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Afghanistan-Flüchtlinge: Zürich ist bereit, Bund klemmt
Von: Sacha Beuth
Nach der Machtübernahme der Taliban müssen Tausende Afghanen um ihr Leben bangen und fliehen. Stadt und Kanton Zürich würden diesen Schutz und Unterkunft bieten. Allerdings müsste zuvor der Bund die gefährdeten Personen in die Schweiz bringen. Doch der sieht vorerst keinen Handlungsbedarf.
Die Taliban haben mit ihrem Steinzeit-Islam wieder die Macht am Hindukusch übernommen. Und nun müssen vor allem jene, die die westlichen Militärangehörigen und die vormalige Regierung unterstützt hatten (sowie ihre Familienangehörigen) die Rache der Taliban fürchten und darum aus ihrem Land fliehen. Doch im Westen tut man sich schwer, die gefährdeten Personen als Flüchtlinge in ein europäisches Land oder die USA zu holen. Dies gilt auch für die Schweiz, die zwar – sieht man von etwas Aufbauhilfe ab – kaum in den Afghanistan-Konflikt involviert war. Die aber – nach Meinung vieler Hilfswerke und Politikern von linksgrün bis ins bürgerliche Lager – als Land, das westliche Werte und seine humanitäre Tradition hochhält, zumindest eine moralische Verantwortung gegenüber den im Stich gelassenen Afghanen haben sollte. So hat etwa der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina gefordert, dass die Schweiz 10 000 Flüchtlinge aus dem asiatischen Land aufnehmen müsse. Basierend auf dem Asylgesetz hat der Bundesrat, der über die Asylgewährung für grössere Flüchtlingsgruppen entscheidet, für die Phase 2020/21 jedoch nur ein Kontingent von maximal 1600 Personen gesprochen. «Aber die aktuelle Krise in Afghanistan ist eine aussergewöhnliche Situation. Und aussergewöhnliche Tragödien verlangen nach besonderer Solidarität», findet Molina. «Im übrigen hat der Bundesrat das Kontingent für 2020/21 nicht beziehungsweise noch nicht ausgeschöpft.»
«Lage ist zu instabil»
Die Stadt Zürich wäre bereit, ab sofort (zusätzliche) Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, wie das zuständige Sozialamt betont. Und Regierungsrat Mario Fehr schreibt für den Kanton: «Der Kanton Zürich hat sich in der Vergangenheit an den Resettlement-Programmen des Bundes anteilmässig beteiligt. Dies wird er auch in Zukunft tun.» Generell gilt im Flüchtlings- und Asylwesen ein nationaler Verteilschlüssel, nachdem der Kanton Zürich 17,9 Prozent eines vom Bund bestimmten Kontingents an geflüchteten Personen zu übernehmen hat und diese dann wiederum auf seine Gemeinden verteilt. «Im Jahr 2015 hat die Stadt Zürich innert weniger Wochen 800 Flüchtlinge auf dem Stadtgebiet untergebracht», erklärt Heike Isselhorst, Kommunikationsleiterin beim Sozialdepartement der Stadt Zürich. «Das wäre heute sicherlich wieder möglich. Jetzt liegt es am Bund, wie viele Menschen er aufnehmen will» so Isselhorst.
Und genau hier liegt das Problem. Verantwortlich für die Schweizer Asylpolitik ist allein der Bund. Nur er hat die Mittel, um Geflüchtete direkt aus dem Ausland aufzunehmen (z.B. über Resettlement, Relocation oder humanitäre Visa). Für Städte hingegen fehlt die Rechtsgrundlage, um Asylsuchende direkt und nach eigenem Ermessen aufzunehmen. Allerdings macht der Bund bislang keine Anstalten, das Kontingent zu erhöhen. «Grössere Gruppen aufzunehmen ist zur Zeit nicht möglich. Dafür ist die Lage zu instabil», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am letzten Mittwoch an einer Pressekonferenz. Zudem sei noch gar nicht klar, ob dazu überhaupt Bedarf bestehe.
Laut dem Sekretariat für Migration SEM verlaufen zur Zeit die meisten Fluchtbewegungen in Nachbarländer wie Pakistan und den Iran. Eine Weiterwanderung bis in die Schweiz dauere im Normalfall Monate oder Jahre. Schnelle Hilfe wäre somit nur mit dem Einsatz von Flugzeugen möglich. Doch auch hier denkt der Bund nicht daran, mehr Schutzbedürftige auszufliegen als jene knapp 300 Personen mit Verbindung zur Schweiz (Schweizer, Afghanen mit Schweizer Aufenthaltsbewilligung, Angestellte der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und ihre Familienangehörigen). Von diesen konnte die Mehrzahl bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe in die Schweiz in Sicherheit gebracht werden.
Was ist Ihre Meinung zum Thema? echo@tagblattzuerich.ch
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