zoë Jenny: Spätestens morgen, Frank­furter Verlagsanstalt, Sept. 2013, 28.90 Fr.
Ihr Aufstieg verlief so steil wie ihr Absturz. Vor anderthalb Jahrzehnten legte Zoë Jenny einen Sensationserfolg hin: Ihr Erstling «Blütenstaubzimmer» wurde mit Preisen überhäuft, in 27 Sprachen übersetzt und allein im ­deutschsprachigen Raum über eine Viertelmillion Mal verkauft. Doch ihre nachfolgenden Veröffentlichungen wurden immer ungnädiger besprochen. Stoff bot sie fortan fast nur der Boulevardpresse: Märchenhochzeit mit Millionär und Kampfscheidung, Kinderlosigkeit und In- vitro-Fertilisation, die Hölle auf der Traum­insel Bali, das ausgeraubte Haus in der Toskana. Kürzlich ist die gebürtige Baslerin nach Zürich gezogen – und meldete sich im Literaturbetrieb zurück. «Spätestens morgen» versammelt zwölf Kurzgeschichten, die in der Tradition amerikanischer Shortstorys stehen und knapp, beiläufig berührend von der zerbrochenen Familie erzählen, von aus dem Gleis geworfenen Menschen in New York, Shanghai oder Basel, oder vom Liebhaber, über den die Frau wenig weiss und dessen ganze, unüberwindbare Einsamkeit ihr schlagartig offenbar wird. Es sind winzige Details, in denen die Figuren ihr Innerstes preisgeben. Eine leise, melancholische Erzählstimme, der man gerne zuhört.

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